Mit ÖPNV zur Arbeit oft Herausforderung
Auch Aldinger Gewerbegebiet „Nagelsee“könnte eine Bushaltestelle bekommen
SPAICHINGEN/ALDINGEN - Mit dem Bus oder dem Ringzug zur Arbeit oder in die Berufsschule zu fahren, ist gut für die CO2-Bilanz, und für viele, die kein Auto oder keinen Führerschein haben, ist es auch schlicht eine Notwendigkeit. Manche Gewerbegebiete wie die Max-Planck-Straße in Spaichingen, aber auch die ErwinTeufel-Berufsschule sind recht gut erreichbar. Das Aldinger Gewerbegebiet „Nagelsee“dagegen ist bisher nicht an den ÖPNV angeschlossen. Doch jetzt geht das Nahverkehrsamt des Landkreises nach einer Vorprüfung davon aus, dass eine Bushaltestelle dort möglich wäre – aber nur, wenn an anderer Stelle entsprechend eingespart wird.
Die Erwin-Teufel-Berufsschule (ETS) in Spaichingen hat insgesamt 1318 Schülerinnen und Schüler. Davon sind 69 Prozent (911 Schülerinnen und Schüler) Teilzeitschüler (also in einem Ausbildungsverhältnis) und 31 Prozent (407) sind Vollzeitschüler, die den Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife oder die Fachhochschulreife anstreben. „Im Durchschnitt sind an unserer Schule somit täglich in etwa 600 bis 700 Schülerinnen und Schüler“, so Schulleiter Werner Blaudischek gegenüber unserer Zeitung.
„Die Berufsschüler“, so der Schulleiter, „also Schüler/innen in einem Ausbildungsverhältnis, sind in der Regel etwas älter und haben daher auch einen Führerschein. Diese kommen häufig mit dem Auto und bilden auch teilweise Fahrgemeinschaften.“Von den meist jüngeren Vollzeitschülern dagegen haben 273, also gut zwei Drittel, eine Kidcard, die Monatskarte für Schüler.
Die ÖPNV-Anbindung der Schule hat, wie Blaudischek es ausdrückt, „noch Potenzial“. Während die Bahnlinie Rottweil-Tuttlingen „hervorragend“funktioniere (von der RingzugHaltestelle „Spaichingen Mitte“bis zur ETS sind es nur noch rund 500 Meter Fußweg), und auch die Buslinie 230, die von Königsheim her über Bubsheim, Böttingen, Dürbheim, Rietheim und Balgheim fährt, für eine gute Anbindung sorgt, sei es von Gosheim und Wehingen her schon eine gewisse „Herausforderung“. Hier müssen die Schüler zuerst mit dem Bus 220 nach Aldingen fahren, um dort dann auf den Ringzug umzusteigen. „Bärenthal ist noch viel schwieriger“, so Blaudischek. Hier müssen Schüler mit Fahrzeiten von einer Stunde, drei Minuten bis zu zwei Stunden, 43 Minuten rechnen.
Auch die Gewerbebetriebe an der Max-Planck-Straße sind über den Ringzug gut zu erreichen: Über die „Hühnerleiter“kommt man vom Spaichinger Bahnhof auf die Daimlerstraße und ist dann nach wenigen Metern auf die Max-Planck-Straße.
Wer dagegen mit dem ÖPNV in einen der Betriebe des Aldinger Gewerbegebiets „Nagelsee“möchte, muss fast zwei Kilometer von der nächsten Bushaltestelle im Aldinger Gemeindegebiet laufen. „Nagelsee“liegt außerhalb des Ortes an der K 5910 zwischen Aldingen und Schura. Die Gemeinde Aldingen hatte beim Nahverkehrsamt des Landkreises daher eine Bitte für eine Bushaltestelle „Nagelsee“gestellt, nachdem der größte Arbeitgeber in dem Gewerbegebiet, die Firma Hommel & Keller, ein solches Interesse bekundet hatte – vor allem wegen der Lehrlinge, die noch kein eigenes Auto haben und teilweise von ihren Eltern gebracht werden müssen.
Auch die Firma Loga, die gerade in „Nagelsee“baut, habe Interesse an einer ÖPNV-Anbindung, so Aldingens Hauptamtsleiterin Iris Stieler.
Eine erste Interessensabfrage bei den Betrieben in „Nagelsee“, die die Gemeinde Aldingen selbst gestartet hatte, sei dem Nahverkehrsamt aber methodisch nicht ausreichend gewesen, so Iris Stieler, so dass das Amt selbst eine professionelle Abfrage gestartet habe.
Eine Busanbindung, so das Nahverkehrsamt in einem Schreiben an die Gemeinde, würde etwa 42 000 Euro kosten. Angesichts der engen Haushaltslage im Kreis sei diese daher nur möglich, wenn eine entsprechende Summe an anderer Stelle eingespart wird, etwa indem eine andere, weniger genutzte Linie, eingestellt wird.
Dass die Erreichbarkeit von Gewerbegebieten und Berufsschulen ein entscheidender Standortfaktor ist, weiß auch die Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-BaarHeuberg (IHK SBH). Auch um das Land dabei zu unterstützen, seine ÖPNV-Strategie umzusetzen (siehe Info-Kasten), hat die IHK SBH die Erreichbarkeit
der regionalen Berufsschulen und der Gewerbegebiete in den größten Arbeitsmarktzentren der Region analysieren lassen. Eine interaktive Karte soll künftig das Ergebnis der Analyse online präsentieren, funktioniert aber derzeit aus technischen Gründen noch nicht.
Relativ gut ist laut der IHK-Analyse etwa die ÖPNV-Anbindung des Gewerbegebiets Max-Planck-Straße in Spaichingen, dass man bei Ankunft vor 7 Uhr von Frittlingen, aber auch von Immendingen oder EmmingenLiptingen aus in unter einer Stunde, von Trossingen oder Durchhausen aus in weniger als 30 Minuten erreichen kann.
Unter anderem, um das Gewerbegebiet Gänsäcker besser ans Busnetz anzubinden, hat die Stadt Tuttlingen beim Landkreis ab 2023 zusätzliche Streckenkilometer für ihren Stadtverkehr gebucht. Bisher ist Gänsäcker am besten über den gleichnamigen Ringzug-Halt zu erreichen – von Spaichingen aus in einer knappen halben Stunde, aber von Wehingen aus, von wo man zuerst mit dem Bus nach Aldingen oder Mühlheim a.D. fahren muss, um dort auf die Bahn umzusteigen ist es über eine Stunde.
Zum anderen soll das Klinikum künftig im Halbstundentakt statt bisher im Stundentakt erreichbar sein. Das ältere Aldinger Gewerbegebiet Brunnenstraße ist mit drei Bushaltestellen relativ gut angebunden: eine beim Kreisverkehr auf der Trossinger Straße, die man in sieben Minuten vom Trossinger Stadtbahnhof aus anfahren kann, die Haltestelle Langäckerstraße und die Haltestelle Brunnenstraße von Aixheim her.
Was die IHK SBH aber nicht untersucht hat, ist die Erreichbarkeit vom Zollernalbkreis aus, da sich die Studie auf die drei Landkreise der Region SBH, also Tuttlingen, Schwarzwald-Baar und Rottweil, beschränkt. Bei einem Besuch von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut auf dem Heuberg im vergangenen Sommer hatte aber die Chefin des Deilinger Unternehmes Volz Gruppe, Sigrid Fleig, das Problem angesprochen: „Wir brauchen eine bessere Verkehrsanbindung. Der Bus von Tuttlingen in den Zollernalbkreis wurde wieder gekappt und unsere Auszubildenden kommen nicht mehr hier hoch.“Andernorts sind Arbeitgeber
selber aktiv geworden, um die Azubis in die Betriebe zu bringen. Der Märkische Arbeitgeberverband (MAV) in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat das Pilotprojekt „MAV macht mobil“auf die Beine gestellt: Neben den üblichen verbilligten Azubi-Tickets für den ÖPNV und einem Sammelbus, der an zwei Wochentagen verkehrt, stellt der MAV für Azubis zum Beispiel auch E-Scooter zur Verfügung.
Wer Bus und Bahn nehmen möchte, am Bahnhof oder zwischen Umstiegen aber noch lange laufen müsste, gelangt so schneller an sein Ziel.
2030 ÖPNV
Das Land will bis die Zahl der Fahrgäste im in BadenWürttemberg verdoppeln. Ein wesentlicher Hebel dazu soll „der flächendeckende und massive Ausbau des ÖPNV-Angebots durch spürbare Fahrplan- und Taktverdichtungen“werden, so Verkehrsminister Winfried Hermann in einer Pressemitteilung. Mit einer Mobilitätsgarantie will die Landesregierung für ein verlässliches Angebot im öffentlichen Verkehr von fünf bis 24 Uhr sorgen, und zwar sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum, und so „einen deutlichen Anreiz zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn setzen“, so der Minister. In Vorbereitung zur Mobilitätsgarantie will das Land bis 2026 die rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen und eventuell anpassen, damit die Kommunen Wohn-, Gewerbe- und Handelsstandorte besser mit ÖPNV-Angeboten erschließen können, aber auch wichtige Infrastrukturen wie etwa Krankenhäuser und sonstige gängige „alltägliche Ziele“– auch beliebte Freizeitziele. (fawa)