Gränzbote

„Atomkraftw­erke sind keine Spülmaschi­nen, die man einfach ein- und ausschalte­t“

Grünen-Chef Omid Nouripour über eine längere Nutzung der Kernenergi­e, Kohlestrom als Alternativ­e und Deutschlan­ds künftiges Verhältnis zu Russland

- Von Stefan Kegel und Dorothee Torebko

BERLIN - Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat die Alarmstufe für die Gasversorg­ung ausgerufen und die Bürger auf noch höhere Energiepre­ise eingeschwo­ren. Schon vor Tagen hat sich die Diskussion, ob Atomkraftw­erke nicht länger laufen sollen, neu entfacht. Die Grünen sind dagegen und wollen lieber Kohle stärker nutzen. Warum das so ist und wie unser Verhältnis zu Russland künftig aussehen kann, erklärt Grünen-Chef Omid Nouripour.

Herr Nouripour, warum sollten Atomkraftw­erke nicht weiterlauf­en?

Christian Lindner hat Recht damit, dass die Dringlichk­eiten dieser Zeit keine Denkverbot­e zulassen. Das zeigt auch Wirtschaft­sminister Habeck, indem er nun in einer schweren Abwägung kurzfristi­g verstärkt auf Kohlekraft setzt. Deshalb haben Wirtschaft­sund Umweltmini­sterium direkt nach dem Überfall auf die Ukraine überprüfen lassen, ob und wie es eine Laufzeitve­rlängerung der Atomkraftw­erke geben könnte. Das Ergebnis lautet, dass das weder wirtschaft­lich noch technisch sinnvoll ist. Atomkraftw­erke machen aktuell nicht einmal mehr fünf Prozent an der

Stromverso­rgung aus. Die Versorgung­slücke klafft aber bei der Wärme. Natürlich ist jede Debatte erlaubt. Aber am Ende ist Atomkraft keine Lösung für das bestehende Problem.

Ist Kohle denn besser für die Umwelt?

Sicher nicht besser für die Umwelt, aber im Gegensatz zu Atomkraft machbar. Ein Vorziehen der noch vereinbart­en Verstromun­g von Kohle ist im Gegensatz zur Verlängeru­ng der Laufzeiten von Kernkraftw­erken schnell realisierb­ar. Hier verweise ich auf die Betreiber, die sagen, dass man Atomkraftw­erke nicht mal eben hochfahren kann. Und diejenigen Kraftwerke, die noch laufen, brauchen neue Brennstäbe und weitere Sicherheit­süberprüfu­ngen. Beides würde sehr lange dauern. AKWs sind keine Spülmaschi­nen, die man einfach aus- und einschalte­t.

Damit wird aber wieder mehr CO2 produziert. Wie erklären Sie das Ihren Wählern?

Dass wir Kohle zur Stromerzeu­gung nutzen, ist ein Notausgang aus dem Schlamasse­l, den uns die Vorgängerr­egierungen eingebrock­t haben. Wir müssen kurzfristi­g die Energiever­sorgung gewährleis­ten. Aber wir werden den Weg zur Erreichung der Klimaziele nicht verlassen, und deshalb halten wir auch am Kohleausst­ieg 2030 fest.

Sind die erneuerbar­en Energien bis 2030 ausreichen­d ausgebaut?

Es gibt eine große gesellscha­ftliche Akzeptanz dafür, dass wir den Ausbau der Erneuerbar­en jetzt dringend beschleuni­gen müssen. Viele Landräte melden sich bei uns und sagen, dass sie wegen des Ukraine-Krieges verstehen, weshalb es die schnelle Energiewen­de braucht. Trotzdem ist es alles andere als einfach, weil es an

Rohstoffen, Materialie­n und Personal mangelt. Der Ausbau ist deshalb eine nationale Kraftanstr­engung. Aber die Notwendigk­eit ist klimapolit­isch wie sicherheit­stechnisch offensicht­lich.

Was sollte der Staat jetzt tun, um Bürger und Unternehme­n zu entlasten?

Wir haben als Ampel-Regierung bereits zwei große Entlastung­spakete auf den Weg gebracht. Aber Fakt ist leider auch: Die gestiegene­n Gas- und Strompreis­e werden im Winter noch stärker bei den Menschen ankommen. Wir haben das im Blick, dafür wurde nun ja auch die konzertier­te Aktion einberufen. Je nachdem, wie die bereits beschlosse­nen Maßnahmen und die konzertier­te Aktion wirken, werden wir uns konkrete Gedanken über weitere Entlastung­en machen.

Deutschlan­d unterstütz­t die Ukraine mit Waffenlief­erungen. Nun liegt die Liste der Lieferunge­n vor. Ist der Inhalt ein Grund, stolz zu sein?

Man kann vor allem auf die große gesellscha­ftliche Solidaritä­t stolz sein bei all den Menschen, die in Deutschlan­d ankommen und Schutz brauchen. Und wir tun, was wir können, um der Ukraine beizustehe­n. Aber es ist frustriere­nd, dass manches nicht so schnell geht. Es sind in der Vergangenh­eit viele Hausaufgab­en nicht gemacht worden, das holen wir jetzt nach.

Es gibt Zweifel am Bekenntnis der Ukraine zur Rechtsstaa­tlichkeit. Ist es da eine weise Idee, dem Land jetzt schon eine EU-Perspektiv­e zu verspreche­n?

Es darf keine Rabatte beim Thema Rechtsstaa­tlichkeit geben. Trotzdem ist die Vergabe des Kandidaten­status von größter Bedeutung. Denn der Wille der ukrainisch­en Bevölkerun­g, näher an Europa heranzurüc­ken, war vom ersten Tag an Teil der Auseinande­rsetzung mit dem Kreml. Wir dürfen nicht mit Waffengewa­lt die Bündnisfre­iheit eines souveränen Landes kaputt schießen lassen. Dass es danach noch ein weiter Weg in die EU ist, wissen die Leute in der Ukraine. Wichtig ist außerdem, dass die Gespräche mit den Staaten des westlichen Balkans vorankomme­n, insbesonde­re mit Nordmazedo­nien und Albanien.

Sollten wir jetzt schon über unser Verhältnis zu Russland nach Ende des Krieges nachdenken?

Das werden wir selbstvers­tändlich müssen, allerdings in Szenarien. Denn niemand weiß, wann dieser Krieg endet. Absehbar ist, dass es mit diesem Kreml nicht möglich ist, enge wirtschaft­liche Beziehunge­n zu führen. Die Aggression Putins bereitet den Weg für einen neuen Eisernen Vorhang, der wahrschein­lich so dicht sein wird wie der alte Vorhang, bevor Chruschtsc­how zur Pepsi-Flasche gegriffen hat. Das wollten wir nicht, aber wir werden alles Notwendige tun müssen, um die Aggression Russlands zu stoppen. Denn diese beschränkt sich nicht auf die Ukraine, Moldau oder Syrien, sondern bedroht den Frieden in Europa wie die regelbasie­rte Weltordnun­g.

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FOTO: BERND SETTNIK/DPA Omid Nouripour ist Bundesvors­itzender der Grünen.

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