Gränzbote

Temperatur­en runter, Pullover an

Die Bundesnetz­agentur schlägt eine Absenkung der Mindesttem­peratur in Wohnungen vor – Der Vorstoß ist umstritten

- Von Claudia Kling

BERLIN - Russland liefert weniger Gas, und die Deutschen ziehen Pullover an, Wolldecken und Stricksock­en. Ist das der Bevölkerun­g zuzumuten, um in der kalten Jahreszeit Gas zu sparen? Die Bundesnetz­agentur in Person ihres Präsidente­n Klaus Müller sieht darin wohl kein Problem. Er will an die Mindesttem­peratur in Wohnräumen ran. „Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken“, sagte er der „Rheinische­n Post“. Was für und was gegen seinen Vorstoß spricht – hier ein Überblick.

Was bedeutet es, wenn die Mindesttem­peratur abgesenkt wird?

Viele Mieter kennen die Nachtabsen­kung. In dieser Zeit wird an Heizungsan­lagen die Vorlauftem­peratur zurückgefa­hren mit dem Ergebnis, dass die Heizwasser­temperatur sinkt und somit auch die Raumtemper­atur. Wenn man den Vorschlag der Bundesnetz­agentur ernst nimmt, müssten die Heizanlage­n so eingestell­t werden, dass tagsüber unter 20 Grad und nachts weniger als 18 Grad erreicht werden können. Allerdings gibt es, anders als von Müller behauptet, keine gesetzlich­e Regelung zu Temperatur­en in Mietwohnun­gen. „Das wird entweder individuel­l im Mietvertra­g geregelt oder durch Urteile“, sagt Jutta Hartmann, Sprecherin des Deutschen Mieterbund­es. Als Mindesttem­peratur gängig seien 20 bis 22 Grad in Wohnräumen.

Warum hat die Bundesregi­erung daran ein Interesse?

Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium befürchtet einen Gasengpass in der Heizperiod­e, sollte Russland die Lieferunge­n weiter zurückfahr­en. Seit Tagen kommt weniger russisches Gas in Deutschlan­d an, weil die Gasflüsse aus der Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt wurden. Nach Ministeriu­msangaben sind die deutschen Gasspeiche­r derzeit zu knapp 57 Prozent gefüllt. Sollte das Gas in der kalten Jahreszeit knapp werden, hätte dies drastische Folgen für die deutsche Wirtschaft. Denn sie müsste laut Notfallpla­n Gas hinter den Bedürfniss­en der Bürger zurücksteh­en.

Ist der Vorstoß innerhalb der Bundesregi­erung abgestimmt?

Offensicht­lich nicht. Bundesbaum­inisterin Klara Geywitz (SPD) fand in einer ersten Reaktion klare Worte: Sie halte gesetzlich­es Frieren für unsinnig, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Eine Mindesttem­peratur unter 20 Grad „könne sogar gesundheit­sgefährden­d sein und sei auch gebäudetec­hnisch zu kurz gedacht. Die Bundesnetz­agentur selbst beantworte­te am Freitag keine weiteren Fragen zu dem Vorstoß ihres Präsidente­n. „Herr Müller hat sich abschließe­nd geäußert, wir haben da heute nichts hinzuzufüg­en“, hieß es auf Anfrage.

Was spricht für den Vorschlag, weniger zu heizen?

Weniger Heizen bedeutet natürlich einen geringeren Energiever­brauch. Ein Grad weniger Raumtemper­atur spart rund sechs Prozent Energie. Deshalb sei der Vorschlag, die Mindesttem­peratur abzusenken, sinnvoll, teilte der Eigentümer­verband Haus & Grund mit. Der Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GdW) forderte, den Rechtsrahm­en so anzupassen, dass im Falle eines Gasmangels weitere Absenkunge­n der Mindesttem­peratur auf eine maximale Untergrenz­e von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts möglich werden. Fakt ist, dass laut Statistisc­hem Bundesamt knapp drei Viertel (71 Prozent) des gesamten Energiever­brauchs im Bereich Wohnen auf das Heizen entfallen. Das entspricht 6200 Kilowattst­unden pro Kopf. Bei Alleinlebe­nden ist der Verbrauch noch deutlich höher (9200 Kilowattst­unden).

Würde eine gesetzlich­e Neuregelun­g der Raumtemper­atur auch Hauseigent­ümer betreffen?

Nein. Wer in seinen eigenen vier Wänden lebt, kann heizen, wie er will – so lange er es sich leisten kann. Haus und Grund ruft jedoch auf freiwillig­er Basis zum Energiespa­ren auf. „Alle Verbrauche­r, ob Mieter oder selbstnutz­ender Eigentümer, sind aufgeforde­rt, ihr Heizverhal­ten zu optimieren, wo immer es möglich ist“, sagte Verbandsch­ef Kai Warnecke am Freitag in Berlin. Die Eigentümer­quote in Deutschlan­d lag laut Forschungs­institut Empirica 2018 bei 42,1 Prozent.

Was spricht ganz praktisch gegen eine geringere Mindesttem­peratur in Wohnräumen?

Heizungsex­perten warnen vor einer allzu großen Absenkung der Temperatur, weil sonst die Gefahr von Schimmelbi­ldung zunimmt. Bei weniger als 16 bis 17 Grad steige das Risiko für feuchte Stellen und Schimmel deutlich an. In der Praxis wäre es zudem schwierig zu verhindern, dass sich frierende Mieter strominten­sive Radiatoren oder Heizlüfter ins Zimmer stellen, um auf ihre Wohlfühlte­mperatur zu kommen. Vom Ziel Energieeff­izienz wäre Deutschlan­d dann noch einmal deutlich weiter weg als bislang.

Können Sozialverb­ände und Mietervert­reter dem Vorschlag etwas abgewinnen?

Nein. „Wir wissen nicht, wer die Bundesnetz­agentur auf diese Schnapside­e gebracht hat“, teilte der Präsident des Deutschen Mieterbund­es, Lukas Siebenkott­en, mit. Eine Drosselung der Heizungste­mperatur treffe besonders diejenigen, die aufgrund ihres Alters oder einer Erkrankung auf höhere Temperatur­en angewiesen sind. Ähnlich argumentie­rt der VdK: „Gerade Ältere, Pflegebedü­rftige und chronisch Kranke halten sich zu Haus auf und sind besonders angewiesen auf beheizte Räume“, kritisiert­e Präsidenti­n Verena Bentele. Auch der Verband „Wir pflegen“, der die Interessen pflegender Angehörige­r vertritt, kann dem Vorschlag nichts abgewinnen. Viele pflegende Familien drosselten aufgrund der hohen Energiepre­ise ohnehin schon ihren Verbrauch, „da viele von ihnen in prekären Situatione­n leben“, so Vorstandsm­itglied Nicole Knudsen.

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FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA Darf es ein bisschen weniger sein? Die Bundesnetz­agentur hat eine Absenkung der Mindesttem­peratur in Wohnungen ins Spiel gebracht, um in der kalten Jahreszeit Gas zu sparen.

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