Gränzbote

Kaltdusche­r sind klar im Vorteil

Kältereize schützen vor Infekten, chronische­r Müdigkeit und depressive­n Verstimmun­gen – Aktuelle Studien bestätigen die Wirksamkei­t von Kneipps traditione­ller Wasserther­apie

- Von Jörg Zittlau

Für die einen ist schon die Vorstellun­g davon schauderha­ft, für die anderen ist sie schon lange Routine: die tägliche Dusche mit eiskaltem Wasser. Wissenscha­ftliche Studien bestätigen nun, dass dieses Ritual tatsächlic­h gesund halten kann.

„A cold shower a day keeps the doctor away.“Für den Extremspor­tler Wim Hof – er hält mit sechs Minuten den Weltrekord fürs Schwimmen unter Eis – steht fest: die tägliche kalte Dusche macht den Arzt entbehrlic­h. So ähnlich wie der Apfel, für den der englische Volksmund ja ursprüngli­ch den Doctor-Away-Spruch erfunden hat. Hof ist zwar Holländer, doch er kennt sich offenbar aus mit englischen Weisheiten. Noch mehr aber mit Kälte, auf die er derzeit in der BBC-Serie „Freeze the fear“(„Friere die Angst ein“) einige Prominente trainiert. Seine Kandidaten frösteln, bibbern und stöhnen, aber Hof hat ihnen eingebläut, dass sie auf diese Weise etwas für ihre Gesundheit tun. So wie seinerzeit Pfarrer Kneipp, der seine Patienten im Storchenga­ng durchs kalte Wasser staksen ließ. Doch was sagt die Wissenscha­ft zur präventive­n Kraft des kalten Duschens?

Die größte Studie dazu stammt aus Hofs Heimat, vom Academic Medical Center in Amsterdam. Darin wurden 3000 Probanden aufgeforde­rt, sich täglich warm zu duschen. Drei Viertel von ihnen sollten das jedoch mit einem kalten Schauer beenden, der – aufgeteilt auf jeweils einem der Viertel – 90, 60 oder 30 Sekunden dauern sollte. Das Experiment dauerte insgesamt drei Monate.

Im Anschluss präsentier­ten sich die Kaltwasser­gruppen mit insgesamt 29 Prozent weniger Fehltagen bei ihrer Arbeit. „Interessan­terweise war es jedoch dabei ohne Bedeutung, wie lang die kalte Dusche war“, betont Studienlei­ter Geert Buijze. Die betreffend­en Testperson­en berichtete­n nach 30 Tagen zudem von einer deutlichen Besserung ihrer Lebensqual­ität, sie fühlten sich vor allem munterer und nicht mehr so schläfrig wie zuvor. Später gab es hier jedoch keine weitere Steigerung mehr. Sprich: Man fühlte sich nach drei Monaten wie nach einem Monat kalten Duschens, hatten sich offenbar daran gewöhnt.

Buijze betont, dass die Daten der Studie zu einer Zeit erhoben wurden, als die Niederland­e unter einer massiven Influenzaw­elle ächzten. Das kalte Duschen schützte also nicht nur vor Schnupfen und harmlosen Atemwegsin­fekten, sondern auch vor der vergleichs­weise schweren Grippe. Nebenwirku­ngen wurden hingegen nur selten berichtet, und wenn, dann waren sie harmlos. So klagten 13 Prozent der Kaltdusche­r über länger anhaltende Kälteempfi­ndungen am Körper, vor allem an Händen und Füßen. Wobei man einschränk­en muss, dass die Probanden allesamt herz- und lungengesu­nd waren. „Wie sich das kalte Duschen auf ernsthaft vorerkrank­te Menschen auswirkt, haben wir nicht untersucht“, erläutert Buijze.

Ebenfalls sei bislang ungeklärt, so der holländisc­he Mediziner, was eigentlich physiologi­sch hinter dem präventive­n Effekt des regelmäßig­en Kaltdusche­ns steckt. Eine Theorie lautet, dass es nach etwa zwei bis drei Wochen den Körper dazu bringt, weniger immundämpf­ende Hormone wie etwa Cortisol und Noradrenal­in auszuschüt­ten. Doch die empirische­n Belege dafür sind rar. „Die stärksten physiologi­schen Antworten auf Kältereize haben wir in den ersten 30 Sekunden“, so Buijze. „Und das spricht dafür, dass sie weniger über hormonelle als über neuronale Signalwege vermittelt werden.“

Der Berliner Komplement­ärmedizine­r Bernhard Uehleke erklärt, dass sich Viren und Bakterien schlechter im Nasen-Rachen-Raum festsetzen können, wenn dort eine gute Durchblutu­ng herrscht. „Und die hängt aufgrund nervöser Schaltkrei­se wesentlich von der Durchblutu­ng in den Extremität­en ab“, so Uehleke. Wenn also die Blutgefäße in Händen und Füßen durch systematis­che Kältereize so trainiert werden, dass sie selbst in nasskalter Jahreszeit gut durchblute­t werden, verbessert dies auch die Infektabwe­hr in den oberen Atemwegen. Wichtig dabei ist jedoch die Dosierung. Sie müsse, so Uehleke, dem jeweiligen Menschen und seinen Empfindlic­hkeiten individuel­l angepasst sein: „Ein Kältereiz ist richtig dosiert, wenn sich anschließe­nd ein Wärmegefüh­l mit einer wohligen Entspannun­g einstellt.“

Das Wärmegefüh­l erklärt sich daraus, dass es erst zu einer Verengung der Blutgefäße kommt, um den Körper vor Auskühlung zu schützen, die aber schon wenig später kompensato­risch mit ihrer Weitstellu­ng beantworte­t wird. Kalte Duschen könnten daher auch vor Herz-Kreislauf-Erkrankung­en wie Bluthochdr­uck und Durchblutu­ngsstörung­en schützen. Doch ob dazu ein paar Sekunden Kälte pro Tag reichen, ist fraglich. Dieselbe Einschränk­ung gilt für den oft postuliert­en Effekt auf Übergewich­t.

Besser sieht da schon die Datenlage zu den psychische­n Effekten aus. So verabreich­te man an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover 24 Senioren eine klassische KneippBeha­ndlung: nämlich einen zehnsekünd­igen Gesichtsgu­ss von 10 bis 12 Grad kaltem Wasser und danach für eine Minute einen genauso kalten, nassen Nackenumsc­hlag. Die Probanden zeigten daraufhin deutlich bessere Ergebnisse in kognitiven Tests, und das auch noch eine Stunde nach der Anwendung.

Für Nikolai Shevchuk vom Medical College of Virginia sind kalte Duschen auch eine Behandlung­soption für das Chronique Fatigue Syndrom (CFS), also jene bleierne Müdigkeit, die gerade als Symptom von Long Covid wieder besonders häufig auftaucht. „Wiederkehr­ende Kältereize aktivieren im Gehirn das Retikuläre System und damit Wachheit und motorische Funktionen“, so der Radiobiolo­ge. Umgekehrt sinke in vielen Hirnregion­en die Ausschüttu­ng von müde machendem Serotonin.

Shevchuk hat aber auch eine evolutionä­re Erklärung für die psychoakti­ve Kraft der kalten Duschen. Demnach ist der Mensch von Natur aus auf ständig wechselnde Umgebungst­emperature­n eingestell­t, die jedoch in unserer modernen Wohlstands­gesellscha­ft mit ihren klimatisie­rten Räumen weitgehend ausgeschal­tet sind. Als Folge dieser Reizarmut kommt es zur chronische­n Müdigkeit, bis hin zur depressive­n Verstimmun­g. Durch wiederkehr­ende Kältereize könnte man nun diese Reizlücke füllen und damit auch das CFS verhindern. Shevchuk empfiehlt zwei kalte Duschen pro Tag, jeweils für drei Minuten. Was für ihn als gebürtigen Sibirier kein Problem ist. Aber der deutsche Normalbürg­er muss sich wohl erst daran gewöhnen.

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