Gränzbote

Zeit – was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen

Philosoph Rüdiger Safranski ist mit seinem Buch „Zeit“zu Gast bei „Autor im Gespräch“

- Von Manfred Brugger

VILLINGEN - Der Philosoph Rüdiger Safranski war vor Kurzem zu Gast in der Reihe „Autor im Gespräch“im Villinger „Theater am Ring“. Dabei drehte sich alles um das Thema „Zeit“.

Sein Interviewp­artner an diesem Abend, Wolfgang Niess, hieß den Gast in der „Hauptstadt der Zeitmesser“willkommen. Denn dort hat Johannes Bürk 1855 die „Nachtwächt­erKontroll­uhr“erfunden, die Urform der Stechuhren und der„Taktgeber der Moderne“.

Safranskis Buch über die „Zeit“beschäftig­t sich im ersten Kapitel mit der Langeweile, der „ereignislo­sen Zeit“, die gleichwohl produktiv sein kann. So man es mit sich selber aushält und seine „bildgebend­en

Verfahren“in Gang zu setzen vermag, sprich die Phantasie.

„Was in unserer modernen Zeit tagtäglich an Eindrücken auf uns niederpras­selt, übersteigt längst unser Fassungsve­rmögen“, so Safranskis Analyse – laut Statistik bleiben von den durchschni­ttlich fünfzehn Tagesschau-Themen ganze drei haften. „Denn Eindrücke müssen verarbeite­t werden, um zu Erfahrunge­n zu werden“. Und das brauche seine Zeit.

„Wir sind endliche Wesen in der Zeit, die wir ganz unterschie­dlich erleben“, so Safranski weiter. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wissen wir von Hermann Hesse, dem jede und jeder Frischverl­iebte beipflicht­en wird, das Wiedersehe­n kaum erwarten könnend.

Das Kontrastpr­ogramm dazu hat uns Corona vor Augen geführt, wo es immer „dünner“wurde und die Zeit bisweilen nur noch quälend langsam verstriche­n ist. Befeuert von der „Sorge“, nach den Worten von Martin

Heidegger „das diensthabe­nde

Organ der Zeit“.

„Zeit wird oft mit den Instrument­en zur Zeitmessun­g verwechsel­t“, so die Beobachtun­g von Safranskis

Interviewp­artner. Die „Weltzeit“(Stichwort Greenwich) hat die industriel­le Revolution hervorgebr­acht und zugleich die bis dahin ungezählte­n „Lokalzeite­n“vereinheit­licht. Und nebenbei auch noch die Herrschaft über die Arbeitszei­t begründet (Charlie Chaplins „Modern Times“lassen grüßen).

„Robinson Crusoe hat von Anfang an die Tage auf seiner Insel gezählt“(daher „Freitag“), um eine stabilisie­rende Struktur in sein einsames Dasein zu bekommen. „Die geballte Echtzeit unserer Tage ist eine einzige Überforder­ung“, so Safranski, mit einem beängstige­nden Wachstumsp­otential.

Die „Eigenzeit“(„die erlebte Zeit als Taktgeber in unserem Körper“) schlägt den Bogen zur Forderung nach einer „Neuen Zeitpoliti­k“.

Nicht nur wegen Corona, das soviel ins Rutschen gebracht hat. „Wie viel Zeit verwenden wir für was“? „Allesund-sofort“-Forderunge­n in Bedrohungs­lagen wie der Finanzkris­e 2008 beißen sich nämlich mit den Spielregel­n der Demokratie und ihren Mitwirkung­smechanism­en , die ihre Zeit brauchen.

Die letzte Betrachtun­g gilt der Ewigkeit. „Die Sterblichk­eit ist für viele ein Skandal“. Wiewohl unser Ende doch mit dem Anfang verwoben ist und der Tod nur das umfassende Leben danach einläutet. „Das Zeitliche neidlos zu segnen“, also den Weiterlebe­nden die Fortexiste­nz zu gönnen, bedarf des Loslassens. Von den anderen und von sich selbst. „Schließlic­h waren wir vor unserer Geburt auch nicht dabei“, so der lakonische Schlußsatz Safranskis.

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FOTO: MANFRED BRUGGER Wolfgang Niess (links) unterhält sich im Rahmen der Reihe „Autor im Gespräch“im Villinger „Theater am Ring“mit dem Philosophe­n Rüdiger Safranski.

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