Taliban bitten Westen um Hilfe
Dramatische Lage in Kliniken im Erdbebengebiet in Afghanistan
KABUL/ISLAMABAD (dpa/sz) - Nach dem verheerenden Erdbeben in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion haben die in Kabul regierenden Taliban um Hilfe aus dem Ausland gebeten. Afghanistans Regierungschef Mullah Mohammed Hassan Achund rief „die internationale Gemeinschaft und alle humanitären Organisationen auf, dem von dieser großen Tragödie betroffenen afghanischen Volk zu helfen“. Unterdessen behindert Regen die Rettungsarbeiten. Mindestens 1000 Tote und 1500 Verletzte beklagen die Behörden. Die Krankenhäuser in der Region sind massiv überlastet.
SCHARAN (AFP) - „Jetzt bin ich allein, ich habe niemanden mehr“, schluchzt Bibi Hawa. Die 55-Jährige sitzt auf ihrem Krankenhausbett im ostafghanischen Scharan, ihr Gesicht ist vom Weinen verzerrt. Mindestens ein Dutzend ihrer Verwandten sind bei dem verheerenden Erdbeben am Mittwoch ums Leben gekommen. „Wo soll ich hingehen? Mein Herz ist schwach“, klagt Hawa immer wieder. Sie kommt aus Gajan, einem der am stärksten betroffenen Bezirke. Eine Krankenschwester versucht die Frau zu beruhigen und streichelt ihr sanft mit der Hand über die Stirn.
Ein Dutzend Frauen liegen in dem Saal. Die meisten schlafen vergraben unter Decken, manche hängen am Tropf. Schahmira hingegen ist wach, in ihrem Schoß liegt ihr Enkel. Sie ist unverletzt, der Einjährige hat einen Kopfverband. „Wir schliefen gerade, als wir einen lauten Krach hörten. Ich schrie und dachte, meine Familie sei unter den Trümmern begraben und ich sei die einzige Überlebende“, erzählt Schahmira.
Doch auch ihr Sohn und die Schwiegertochter sind am Leben und werden im selben Krankenhaus behandelt. „Wir glaubten, der Junge sei tot. Wir haben sein Gesicht mit Wasser bespritzt. Und da fing er an zu atmen“sagt die Großmutter.
Das Beben der Stärke 5,9 traf den zerklüfteten und verarmten Osten Afghanistans. Mindestens 1000 Menschen starben, über 2000 Häuser wurden nach einer ersten Schätzung der Vereinten Nationen zerstört.
Auf der Männerstation des Krankenhauses in Scharan hält ein Vater seinen Sohn auf dem Schoß. Das Kind trägt eine senffarbene Hose mit kleinen schwarzen Herzen, die linke Wade ist eingegipst. Ein anderer Junge hat einen Gips am linken Arm, das khakifarbene Hemd ist noch staubig. Auf der Stirn klebt ein weißes Pflaster, „Notfall“steht darauf mit schwarzem Filzstift geschrieben. Die
Augen des Kindes sind vor Müdigkeit und vom Weinen gerötet.
Der 22-jährige Arup Chan begleitet seine verletzte Cousine in die Klinik. Zwei Mitglieder seiner Familie sind tot. „Als ich aufwachte, war ich voller Staub. Leute kamen und zogen uns heraus. Es war schrecklich: Überall Schreie, die Kinder und meine ganze Familie waren unter dem Schlamm begraben“, sagt er. Auch der Leiter des Krankenhauses ist schockiert. „Es ist so traurig“, sagt Mohammed Jahja Wiar. Er wurde um drei Uhr am Mittwochmorgen alarmiert und schickte sofort Teams in das schwer zugängliche Erdbebengebiet. Als die Verletzten gegen 9 Uhr eintrafen, „weinten sie, und wir haben auch geweint“, sagt der Klinikchef. Die am schwersten Verletzten wurden in die Krankenhäuser der Städte Gardes und Ghasni gebracht, wo es Operationssäle gibt. „Unser Land ist arm, es fehlt an Ressourcen. Das ist eine humanitäre Krise. Es ist wie ein Tsunami. Man kann das gar nicht beschreiben, aber es ist wirklich eine schwierige Situation“, sagt der Arzt. Die Einheimischen versuchen zu helfen. Vor dem Krankenhaus warten etwa hundert Männer. „Sie sind zum Blutspenden gekommen“, erklärt ein Taliban. „Etwa 300 haben seit heute Morgen schon gespendet.“