„Die Geschichte des Brudermords ist zeitloser Stoff“
Der Dirigent des Hassler-Consort Franz Raml über die bis heute gültige Aussagekraft der Geschichte von Kain und Abel
Nach über zwei Jahren CoronaPause kann auch das HasslerConsort rund um den Dirigenten und Organisten Franz Raml wieder mit einer Rarität aufwarten: Im Rahmen seiner Konzertreihe im Kornhaus in Ulm erklingt am 17. und 18. Juni das Oratorium „Cain overo Il primo omicidio“(„Cain oder auch Der erste Mord“) von Alessandro Scarlatti, einen Tag später ist die Produktion im Stadttheater Lindau zu Gast. Denn die Geschichte um Adam und Eva, die Vertreibung aus dem Paradies und den Brudermord Kains an Abel passt wunderbar zu der in der ganzen Stadt gezeigten BiennaleSchau „In situ Paradise“.
Herr Raml, wie sind Sie auf Scarlattis „Cain“gestoßen?
Ich habe mit dem Hassler-Consort einige Opern von Händel aufgeführt und suche immer neue Stücke. So bin ich auf die Oper „Griselda“von Scarlatti gestoßen und danach auf „Cain“. Bei Scarlatti muss ich nur drei Takte hören und bin schon begeistert, dieser neapolitanische Stil in seiner musikalischen Aussagekraft spricht mich sofort an. Wenn dann auch das Libretto auf den ersten Blick passt – was ja in den Barockopern mit ihren Verwicklungen nicht immer zutrifft –, dann ist es fein!
Wie würden Sie „Cain“charakterisieren?
Die Geschichte des Brudermords ist ja ein ganz zeitloser Stoff, denn es geht um Neid, Ungleichheit und Ungerechtigkeit als Ursprung unmoralischen Handelns. Auch der Umgang mit Schuld und Ent-Schuldigen ist ein uraltes Thema, wenn wir bedenken, wie ganze Generationen mit der Aufarbeitung der Kriege zu tun haben. In „Cain“gibt sich Eva die Schuld an der Vertreibung aus dem Paradies, während Adam eher der ruhige Vater ist.
Mit dem Altus Flavio Ferri-Benedetti haben wir einen sehr ausdrucksstarken Sänger für die Partie des Cain eingeladen. Abel wird von einer Sopranistin (Marie-Sophie Pollak) gesungen, das Besondere ist, dass Abel auch als Ermordeter noch zu seinen Eltern spricht. Dann gibt es die Stimme Gottes, der hier eher mild handelt und von einer Mezzosopranistin (Lea Elisabeth
Müller) gesungen wird. Und es gibt die Stimme Luzifers, der Cain den Mord an Abel einflüstert und ihn ins Verderben stürzt. Musikalisch ist das die dramatischste Partie und wird vom Bassisten Clemens Morgenthaler gesungen. Im Orchester musizieren Streicher und eine große Generalbassgruppe mit Cembalo, Lauten und Harfen.
Sie haben eine halbszenische Aufführung geplant, was kann man sich darunter vorstellen?
Bei Scarlatti gibt es dynamische Rezitative, in denen die Handlung vorangetrieben wird, und statische Arien, die von einem bestimmten musikalischen Affekt getragen sind. Das lässt sich schwer inszenieren. Bei uns agieren die Sänger nur wenig, sie singen aber auswendig. Dazu sorgen aber das moderne Bühnenbild und die Kostüme der in Ulm lebenden Künstlerin Marianne Hollenstein für Farbexplosionen. Die Musik steht im Vordergrund, wird aber unterstützt von der Optik. Außerdem gestaltet ein Sprecher einen Vorspruch, der in die Handlung einführt.
Das Hassler-Consort
spielt im Kornhaus Ulm am 17. /18. Juni und am 19. Juni im Stadttheater Lindau, jeweils 19.30 Uhr