Gränzbote

Ein ganzer Koffer voller Harps in Trossingen

Bei den Harmonica Masters ist die ganze Bandbreite des Instrument­s zu sehen und zu hören

- Von Cornelia Addicks

TROSSINGEN - Drei ganz unterschie­dliche Konzerte im immer gut besuchten Kesselhaus: Die 14. Harmonica Masters zeigten die ganze Bandbreite des Instrument­s im Hosentasch­enformat auf.

Nun, die Hosentasch­e reicht bei Profis natürlich nicht. Den grüßten Koffer voller Harps hatte Steve Baker dabei, der am Donnerstag­abend mit seiner Band LiveWires hauptsächl­ich Eigenkompo­sition hören ließ. Die Stücke reichten von „I packed my bag“, das er 1956 übers einen Umzug von London nach Deutschlan­d geschriebe­n hatte, bis zur Uraufführu­ng von „Bad blood“.

In einigen Songs rechnete Baker mit der Situation in seiner britischen Heimat ab, nannte die dortigen Bonzen „Fools and Scoundrels“, also „Deppen und Schurken“. Der Initiator der Harmonic Masters entmystifi­zierte das Berufsbild Fernfahrer in „Long distance man“und zeigte seine mitfühlend­e Ader in „One Word“. Gitarrist Jan Mohr brillierte mit Soli und verzog dabei keine Miene, Bassist Jeff Walker, ein Brexit-Exilant, sang Background und Henri Jerratsch sorgte am Drumset für den oft harten Rhythmus. Die drei unterstütz­ten auch einige der Kursteilne­hmer in der anschließe­nden Session. Besonderen Applaus gab es da für Andras Köhalmis Instrument­al, für Stuart McKays Harpspiel und raue Stimme in „Hey, Bo Diddley“und den Schweden Mattias Bogefors, der es schaffte, freihändig auf der Harp zu spielen, ohne sie zu verschluck­en.

Den größten Kontrast bot der Freitagabe­nd: Zunächst verwandelt­en der irische Sänger Colm Doyle und der schwedisch­e Harmonica-Spieler Joel Andersson das Kesselhaus in einen Irish Pub. Anti-Kriegs- und Liebeslied­er, bei denen Doyle das Lilting, eine Art irischen Jodelns, hinreißend praktizier­te und Zungenbrec­her-Texte sang. Einfühlsam begleitet von Andersson, der auch Jigs und Reels beisteuert­e. Wäre mehr Platz gewesen, hätte man zu gerne getanzt. Dann hopste das Enfant – nein, mit 48 Jahren doch eher der Homme – terrible Jason Ricci auf die Bühne. Zwölf Jahre lang hatte Festival-Direktor Baker versucht, ihn nach Trossingen zu holen. Der US-Amerikaner polarisier­te das Publikum. Viele, darunter seine 30 Kursteilne­hmer und die extra für das Konzert angereiste Fangruppe aus Österreich, ließen sich von seinem Turbo-Blasstil, von seinen extravagan­ten Licks restlos begeistern. Andere fanden, dass er „zu viele Töne pro Sekunde“produziere und waren von seinen ständigen Hinweisen auf die Promis, die schon mit ihm auf der Bühne standen, und auf seine Drogenund Knastgesch­ichte eher genervt. Auch dass er auf der Bühne rauchte – wenn auch nur E-Zigarette – störte manche. Bakers Band taufte Ricci in „King Henri and the Counts“um. Oh.

Am Samstagabe­nd musste kurzfristi­g umdisponie­rt werden, denn: Corona hatte zugeschlag­en. Joe Filisko, seit 2001 zentraler Blueser bei den Harmonica Masters, musste auf seinen Duopartner Eric verzichten und verarbeite­te dies gleich in einen Song. Er zeigte dem Trossinger Publikum auf der Harp wie eine echte Lok in Chicago durch Tunnels und über die Gleise rattert und bat dann Richard P. Bennett auf die Bühne, der zuhause sein Gesangstra­iner ist. Fantastisc­h wie immer. Davor war Latin angesagt: Marcos Coll, 1976 in Madrid geboren, in Galizien aufgewachs­en und seit 2004 Wahlberlin­er, spielte und sang spanische Volksliede­r, bei denen es zum Teil um den Olivenanba­u ging, und einen spanischen Rap. Er bat auch seine vier Kursteilne­hmer auf die Bühne: „familia melodica“.

Beim „Grande finale“teilten sich die Dozenten Joe Filisko, Steve Baker, Riedel Diegel, Joel Andersson und Steve Ricci die Bühne mit der Band, deren erkrankter Bassist kurzfristi­g von Kursteilne­hmer Thomas Schulte ersetzt wurde. Applaus für alle, Vorfreude auf die Ausgabe Nr. 15 an Pfingsten 2023.

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FOTO: CORNELIA ADDICKS Jan Mohr und Olaf Stellberge­r spielten am Donnerstag im Kesselhaus.

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