Mit den letzten Körnern
Die Nationalmannschaft möchte mit einem Erfolgserlebnis in die Sommerpause gehen
BUDAPEST/DÜSSELDORF - Kroatien, Südtirol, die USA (Miami), die Malediven oder eine der griechischen Inseln (Mykonos) – nicht die nächsten Gegner der deutschen Nationalelf, sondern beliebte Urlaubsziele der DFB-Kicker für diesen Sommer. Die Baleareninsel Ibiza ist auch sehr gefragt, sogar weltweit in Fußballerkreisen. Dort könnte man in der zweiten Juni-Hälfte ganz easy ein Match mit zwei Weltauswahlen stattfinden lassen. Vor dem Ferienbeginn am Mittwoch, die meisten Nationalspieler bekommen drei bis vier Wochen von ihren Vereinen frei, steht das letzte Spiel der Saison in Mönchengladbach (20.45 Uhr, ZDF) an: Gegen Europameister Italien – danach heißt es: ab in den Urlaub. Und das mit einem guten Gefühl? Mit einem Erfolgserlebnis?
Wird dringend benötigt. Nicht nur für die Statistik, sondern vor allem für die Seele und das Bauchgefühl. Denn: der letzte Eindruck bleibt. Nach vier Unentschieden in Serie (jeweils 1:1) winkt der DFB-Auswahl der nächste Negativrekord: ein fünftes Spiel in Folge ohne Dreier hatte es zuletzt vor dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland gegeben. Für Bundestrainer Hansi Flick würde ein weiteres Sieglos-Spiel eine Trendumkehr bedeuten. Ab September, seinem Amtsantritt, gewann der gebürtige Heidelberger acht Partien am Stück, davon sieben in der souverän errungenen WM-Qualifikation – und ist nun seit vier Spielen sieglos. „Am Dienstag zählt’s noch mal, da wollen wir alle Körner drin haben“, sagte Flick am Montagmittag im Hotel Corinthia in Budapest bevor der DFBTross mit Flug LH 343 nach Düsseldorf flog, um am Abend im Crowne Plaza Hotel in Neuss einzuchecken. Die gute Nachricht von Flick: „Alle, die da sind, sind einsatzfähig.“Also auch Bayern-Angreifer Serge Gnabry, der wegen muskulärer Probleme auf das Ungarn-Spiel verzichten musste. Antonio Rüdiger, künftig ein Königlicher, wird nach seiner Pause zur Schonung den gelb-gesperrten Nico Schlotterbeck, künftig ein SchwarzGelber, in der Innenverteidigung ersetzen. Ob nur ein wenig oder doch kräftig rotiert wird, wollte Flick mit seinem Trainerteam nach einer medizinischen Sitzung entscheiden.
Ein halbes Alibi gab er seinen Spielern jedoch schon mit auf den Weg gegen Italien: „Es steckt allen eine lange Saison in den Knochen.“Dennoch erwarte er, dass sein Team im Duell der viermaligen Weltmeister „noch einmal alles reinhauen“werde. Damit man erkennen könne, wer sich für die Winter-WM in Katar qualifiziert hat – und wer eben nicht. Im ausverkauften Borussia-Park will Flick „Dynamik, Tempo und Überzeugung“bei seiner Mannschaft sehen. All das ließen die Nationalspieler in Budapest vermissen, daher appelliert er an das „Vertrauen in die eigene Qualität“und forderte: „Die Mannschaft muss wissen, welche Stärke sie hat. Wir haben großartige Spieler in unseren Reihen.“
Es klang schon fast beschwörend. Ein Sieg muss her, damit auch medial Ruhe herrscht bis zum Wiedersehen im September, wenn Flick nach den letzten beiden Nations-League-Gruppenspielen gegen Ungarn und in England den WM-Kader nominieren muss. Und: Aus Katar will man nicht frühzeitig in den Weihnachtsurlaub geschickt werden.
Man müsse „jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken“, sagte Kapitän Manuel Neuer, der dabei wohl nicht Sommer, Sonne und Meer im Kopf hatte. „Wir haben in den drei Spielen gute und schlechte Seiten unserer Mannschaft gesehen“, meinte der Rekordnationaltorhüter, der sein 113. Länderspiel bestreitet, und betonte die Wichtigkeit, eines siegreichen Saisonabschlusses: „Das würde uns gut schmecken, weil wir in den letzten Jahren gegen Italien nicht ein Spiel über 90 Minuten gewonnen haben, 2016 mussten wir ins Elfmeterschießen (und gewannen im EM-Viertelfinale, d. Red.). Das wäre ein super Abschluss für uns, wenn wir drei Punkte einfahren und eine große Mannschaft schlagen, worauf wir jetzt schon etwas länger warten. Dieses Erfolgserlebnis brauchen wir einfach.“
Bitter für den ehrgeizigen Nationaltorhüter: Das 2:0 im WM-Testspiel im März in Sinsheim gegen Israel war die letzte Partie einer deutschen Nationalelf ohne Gegentreffer. Im Tor erst Marc-André ter Stegen, nach der Pause Kevin Trapp. Es folgten vier 1:1Remis, davon drei nun in der Nations League. Immer mit Neuer. Das letzte, für jeden Torhüter ultimativ zufriedenstellende Zu-Null-Gefühl ist bei Neuer schon satte acht Wochen und sechs Spiele mit Gegentor(-en) her: am 17. April beim 3:0 der Bayern in Bielefeld. Nach dem 1:1 in Ungarn mahnte Neuer mit deutlichen Worten die defensiven Mängel seiner Vorderleute an, die von den Flügeln zu viele Flanken zuließen, und betonte die Wichtigkeit, mal kein Tor zu kassieren. Nicht nur aus Eigeninteresse.
Wenn sein Vertrag in München 2024 endet, ist er 38 Jahre alt. Beendet er dann mit dem Schlusspunkt HeimEM seine Karriere? „Ich möchte mich nicht über den Rasen schleppen. Wir werden sehen, wie lange es der Fall sein wird, dass ich fit bin und meine Leistung bringe“, sagte Neuer – und freut sich jetzt erstmal auf den Urlaub.