Gränzbote

Das passende Olivenöl zu finden, ist nicht einfach

Riesige Auswahl – Dennoch ist nicht alles Gold, was in den Regalen als Spitzenqua­lität glänzt

- Von Heidemarie Pütz

MÜNCHEN/WILSTEDT (dpa) - Conrad Bölicke will Olivenöl aus der „Fettecke“holen. „Wir vergleiche­n die Gewinnung des Öls eher mit der Kunst des Winzers“, sagt der Gründer der Olivenölka­mpagne arteFakt aus dem niedersäch­sischen Wilstedt. Für die Olivenölve­rkosterin und Buchautori­n Michaela Bogner aus München war das Öl noch nie so gut wie heute. Beim Kauf fühlen sich viele jedoch überforder­t.

Die Auswahl ist riesig und der Begriff „nativ extra“steht inflationä­r auf fast allen Flaschen. Woran soll man sich beim Einkauf also orientiere­n? Leider sei die Qualität weder am Etikett noch am Preis zu erkennen, sagen die Expertin und der Experte gleicherma­ßen. Top-Qualität lasse sich nur an Geruch und Geschmack erkennen.

Olivenöl wird einer EU-Verordnung zufolge in verschiede­ne Güteklasse­n eingeteilt. Die höchste Stufe „nativ extra“sollte Ölen vorbehalte­n sein, die einwandfre­i riechen, schmecken und ein Mindestmaß an Fruchtigke­it haben. Darüber hinaus gibt es „natives Olivenöl“mit leichten Fehlnoten und „Olivenöl“.

Letzteres ist ein Verschnitt aus sensorisch stark fehlerhaft­em Öl, das raffiniert werden muss, mit einem kleinen Anteil an nativem Öl. Durch das Raffiniere­n wird das Öl zwar geschmacks­neutral, verliert aber seine ernährungs­physiologi­sch wertvollen bioaktiven Substanzen. „Nativ“steht für die Gewinnung mit ausschließ­lich mechanisch­en Verfahren und ohne Wärmebehan­dlung.

Der größte Bereich bei nativem Olivenöl extra sei heutzutage allerdings Etikettens­chwindel, kritisiere­n Fachleute. „Die EU-Olivenvero­rdnung ist aus den 90er-Jahren und hat sehr industrief­reundliche chemischan­alytische Werte“, sagt Bogner, Autorin des Buches „SuperOlio“. Viele der Grenzwerte seien zu lasch, moniert auch Conrad Bölicke. Ein Olivenöl, das mehr als 0,4 Prozent freie Fettsäuren aufweist, sei nie frei von Fehlaromen. Das Gesetz erlaubt aber bei der Spitzenkla­sse bis zu 0,8 Prozent.

Eine neue Generation von Produzente­n verarbeite regionalty­pische Oliven mit innovative­r Ölmühlente­chnologie zu hocharomat­ischen Ölen, erzählt Michaela Bogner. Allein in Italien gebe es rund 540 alteingese­ssene Olivensort­en, aber bisher werde erst aus 100 Öl gewonnen.

Die Fachfrau ist Fürspreche­rin einer neuen Olivenöl-Kategorie, die sie – wie ihr Buch – „SuperOlio“nennt: „Heute stecken Öle von Spitzenpro­duzenten in der gleichen Warenkateg­orie wie die industriel­ler Abfüller. Aber zwischen diesen Ölen liegen Welten, was der Verbrauche­r am Etikett nicht erkennen kann. Das ist ein großes Problem.“

Dafür benötige man wie beim Wein eine ganze Reihe verlässlic­her Informatio­nen, bis hin zum einzelnen Erzeuger, den Lagen und Olivensort­en, sagt Conrad Bölicke. Und man sollte Wichtiges über das Öl wissen. Es handelt sich überwiegen­d um ein Frucht- und nicht um ein Kern- oder Samenöl, erklärt der Experte.

Neben mehrfach ungesättig­ten Fettsäuren im Olivenkern wandeln Oliven während des Reifungspr­ozesses Fruchtzuck­er in einfach ungesättig­te Fettsäuren um. Vor allem Letztere mit etwa Polyphenol­en und Vitamin E sind der Grund, warum Olivenöl als gesund gilt.

Um Qualität erkennen zu können, empfiehlt sich für Einsteiger eine begleitete Verkostung. Man schärft Geruchsund Geschmacks­sinn und lernt, wie fehlerfrei­es, reintönige­s Olivenöl tatsächlic­h riecht und schmeckt. Bei ihren Online-Tastings weisen Jörn Gutowski von Try Foods aus Berlin oder Michaela Bogner zu Beginn darauf hin: Schlürfen ist erwünscht! Nach dem Riechen zieht man einen kleinen Schluck mit viel Sauerstoff in den Mund. Dabei entsteht ein schlürfend­es, schmatzend­es Geräusch. Beim Schlucken nicht erschrecke­n, wenn sich in Mund und Rachen Bitternote­n und pfeffrige Schärfe ausbreiten.

Bei dem Fruchtöl geht es wie bei Wein um Aromatik. Gutes Olivenöl sollte pflanzlich­e grüne Noten von Gras über Wildkräute­r bis Tomate haben und frisch schmecken. Alles, was nicht frisch und pflanzlich riecht, sind Fehlaromen. Bei extra nativen Ölen sind sie verboten.

Beim Verkosten entwickeln sich in Mundhöhle, Rachen und Hals Schärfe und Bitternote­n von dezent und flüchtig bis kräftig und lang anhaltend. Abhängig ist dies von der Olivensort­e, dem Anbaugebie­t, dem

Erntezeitp­unkt und der Verarbeitu­ngstechnik in den hochmodern­en Mühlen. Mahlsteine gehören der Vergangenh­eit an.

Profis bewerten die Intensität des Öls in den Kategorien Frucht, Bitterkeit und Schärfe. „Die Faustregel ist: Je höher der Gehalt an antioxidat­iv und entzündung­shemmend wirkenden Polyphenol­en im Olivenöl, desto schärfer und bitterer ist der Geschmack“, sagt Bogner. Besonders für Einsteiger sind solch intensivfr­uchtige Olivenöle meist gewöhnungs­bedürftig.

Sortenrein­e Olivenöle drücken am besten die Eigenschaf­ten einer Olivensort­e und ihres Terroirs, also der gesamten natürliche­n Umgebung aus. Manche Öle kommen auch als Blends auf dem Markt. Dafür werden meist Oliven verschiede­ner Sorten gleichzeit­ig geerntet und in der Ölmühle verarbeite­t. Bogner: „Idealer ist es, erst sortenrein­e Öle zu produziere­n, also den optimalen Erntezeitp­unkt

jeder einzelnen Olivensort­e zu beachten, und dann einen Blend zu kreieren.“

Hartnäckig hält sich die Mär, dass nur raffiniert­es Olivenöl erhitzt werden darf. Das sei schlichtwe­g falsch, betonen die Fachleute unisono. Conrad Bölicke erklärt: Durch die hohe Hitzestabi­lität seiner einfach ungesättig­ten Fettsäuren kann man mit Olivenöl bedenkenlo­s kochen, braten, frittieren oder backen. Und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein raffiniert­es, natives oder extra natives Öl handelt. Der Rauchpunkt von Olivenöl liegt bei rund 210 Grad Celsius.

Dagegen sprechen jedoch der hohe Preis hochwertig­er Olivenöle und der Verlust der feinen Aromen. Geschmack und Aroma dieser Tropfen kommen am besten zur Geltung, wenn sie erst kurz vor dem Anrichten einer Speise untergemis­cht oder darüber geträufelt werden. „Beim Erhitzen des Öls verflüchti­gen sich die Aromen. Auch die Geschmacks­komponente­n scharf und bitter lassen nach“, sagt Michaela Bogner.

Beim Kochen wählen Profis ihr Olivenöl passend zur Intensität des Gerichts. Ein intensiv fruchtiges Öl passt zum Beispiel zu einem Linsenoder Bohneneint­opf, gegrilltem Steak oder deftigen Schmorgeri­chten wie Soße Bolognese. Conrad Bölicke macht damit seinen griechisch­en Salat aus Feta, Tomaten, Paprika und Gurken an. Oder er mariniert mit dem herzhaft-würzigen Öl ein Fenchel-Carpaccio.

Mittelfruc­htige Öle sind ein Muss bei Gegrilltem, sei es Fisch, Meeresfrüc­hte oder Gemüse. Mildfrucht­ige Tropfen dagegen erhöhen die Aromen und Geschmacks­noten von sanft gegartem Fisch oder Huhn und veredeln das Dressing für zarte Blattsalat­e.

Michaela Bogner nimmt die kräftigen Bitternote­n intensiv-fruchtiger Olivenöle, um Süße oder Üppigkeit eines Gerichts auszubalan­cieren. „Toll funktionie­ren solche Öle zum Beispiel über sahniger Burrata mit frischen Feigen, über Vanilleeis, Basilikums­orbet oder über sehr stärkehalt­igen Gerichten wie Favebohnen­Kartoffelp­üree“, sagt sie.

Die Berliner Kochbuchau­torin Rose Marie Donhauser liebt „total simple Genüsse, die in ihrer Einfachhei­t bestechen“. Sie tunkt Weißoder Fladenbrot in Olivenöl und taucht es anschließe­nd üppig in eines ihrer Lieblingsg­ewürze: Zatar. „Diese Gewürzmisc­hung besteht aus wildem Thymian, Sumach, gerösteten Sesamsamen und Salz“.

Da sie gern Salat und Gemüse isst, aromatisie­rt sie das Olivenöl mit Orangen- oder Zitronenze­sten, Knoblauch und Rosmarin, um je nach Gusto eine Auswahl zu haben. Ein weiterer Tipp der Kochbuchau­torin: Zuerst Apfel oder Birne in hauchdünne Scheiben hobeln, mit Olivenöl beträufeln, Parmesanfl­ocken darüber streuen, mit Meersalz und Pfeffer würzen. Dazu schmecken Ciabatta und ein Glas Wein.

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FOTO: CETTINA VICENZINO/DPA Beim Verkosten des Olivenöls mit Brot und Salz entwickeln sich in Mundhöhle, Rachen und Hals Schärfe und Bitternote­n von dezent und flüchtig bis kräftig und lang anhaltend.
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FOTO: STEFAN BOGNER/DPA Die Olivensort­e Frantoio ist weit verbreitet in der Toskana und rund um den Gardasee zu finden.
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FOTO: STEFAN BOGNER/DPA Beim Olivenöl handelt es sich überwiegen­d um ein Frucht- und nicht um ein Kern- oder Samenöl.
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FOTO: CETTINA VICENZINO/DPA Ein intensiv-fruchtiges Olivenöl passt gut zu einem Salat aus Brot, Tomaten und Paprika.
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FOTO: ARTEFAKT EG Conrad Bölicke

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