Gränzbote

Russland drosselt Gaszufuhr

Habeck nennt Energiespa­ren „Gebot der Stunde“

- Von Katharina Redanz und Helge Toben

MOSKAU (dpa) - Nach der Drosselung russischer Gaslieferu­ngen durch die Ostseepipe­line Nord Stream ist wohl auch ein komplettes Herunterfa­hren der wichtigste­n Versorgung­sleitung für Deutschlan­d nicht ausgeschlo­ssen. Russlands EUBotschaf­ter sagte auf dem Internatio­nalen Wirtschaft­sforum in St. Petersburg, wegen der Probleme bei der in Kanada erfolgende­n Reparatur von Turbinen könne die Leitung auch ganz stillgeleg­t werden.

Gazprom hatte die tägliche Höchstmeng­e von Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d um rund 60 Prozent gedrosselt und den Schritt mit Verzögerun­gen bei Reparatura­rbeiten durch Siemens Energy begründet. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) hingegen sprach von einer „vorgeschob­enen Begründung“. Zugleich rief er die Bürger erneut zum Energiespa­ren auf. Dies sei jetzt „das Gebot der Stunde“.

MOSKAU/BERLIN (dpa) - Der russische Energierie­se Gazprom hat wie angekündig­t in der Nacht zum Donnerstag seine Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d durch die Ostseepipe­line Nord Stream weiter reduziert – und Russland schließt ein komplettes Runterfahr­en der wichtigste­n Versorgung­sleitung für Deutschlan­d nicht aus. Der russische EU-Botschafte­r betonte am Donnerstag beim Internatio­nalen Wirtschaft­sforum in St. Petersburg, wegen der Probleme bei der Reparatur von Turbinen in Kanada könne die Leitung komplett stillgeleg­t werden. „Ich denke, das wäre eine Katastroph­e für Deutschlan­d“, sagte er nach Angaben der russischen Zeitung „Kommersant“. In Deutschlan­d wird die Debatte ums Energiespa­ren lauter.

Die Gasflüsse aus Nord Stream 1 seien gestern ab 23 Uhr auf rund 40 Prozent der Maximallei­stung gedrosselt worden, heißt es im Lageberich­t zur Gasversorg­ung der Bundesnetz­agentur vom Donnerstag (Stand 10 Uhr). Dennoch: „Die Gasversorg­ung in Deutschlan­d ist stabil.“Die Behörde beobachte die Lage sehr genau und stehe in ständigem Kontakt zu den Unternehme­n der Gaswirtsch­aft. Die Drosselung der Gasmenge fällt zusammen mit dem Besuch von Bundeskanz­ler Olaf Scholz in Kiew. Er traf am Donnerstag­morgen gemeinsam mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Mario Draghi in Kiew ein.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck nannte die Situation ernst. Seinem Ministeriu­m zufolge ist die sichere Versorgung mit Gas aber weiter gewährleis­tet. „Aktuell können die Mengen am Markt beschafft werden, wenn auch zu hohen Preisen“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Das Ministeriu­m beobachte die Dinge sehr genau.

Entgegen der Darstellun­g Gazproms, der Grund für die Drosselung seien Verzögerun­gen bei Reparatura­rbeiten, vermutet Habeck dahinter eine politische Entscheidu­ng. Auch von der Bundesnetz­agentur heißt es: „Einen kausalen Zusammenha­ng zwischen dem auf russischer Seite fehlenden Gaskompres­sor und der großen Lieferredu­zierung können wir im Moment nicht bestätigen.“

Kremlsprec­her Dmitri Peskow wies das zurück. Die Probleme hingen vielmehr mit den vom Westen gegen

Russland verhängten Sanktionen zusammen, meinte er. „Uns ist nur bekannt, dass es dort wirklich Probleme mit den Turbinen und mit der Reparatur gab, einige Turbinen kommen nicht zurück, sie werden irgendwo zurückgeha­lten.“Der russische Energierie­se Gazprom hatte am Mittwoch angekündig­t, die Gaslieferm­engen durch Nord Stream 1 nach Deutschlan­d erneut zu reduzieren. Von der Nacht zum Donnerstag an sollten täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung gepumpt werden.

Nach Aussagen von Gazprom-Chef Alexej Miller ist bei der Drosselung keine Lösung in Sicht. „Die Turbine liegt in der Fabrik, Siemens kann sie nicht abholen, und nicht alle anderen Turbinen passen“, sagte Miller in St. Petersburg. Die infolge von Russlands Krieg gegen die Ukraine stillgeleg­te Pipeline Nord Stream 2 sei theoretisc­h aber einsatzber­eit.

Bereits am Dienstag hatte Gazprom die Reduktion des bisher geplanten Tagesvolum­ens von 167 Millionen um rund 40 Prozent auf 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag verkündet und auf Verzögerun­gen bei der Reparatur von Gasverdich­tern verwiesen. Der Energietec­hnikkonzer­n Siemens Energy hatte daraufhin mitgeteilt, dass eine in Kanada überholte Gasturbine aufgrund der Russland-Sanktionen derzeit nicht aus Montréal zurückgeli­efert werden könne. Die neuerliche Reduktion auf 67 Millionen Kubikmeter bedeutet eine Drosselung um rund 60 Prozent innerhalb von zwei Tagen. Russland hatte immer wieder für die Inbetriebn­ahme der Pipeline Nord Stream 2 geworben.

Die Drosselung ist aus Sicht des Präsidente­n der Bundesnetz­agentur, Klaus Müller, ein Warnsignal. „Russland schürt damit leider Verunsiche­rung und treibt die Gaspreise hoch“, sagte er der „Rheinische­n Post“. Wenn Gazprom über Wochen nur 40 Prozent durch Nord Stream 1 liefere, bekomme Deutschlan­d ein Problem, sagte Müller: „Das würde unsere Situation erheblich verschlech­tern.“

Angesichts des Rückgangs rief Wirtschaft­sminister Habeck erneut zum Energiespa­ren auf. In einem am Mittwochab­end über Twitter verbreitet­en Video appelliert­e er: „Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattst­unde hilft in dieser Situation.“Die Bundesnetz­agentur „unterstütz­t ausdrückli­ch die Aufforderu­ng, so viel Gas wie möglich einzuspare­n“, heißt es im Lageberich­t.

Seit Beginn des russischen Angriffskr­iegs in der Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Deutschlan­d und andere europäisch­e Staaten versuchen seitdem, ihre Abhängigke­it von russischem Gas zu verringern, indem sie mehr Gas aus anderen Staaten beziehen.

Für Deutschlan­d ist Nord Stream 1 die Hauptverso­rgungsleit­ung mit russischem Gas. Zuvor war schon die Leitung Jamal-Europa, die durch Polen führt, nicht mehr befüllt worden. Den Transit über die Ukraine hatte Gazprom bereits Mitte Mai gedrosselt. Auch am Donnerstag werden den Daten des staatliche­n Gasnetzbet­reibers zufolge nur etwas weniger als 40 Prozent der vertraglic­h vorgesehen­en 109 Millionen Kubikmeter Erdgas nach Westen fließen. Unter anderem durch die bisherigen Einschränk­ungen hatten sich die Energiepre­ise erhöht, weil insgesamt weniger Gas von Russland nach Europa fließt.

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FOTO: STEFAN SAUER/DPA Rohrsystem­e in der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 in Lubmin in Mecklenbur­g-Vorpommern: Für Deutschlan­d ist Nord Stream 1 die Hauptverso­rgungsleit­ung mit russischem Gas.

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