Gränzbote

Die unterschie­dlichen Folgen der Zinswende

Die EZB hebt den Leitzins an – Während die Inflations­rate wohl hoch bleibt, könnten Preise an anderer Stelle sinken

- Von Hannes Koch

BERLIN - Christine Lagarde, die Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k, musste sich lange anhören, sie tue nichts. Nun reagiert die EZB deutlich auf die hohe Inflation, die im Euroraum im Mai 8,1 Prozent betrug. Im nächsten Monat will die Notenbank deshalb erstmals seit elf Jahren die Zinsen anheben. Das gab Lagarde am vergangene­n Donnerstag bekannt. Jetzt lautet die Frage: Wie wirkt sich das im Alltag aus?

Der Leitzins, zu dem sich Banken Geld bei EZB leihen können, steigt demnächst von 0 auf 0,25 Prozent. Der Strafzins für Institute, die Kapital bei Zentralban­k parken, sinkt von minus 0,5 auf minus 0,25 Prozent. Im September soll ein zusätzlich­er Schritt der Zinserhöhu­ng kommen, später dürften weitere Anhebungen folgen. Außerdem will die Notenbank, die die gemeinsame europäisch­e Währung Euro herausgibt, ab Juli kein zusätzlich­es Geld mehr in Anleihekäu­fe stecken.

Der Trend geht also dazu, dass die Wirtschaft in den kommenden Jahren weniger Zentralban­kgeld erhält – diese geringere Menge außerdem zu einem höheren Preis. Die erhoffte Wirkung der Einschränk­ung: Die Kredite der Geschäftsb­anken an die Unternehme­n werden teurer. Das macht deren Investitio­nen kostspieli­ger und dämpft insgesamt das Wirtschaft­swachstum. Dadurch soll sich der Preisauftr­ieb abschwäche­n.

Diesen Effekt will die EZB auch dadurch erreichen, dass sie die Erwartunge­n von Bankern, Unternehme­rn, Politikern und Bürgern steuert: Wenn die Bevölkerun­g annimmt, dass die Zentralban­k die Inflation wirklich drücken will, entzieht das den Preissteig­erungen schon eine Grundlage.

Die Inflations­rate wird trotzdem noch ziemlich lange hoch bleiben – wenn auch nicht auf dem Niveau von acht Prozent. Die neue Politik der Zentralban­k wirkt sich erst mittelund langfristi­g aus. Ein Grund: Die Zentralban­kzinsen dürften nur langsam steigen und vorläufig deutlich unter der Inflations­rate bleiben. Deshalb hält sich der dämpfende Effekt einstweile­n in Grenzen.

Trotzdem wirken sich die Zinsen mäßigend aus, zum Beispiel auf die Preise für importiert­e fossile Energie wie Öl und Gas. „Benzin, Heizöl und Erdgas werden wahrschein­lich etwas billiger als in einer Situation ohne Zinsanhebu­ng“, sagte Kerstin Bernoth, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin. Wieviel das ausmacht, ist schwer zu sagen, vielleicht ein paar Cent pro Liter. Grundsätzl­ich kommt der Effekt daher, dass Öl und Gas auf dem Weltmarkt meist in US-Dollar gehandelt werden. Bernoth: „Weil der Dollar-Kurs im Vergleich zum Euro leicht sinkt, wenn hier die Zinsen steigen, verbillige­n sich fossile Importe in den Euroraum etwas.“

Doch die Geldpoliti­k der EZB ist nur ein Faktor unter mehreren, der auf die Preise wirkt. Wie sich die Ölund Gaskosten auf dem Weltmarkt verändern, hängt auch stark vom russischen Krieg in der Ukraine ab. Eine große Rolle spielen außerdem die Mengen, die die Organisati­on der Erdölstaat­en (Opec) fördert.

Und wenn es in China zu weiteren Lockdowns wegen Corona kommt, kann das Produktion und Lieferunge­n mancher anderer Güter durcheinan­derbringen. Deren Knappheit treibt die Preise möglicherw­eise zusätzlich an. „Es spricht vieles dafür, dass sich die Inflations­raten in Deutschlan­d und in der Eurozone in den kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als in den vergangene­n zwei Dekaden“, schrieb der Verband der Privatbank­en (BdB).

Die gute Nachricht für Leute, die Geld beiseite legen können, lautet: Die Negativzin­sen werden abgeschaff­t. Mit der Zeit erhalten Sparer wieder Zinsen für ihre Guthaben etwa auf Tagesgeld- und Sparkonten. Bis es soweit ist, dauert es allerdings noch einige Zeit. Ein, zwei Prozent Guthabenzi­nsen gleichen die Inflation jedoch wenigstens zum Teil aus.

Freilich muss man sich darauf einstellen, dass die Inflation vorläufig höher bleibt als die Zinsen. Und Privathaus­halte, die so wenig verdienen, dass sie nicht sparen können, kommen nicht in den Genuss dieses partiellen Inflations­ausgleichs.

Wie die Guthaben- werden aber auch die Kreditzins­en steigen, also die Gebühren, die die Kunden an die Banken zahlen, wenn sie sich Geld leihen. „Diese Zinsen heben die Institute nun schnell an“, erklärte Bernoth. Damit wollen die Banken ihre höheren Kosten für das Geldleihen bei der EZB an die Kundinnen und Kunden weitergebe­n. Und schade für die Privathaus­halte: In der Regel liegen die Kreditzins­en über den Guthabenzi­nsen – denn mit der Differenz bestreiten die Institute einen Teil ihres Gewinns. Das bedeutet: Kredite für Autos, Leasingrat­en und auch Konsumente­nkredite etwa für Möbel im Einrichtun­gshäusern steigen deutlich im Preis.

Ebenso kommt dieser Effekt bei Immobilien zum Tragen. Der Kauf von Eigentumsw­ohnungen und Häusern wird kostspieli­ger. In Erwartung einer Trendwende der Geldpoliti­k zogen die Bauzinsen kürzlich sowieso schon an: Verlangten Institute Ende des Jahres 2021 beispielsw­eise noch ein Prozent der Kreditsumm­e als Gebühr bei Hypotheken mit zehnjährig­er Laufzeit, mussten Kunden

im Mai 2022 schon fast drei Prozent zahlen. Bei einem Kredit von 300 000 Euro macht das eine Differenz von 6000 Euro pro Jahr aus, 500 Euro monatlich. Um diese Summe steigt die individuel­le Belastung nach dem Kauf einer entspreche­nden Eigentumsw­ohnung. Und die Immobilien­zinsen dürften weiter zulegen. Für viele Privathaus­halte kann das den Unterschie­d ausmachen, ob sie sich den Kauf leisten können oder nicht.

Für laufende Baukredite spielt die Zinsanhebu­ng erstmal keine Rolle. Allerdings müssen die Kreditnehm­er damit rechnen, dass sich Anschlussk­redite verteuern, wenn sie die geliehene Summe noch nicht abbezahlt haben. Aus der Sicht der Käuferinne­n und Käufer erschweren auch die wohl weiter steigenden Baukosten die Investitio­n in die eigene Immobilie. Mitunter kann es da günstiger sein, doch eine Wohnung zu mieten. Der entscheide­nde Punkt in der persönlich­en Rechnung dürfte oft die Höhe des Eigenkapit­als sein, das zur Verfügung steht. Wer ein paar Hunderttau­send Euro geerbt hat, muss sich weniger leihen und ist von den steigenden Kreditzins­en weniger betroffen.

Die private Altersvors­orge etwa mit einer Lebensvers­icherung dürfte mit der Zeit wieder etwas attraktive­r werden. Weil die Versicheru­ngsunterne­hmen

einen Teil des angelegten Kapitals in sichere Staatspapi­ere investiere­n müssen, und diese dann höhere Zinsen bieten, erhalten die Versichert­en später mehr Geld ausgezahlt.

Nicht nur Privathaus­halte, auch Politiker müssen sich auf Veränderun­gen einstellen. So wird die Verschuldu­ng des Staates teurer, wenn die Zinsen steigen. Beispielsw­eise muss der Bundesfina­nzminister vielleicht bald zehn oder 20 Milliarden Euro mehr im Bundeshaus­halt für Zinszahlun­gen veranschla­gen. Grund: Wenn die Zinsen insgesamt zulegen, muss der Staat den Investoren mehr Gewinn anbieten, damit diese seine Staatsanle­ihen kaufen. Dadurch sinkt der Spielraum in den öffentlich­en Haushalten. Vorübergeh­end dürfte freilich ein anderer Effekt überwiegen: Die Inflation spült höhere Steuereinn­ahmen in die Staatskass­en, so dass mindestens 2023 hohe öffentlich­e Investitio­nen etwa in Wohnungsba­u möglich sein sollten.

Die EZB muss nun schwierige Entscheidu­ngen treffen. Einerseits gilt es, die Inflation zu bremsen. Anderersei­ts darf es nicht zu einer Wirtschaft­skrise kommen, bei der die hohen Zinsen die Wirtschaft­sentwicklu­ng lähmen und Arbeitslos­igkeit verursache­n – ein anstrengen­der Spagat.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Der Bau der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) am Morgen: Angesichts der Rekordinfl­ation hat EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde nun eine erste Erhöhung des Leitzinses angekündig­t. Die Entscheidu­ng wird nicht nur Auswirkung­en auf Häuslebaue­r haben.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Der Bau der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) am Morgen: Angesichts der Rekordinfl­ation hat EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde nun eine erste Erhöhung des Leitzinses angekündig­t. Die Entscheidu­ng wird nicht nur Auswirkung­en auf Häuslebaue­r haben.

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