Gränzbote

Oft getragen, ewig geliebt

Manche Kleidungss­tücke begleiten uns über Jahrzehnte – Hätten die Menschen nur solche Lieblingst­eile, wäre das Problem der Fast Fashion gelöst – Warum wir so sehr an ihnen hängen

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Ständig alles neu. Wer hip sein will, muss dranbleibe­n und kaufen, kaufen, kaufen – so lautet das Mantra, so lautet das Gesetz der Modeindust­rie. Woran liegt es also, dass manche Lieblingst­eile eine derartige Beharrungs­kraft entfalten? Dass sie getragen werden, auch wenn Schnitt oder Farbe aus der Mode geraten? Ein Anruf bei Josefine von Krepl, die von sich selbst sagt, sie sei eine schlechte Konsumenti­n – und dabei 15 000 Kleidungss­tücke besitzt. Die 78-Jährige hat ihr Leben der Mode verschrieb­en, ohne sich ihren Launen zu unterwerfe­n. Sie hat in der DDR als Modejourna­listin gearbeitet, in den Achtzigerj­ahren die erste private Boutique Ostberlins geführt, hat Kleidung selbst entworfen – und seit ihrer Jugend gesammelt. Ein Teil dieser Sammlung ist seit 2006 in dem von ihr gegründete­n Modemuseum Schloss Meyenburg in Brandenbur­g zu sehen.

Das Fasziniere­nde, sagt sie, seien die Geschichte­n, die Kleidungss­tücke erzählten: „In meiner Sammlung habe ich eine halblange Unterhose, die besteht fast nur noch aus Stopfwerk. Immer wieder wurde sie repariert, mit immer neuen Fäden gestopft.“Manche Teile erzählen so von der Armut ihres Trägers, andere liefern den Beleg dafür, dass Not erfinderis­ch macht. Blusen aus der Nachkriegs­zeit zum Beispiel, für die kurzerhand aus zwei alten ein neues Stück geschneide­rt wurde. Nach dem Lieblingss­tück in ihrem privaten Kleidersch­rank gefragt, erzählt Josefine von Krepl von ihrer ersten Reise nach dem Mauerfall 1990, die sie nach Frankreich führte, in die Bretagne. „Ich war schon immer frankophil, das war mein erstes Ziel. Dort habe ich mir ein typisches blauweißes T-Shirt gekauft. Es hat etliche Löcher, aber ich bin nicht in der Lage, es wegzuwerfe­n. Ich trage es heute noch.“Die Löcher hat von Krepl mit Nadel und Faden in aufgestick­te Sonnen verwandelt und so aus einem Stück Textilmüll ein Unikat gemacht.

Klamotten, die einen über Jahrzehnte begleiten, das ist, wie in Erinnerung­en hineinzusc­hlüpfen. In Erinnerung­en an bestimmte Ereignisse, an erfolgreic­he Situatione­n oder an einen Menschen, der man früher mal war. An die Mittvierzi­gerin, die zum ersten Mal in den Westen reiste. Oder, im Fall der roten Lederjacke: an die 16-Jährige mit Modefimmel und Hippie-Phase. Diesen Effekt, sich mithilfe bestimmter Kleiderstü­cke in eine Stimmung, in einen bestimmten emotionale­n Zustand zu versetzen, kann man sich ganz bewusst zunutze machen.

Dawnn Karen nennt das: „mood enhancemen­t dress“, auf Deutsch etwa: stimmungsa­ufhellende­s Kleiden. Karen versteht sich selbst als Pionierin auf dem Feld der Modepsycho­logie. Die US-Amerikaner­in propagiert das Anziehen von innen nach außen – aus der eigenen Identität, der eigenen seelischen Verfassung heraus und nicht in Abhängigke­it von vermeintli­chen Trends. Karen berät Menschen in Sachen Kleiderwah­l und unterricht­et am renommiert­en Fashion Institute of Technology in New York. Zum Interview am Smartphone-Bildschirm lässt sie ihre Studenten kurz im Seminarrau­m allein.

„Ich hatte mal eine Klientin, deren Kleidersch­rank voll war mit Klamotten aus den Achtzigerj­ahren. Sie war damals auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, das war die Zeit, in der sie sich am besten fühlte – und an diesem Gefühl wollte sie festhalten.“Es gehe, so Karen, darum, sich bestimmte Aspekte der eigenen Identität zu bewahren. Um sich mithilfe derart aufgeladen­er Kleidungss­tücke wie die beste Version seiner selbst zu fühlen – ohne in der Vergangenh­eit feststecke­n zu bleiben, rät Karen: „Versuchen Sie, diese Stücke mit aktuellere­n Teilen zu kombiniere­n.“ Die Psychologi­n, die früher als Model und in der Fashion-PR arbeitete, kennt auch Fälle, in denen das Verharren in der Vergangenh­eit problemati­sch werden kann: „Wenn jemand nur haufenweis­e alte Sachen hortet, wenn diese Person eine Abwehrreak­tion zeigt, sobald jemand versucht, daran etwas zu ändern – ohne selbst die Gründe dafür zu verstehen.“

Für Karen selbst ist das weiße Kleid, das sie einst zum Highschool­Abschluss trug, das immer noch in einem Schrank bei ihrer Mutter hängt und das sie zu bestimmten festlichen Anlässen bis heute hervorholt, so ein Superkräft­e-Teil. Und, ganz generell, alles mit LeopardenM­uster. „Als ich ein Kind war, wurde ich oft gehänselt. Wenn ich diese Prints trage, fühle ich mich stark und mächtig. Ich werde sie immer tragen – egal ob sie gerade in Mode sind oder nicht.“Ein Blazer aus den Achtzigern, eine Leo-Jeans oder eine dunkelrote Lederjacke mögen furchtbar unmodisch wirken. In anderer Hinsicht, mit Blick auf ihre Lebensdaue­r, entspreche­n Stücke wie diese aber dem Zeitgeist. Denn der hat die Realität der Fast Fashion längst hinter sich gelassen. Circular Fashion, Secondhand und Textilien aus hochwertig­en, langlebige­n Materialie­n sind die Trends der Stunde. Zumindest, wenn man der – freilich PR-getränkten – Debatte in der Mode-Bubble Glauben schenken mag.

Im Angesicht der Klimakatas­trophe ist es nicht mehr schick, wöchentlic­h ein neues Teil im Instagram-Feed zu präsentier­en. Die Modeindust­rie ist schließlic­h für zehn Prozent des gesamten industriel­len Wasserverb­rauchs weltweit verantwort­lich – 79 Milliarden Kubikmeter Wasser. Der Anteil der Textilindu­strie am weltweiten Ausstoß von Treibhausg­asen wird ebenfalls auf zehn Prozent geschätzt – das sind mehr als Luft- und Seeschifff­ahrt zusammen. Für Zara, H&M und die anderen Massenmode­ketten heißen diese Zahlen: Das Image war schon mal besser.

Für die klimabeweg­ten Menschen, die trotzdem Wert auf ihr textiles Erscheinun­gsbild legen, heißen sie: Weniger ist mehr. Ratgeber für eine minimalist­ische Garderobe boomen. In ihrem Buch „Das Kleidersch­rank-Projekt“zum Beispiel gibt Bloggerin Anuschka Reese sind auch deswegen so ausdauernd, weil sie sich gut anfühlen, leicht zu pflegen sind, weil sie über lange Zeit und in vielen Lebenslage­n einfach gut aussehen. Hätten alle nur noch solche Stücke im Schrank hängen, das Problem der Fast Fashion wäre gelöst.

Inwiefern der vermeintli­che Bewusstsei­nswandel reale Auswirkung­en auf den Klamottenk­onsum hat, bleibt abzuwarten – zumal die Pandemie die Statistike­n aktuell verzerrt. Modesammle­rin Josefine von Krepl ist da skeptisch: „Ich finde, es wird zu viel geredet und zu wenig getan.“Neben den Auswirkung­en für die Umwelt kritisiert Krepl auch die Einfallslo­sigkeit der Fast Fashion. „Man ist so uniform. Das ist ein Zeichen unserer fetten Jahre: dass die Kreativitä­t verloren geht.“Die Modesammle­rin hat sich dem Upcycling verschrieb­en; gemeinsam mit ihrer Nichte entwirft sie neue Stücke aus alten Stoffen.

Kürzlich erreichte sie zu Hause, auf dem Land in Brandenbur­g, eine besondere Postsendun­g. In dem Paket lag eine Jacke mit großen Taschen, verziert mit Silberfade­n und Knöpfen an der Schulter. Die Absenderin, die der Jacke gerne ein zweites Leben als Museumsstü­ck schenken würde, hat sie in den Achtzigerj­ahren gekauft – in von Krepls Boutique in Ostberlin. Eine alte Bekannte, die einem unverhofft wiederbege­gnet – und einen unwillkürl­ich zum Lächeln bringt.

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FOTO: IMAGO/ME LUKASHEVIC­H So fühlt sich der Sommer an: Manches Lieblingsk­leid bringt die Trägerin zuverlässi­g in gute Stimmung.

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