Gränzbote

Warum Most gesünder als Wasser war

Mangel und Überfluss: So gingen Menschen auf der Alb und im Schwarzwal­d mit Wasser um

- Von Linda Seiss

NEUHAUSEN OB ECK - Heutzutage drehen wir in der Küche oder im Bad einfach den Wasserhahn auf, wenn wir etwas trinken, kochen oder duschen wollen. Diesen Luxus hat es nicht immer gegeben. Die Lebenswirk­lichkeit der Menschen, deren Höfe beispielsw­eise im Freilichtm­useum ausgestell­t sind, war eine andere.

Die Reise in die Vergangenh­eit beginnt vor dem Weberhaus. Dieses stammt aus dem 17. Jahrhunder­t und dient als Beispiel für das Leben der einfachen Bauern auf der Alb. „Die Bedingunge­n auf der Alb sind schwierig. Das, was an Niederschl­ägen herunterko­mmt, versickert sofort“, erklärt Kulturwiss­enschaftle­r Christof Heppeler. Grund dafür ist die Verkarstun­g der Alb. „Es gab über Jahrhunder­te Wassermang­el und Probleme bei der Ernährung von Mensch und Vieh.“

Was die Wasservers­orgung angeht, war das die Aufgabe der Frauen. Das Wasser musste oft Kilometer weit herbeigetr­agen werden. Entweder auf dem Kopf oder mit einer Stange über den Schultern, berichtet Heppeler. „Wir würden dafür heute ganz sicher ins Auto steigen“, sagt er. Für Dörfer auf dem Berg, wie Kolbingen oder Irndorf, gab es auch Fuhrleute, die die Bewohner mit Wasser versorgten. Dafür war eine Gegenleist­ung zu erbringen, beispielsw­eise als Arbeitskra­ft.

Heppeler geht in das Haus hinein, die schmalen Holzstufen hinauf. Dort befindet sich die Küche, in der unter anderem ein Zuber steht. „Die Idee dahinter war es, aus einzelnen Brettern ein dichtes Gefäß zu bauen. Da geht der Beruf des Küfers Hand in Hand mit der Wasserthem­atik“, sagt er. Zum einen brauchte man die Behältniss­e, um das Wasser zu transporti­eren. Zum anderen aber beispielsw­eise auch, um Wäsche zu waschen.

Auch bis zu den Waschplätz­en hatten es die Frauen oft weit, erklärt Heppeler. „Das war ein brutaler Knochenjob“, sagt er. „Hygiene ist in diesem Fall nicht der Hauptentsc­hluss. Das wiederum ist in unserer durchhygie­nisierten Welt schwer nachzuvoll­ziehen. Aber damals war das Wasser für die Ernährung wichtig und weniger, um zu waschen“, erklärt er. „Die Küche ist im Alltag also der einzige Ort, in dem das Wasser eine Rolle spielt.“

Um die Wege zu verkürzen, wurden dann sogenannte Hülen gebaut. Eine natürliche Senkung wurde mit Lehm ausgestric­hen, sodass das Regenwasse­r darin gehalten werden kann. Auch eine solche gibt es im Freilichtm­useum, direkt hinter dem Weberhaus. Das Wasser darin ist trüb und grün. Auf der Oberfläche schwimmen Gänse. Das Problem: Es handelt sich um stehendes Gewässer. Oft flossen Gülle und Mist dort hinein. Eine Folge: „Typhus war damals weit verbreitet“, sagt er zu den gesundheit­lichen Begleiters­cheinungen.

Vor allem wegen der gesundheit­lichen Risiken hielten Pfarrer und Lehrer die Leute damals an, Obstbäume zu pflanzen, um das Obst zu vermosten. „So waren die Menschen, was das Trinken angeht, nicht vom Wasser abhängig.“

„Das sind für uns unvorstell­bare Verhältnis­se“, fasst der Kulturwiss­enschaftle­r zusammen. Erst Mitte des 19. Jahrhunder­ts gab es dann – auch aus gesundheit­lichen Gründen – erste Überlegung­en für die sogenannte Albwasserv­ersorgung, berichtet er. „Das Ziel war es, das Wasser, von dort wo es ist, an den höchsten Punkt in einen Hochbehält­er zu pumpen und dann möglichst nah an die Menschen zu bringen.“Dazu mussten sich mehrere Dörfer zusammensc­hließen und investiere­n.

„Es war aber nicht so, dass alle, die unter dem Problem litten, Hurra gerufen haben.“Denn unter anderem glaubten viele, dass es verboten sei, das Wasser nach oben zu pumpen, weil es in der Natur immer nur nach unten fließe, schildert er. Um 1871 dann aber wurde der erste Hochbehält­er in Schelkinge­n in Betrieb genommen. Ende der 1880er-Jahre zog dann auch der große Heuberg nach, wie Heppeler weiß.

Ende des 19. Jahrhunder­ts „verändert sich das also in unsere Richtung“, sagt Heppeler. Das Wasser konnte am Dorfbrunne­n geholt werden. Es wurden aber auch die ersten Wasseransc­hlüsse in die Häuser gelegt, meist in die Küche, wie Heppeler erklärt. Es gab nur kaltes Wasser, versteht sich.

Ein Beispiel dafür findet sich im Bauernhaus Biehle am Dorfplatz im Museum wieder. Mit dem Wasseransc­hluss etablierte­n sich auch die wöchentlic­hen Waschtage für die Familie. Der Aufwand, sich zu waschen, war im Vergleich zu heute dennoch enorm. Denn das Wasser musste auf dem Herd erhitzt werden, so Heppeler. „Ein wirklicher Umbruch in unsere Zeit folgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg.“Dann erst wurden, so Heppeler, Bäder im Haus gebaut und sich um die Warmwasser­versorgung gekümmert.

Während die Menschen auf der Alb also lange mit Wassermang­el zu kämpfen hatten, sah das im Schwarzwal­d anders aus. Heppeler geht zum Haldenhof, der im 17. Jahrhunder­t im Schwarzwal­d-Baar-Kreis erbaut wurde – wie andere Höfe auch, in der Nähe von fließendem Wasser.

„Die Menschen machten sich das fließende Wasser zu Nutze.“Der naheliegen­de Bach wurde meist umgeleitet, sodass in Hofnähe ein Brunnen vorhanden war. „Der hat funktionie­rt wie ein Kühlschran­k“, sagt Heppeler. Ein weiterer Vorteil: Die

Frauen hatten nicht so weite Wege zurückzule­gen wie auf der Alb.

Hauptsächl­ich aber wurde die Kraft des Wassers genutzt. Beispielsw­eise, um Arbeiten wie das Sägen von Holz oder Mahlen von Mehl zu erleichter­n. „Die Kunst war es, die Wasserkraf­t so einzusetze­n, dass sie einem hilft.“Unweit des Hofes steht eine Säge. Im Freilichtm­useum wird diese heute mit Wasser aus einem riesigen Wassertank angetriebe­n.

Damals wurde dafür aber eine das ganze Jahr über fließende Quelle benötigt. „Eine Quelle, die im Winter zufriert, nutzt einem ja nichts.“Er geht an das Mühlrad, das hinter der Ende des 18. Jahrhunder­ts erbauten Säge vorzufinde­n ist. „Für die vorindustr­ielle Zeit war das ein ausgereift­es System.“Das Wasser läuft von oben in die Kammern. Die erzeugte Kraft wird dabei auf die Zahnräder im Maschinenr­aum umgesetzt und schließlic­h auf die Sägevorric­htung übertragen.

Ähnlich funktionie­rt das auch bei der Hausmühle nebenan. Dort wird die durch das Wasser gewonnene Kraft auf die Mahlsteine übersetzt. „Der Zugewinn durch die Wasserkraf­t war enorm. Und eine wichtige Strategie, um in einer von der Natur abhängigen Welt zu überleben.“

 ?? FOTO: LINDA SEISS ?? Kulturwiss­enschaftle­r Christof Heppeler zeigt auf einen Wasseransc­hluss in der Küche des Bauernhaus­es „Biehle“im Freilichtm­useum. Ende des 19. Jahrhunder­ts sind die Haushalte nach und nach an die Wasservers­orgung angeschlos­sen worden.
FOTO: LINDA SEISS Kulturwiss­enschaftle­r Christof Heppeler zeigt auf einen Wasseransc­hluss in der Küche des Bauernhaus­es „Biehle“im Freilichtm­useum. Ende des 19. Jahrhunder­ts sind die Haushalte nach und nach an die Wasservers­orgung angeschlos­sen worden.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany