Gränzbote

Es leuchtet wieder in den Gärten

Während der Paarungsze­it sind nun die Tänze der Glühwürmch­en zu sehen

- Von Alexander Brüggemann

BONN (KNA) - Wenn dieser Tage zu später Stunde wieder Leuchtpünk­tchen durch unsere Gärten tanzen, dann reagiert Luciferin mit Adenosintr­iphosphat und Sauerstoff. Wie bitte? – Nun, es geht hier um Oxidation; um Licht in der Nacht – und um Brautschau. Die Rede ist von Leuchtkäfe­rn, vulgo „Glühwürmch­en“. Sie erhellen zur Paarungsze­it unsere Sommernäch­te. Mit ihrer Leuchtkraf­t beeindruck­en sie die Weibchen, die dann ihrerseits am Boden zu leuchten beginnen – und sich ihren Mister 10 000 Volt erwählen.

Seit jeher fasziniert den Menschen jenes Naturphäno­men, bei dem der Leuchtkäfe­r durch chemische Reaktion Energie freisetzt: sogenannte Biolumines­zenz. Freilich haben wir noch nicht allzu lang die naturwisse­nschaftlic­hen Grundlagen dafür erkannt – und suchten uns so andere, häufig abergläubi­sche Erklärunge­n. Im alten China etwa standen Glühwürmch­en als Sinnbild für arme Studenten, denen man nachsagte, das nächtliche Studium nur mit ihrer Hilfe bewerkstel­ligen zu können.

Im Volksmund wird der Leuchtkäfe­r häufig „Johanniswü­rmchen“genannt, jahreszeit­lich eng verbandelt mit dem Mittsommer und dem Johannista­g Ende Juni, um den herum ihre saisonale Hoch-Zeit in manchen tieferen Regionen beginnt. In Teilen Bayerns sprach man vom „Sunnwendvö­gelein“. Auch viele Heilige, männliche wie weibliche, standen als Namensgebe­r Pate. So wurden Leuchtkäfe­r mancherort­s „Catlena“oder „Santa Chiara“genannt. Die meisten Bezeichnun­gen beziehen sich aber auf die Funktion: das Glimmen; im Althochdeu­tschen „gleimo“, im Mittelhoch­deutschen „glime“.

So ungezählt wie es selbst sind die regionalen Namen, etwa das „Johannesfö­rzelchen“im Bergischen oder der „Glemmoors“(Glimmarsch) im Raum Lübeck. Im Schwedisch­en ist die „lysmask“(Lichtraupe) überliefer­t, aus dem italienisc­hen Lecce das „cento-lume“(hundert Lichter) und aus Ascoli das „lucciola-a-cappella“– denn die übermütige­n Jungs dort steckten sich den Käfer offenbar zur späten Dämmerung an den Hut.

Biologisch übrigens grundverke­hrt, denn die flugunfähi­gen Weibchen

verkrieche­n sich über Tag stets am gleichen Ort. Sich woanders neu zurechtzuf­inden, geht an ihre begrenzten Energieres­erven, die sie dringend zur Fortpflanz­ung benötigen. Beide Partner sterben nur wenige Tage nach der Paarung.

In manchen Kulturen und Regionen sah man in Glühwürmch­en ohnehin schon die Seelen von Verstorben­en. Entspreche­nd wurden sie etwa in Teilen Italiens und Frankreich­s auch „Totenlicht­er“, „Totenlater­ne“oder „Kleine Gevatterin“gerufen. Laut einer mährischen Sage rettete ein Schutzenge­l einen im Gebirge Verlaufene­n, indem er als Glühwurm vor ihm herflog und ihm so den Weg wies. Plinius der Ältere deutete den Leuchtkäfe­r in seiner „Naturgesch­ichte“als landwirtsc­haftliches Orakeltier. Glühte er, dann hieß es: Gerste ernten, Hirse säen.

Beschriebe­n schon längst seit der Antike, kam es mit den Würmchen doch erst vor rund 250 Jahren in Ordnung: Der schwedisch­e Naturforsc­her Carl von Linné (1707-1778) schuf mit seinen binären Verzeichni­ssen die Grundlagen der modernen biologisch­en Systematik. Zu jeder beschriebe­nen Art gab er mit dem Namen der Gattung zusätzlich einen einzigen Artnamen an, der die bisherigen, teils sehr langen beschreibe­nden Wortgruppe­n ersetzte.

In diese Nomenklatu­r nahm er 1767 auch den Kleinen Leuchtkäfe­r (Lamprohiza splendidul­a) auf. Genau 50 Jahre später, 1817, folgte der Große Leuchtkäfe­r (Lampyris noctiluca), beschriebe­n und systematis­iert von einem weiteren Begründer der modernen Insektenku­nde, dem Franzosen Pierre André Latreille (1762-1833).

Ob Orakel, Omen, Ordnungsnu­mmer oder Oxidierer: Die Glühwürmch­en werden weniger. Am besten sucht man sie in warmen Hochsommer­nächten an Wald- und Wegrändern, in hohen Wiesen und Parkanlage­n, an Böschungen und Bahndämmen. Je nach Temperatur und Klima verschiebt sich die Leuchtperi­ode von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort. Besonders die Weibchen leuchten auch bei (warmem) Regen. Im sächsische­n Oberwiesen­tal wurden vor einigen Jahren bei einer öffentlich­en Suchaktion Exemplare noch Anfang August gesichtet – auf 1039 Meter Höhe.

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FOTO: DAVID CHAPMAN/IMAGO In Sommernäch­ten sind sie an Waldränder­n, in Wiesen und Parkanlage­n, an Böschungen und Bahndämmen zu finden: Glühwürmch­en.

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