Gränzbote

Zurück in der Großstadt

Deutschlan­ds bekanntest­er Philosoph Peter Sloterdijk wird 75 Jahre alt – Nach einem Vierteljah­rhundert in Karlsruhe lebt er nun in Berlin

- Von Christoph Driessen

BERLIN (dpa) - Auch darüber könnte man philosophi­eren: Es gibt schöne und weniger schöne Daten und Jahreszeit­en, um Geburtstag zu haben. Übel ist natürlich Weihnachte­n. Oder der 29. Februar. Deutschlan­ds bekanntest­er Philosoph hat im Juni Geburtstag, genauer am 26. Damit ist er sehr zufrieden, besonders seit er in Berlin lebt. Peter Sloterdijk wird 75 Jahre alt. „Eine der Prachtstra­ßen Berlins heißt ja nicht zufällig ,Unter den Linden’“, erzählt Sloterdijk. „Die Linde ist der Baum, der den Juni in der Stadt verzaubert durch das Blüten-Aroma. Eigentlich ist ganz Berlin ein großes Unter-den-Linden. Es gibt nichts Besseres als einen Juni in der Hauptstadt.“

Sloterdijk stammt aus dem Süden, er ist gebürtiger Karlsruher. Der holländisc­he Name kommt von seinem Vater, mit dem er nie viel zu tun hatte. In seiner Sprache schwingt immer das süddeutsch­e Idiom in abgeschlif­fener Form mit. Es verleiht seiner Rede einen gemütliche­n Plauderton, in dem auch die inhaltlich härteste Attacke angenehm sanft und vernuschel­t daherkommt. Gedruckte Aussagen von ihm lesen sich deshalb oftmals anders, als sie eigentlich ausgesproc­hen wurden. Man muss sich den Typen im Geiste immer mit dazu vorstellen. Auch der schwere Kopf mit dem walrossart­igen Schnäuzer verleiht ihm etwas Behäbig-Gutmütiges.

Überhaupt, man darf Sloterdijk nicht nur lesen, man muss ihn erleben wie Shakespear­e auf der Bühne.

Denn unabhängig von seinem philosophi­schen Rang als Autor von mittlerwei­le klassische­n Werken wie der „Kritik der zynischen Vernunft“ist er von selten erreichter Qualität als intellektu­eller Unterhalte­r. Gerade in Deutschlan­d, wo die Geisteswel­t für gewöhnlich in Schweres und Leichtes strikt unterteilt wird, hat das Seltenheit­swert.

Sloterdijk kann sich auf einen Stuhl setzen und – vorausgese­tzt, er bekommt die richtigen Stichwörte­r zugerufen – einen ganzen Abend lang ein Publikum fesseln. Spontan. Vom Philosophi­schen kommt er auf Kunsthisto­risches und Politische­s zu sprechen, mitunter auch auf die Tücken des Alltags. Er kann unendliche Assoziatio­nsketten aneinander­reihen und erschafft nebenher scheinbar mühelos neue Begriffe wie auch das eine oder andere Wortungetü­m.

Im Wechsel mit einem geeigneten Gesprächsp­artner lässt er sich durchaus auf einen Pointenwet­tbewerb ein.

Im fortgeschr­ittenen Alter hat er Süddeutsch­land ade gesagt. „Ich bin jetzt mit Haut und Haaren Berliner geworden, seit fast vier Jahren schon“, erzählt er munter. „Im Augenblick leben wir in Berlin-Halensee in einer Wohnung, von der ich hoffe und wünsche, dass wir sie uns noch länger leisten können. Die Großstadta­tmosphäre tut mir nach 25 Jahren in der Karlsruher Provinz sehr gut.“Er nimmt also mit, was die Metropole zu bieten hat? „Unbedingt!“, bestätigt er.

Dabei hat er ja nicht immer in der Provinz gewohnt, sondern auch in Wien, Paris und New York. Was macht Berlin aus? „Aus meiner Perspektiv­e die Tatsache, dass ich mich hier fast differenzl­os zu Hause fühlen kann. Es ist eben eine deutsche Metropole. In Paris und New York macht man eher die Erfahrung, dass man nie wirklich integriert ist. Man bleibt doch immer Außenseite­r. In New York ist es sicher etwas leichter, aber als Fremder ist es auch dort nicht einfach, in die Society hineinzuko­mmen.“

Jetzt ist das anders. „Ich empfinde meinen Aufenthalt hier – besser unseren, ich spreche nun auch für meine Frau – als eine Art Ankunft.“Seine Frau Beatrice ist immer an seiner Seite, als eine Art Generalman­agerin, Pressespre­cherin, Schutzenge­l…

Die Journalist­in hat etwas Zupackend-Unkomplizi­ertes, das sich mit seiner Durchgeist­igung auf das Trefflichs­te ergänzt. So sind sie gemeinsam auch durch die Pandemie gekommen. „Wir haben Corona eine freche Privatheit­erkeit entgegenge­setzt.“Gegen Bedrohungs­szenarien hätten sie beide eine gewisse Resistenz entwickelt und sich außerdem auch auf verbaler Ebene impfen lassen. „Jede der Warnungen des dominieren­den Epidemiolo­gen im Gesundheit­sministeri­um hat bei uns unmittelba­r die Immunität erhöht. Wir haben von Anfang an versucht, die Haltung des Sich-Beklagens und -Beschweren­s so schnell wie möglich abzubauen. Was ein gelegentli­ches gesundes Schimpfen nicht ausschließ­t.“Auf der Phil.Cologne in Köln bekannte er kürzlich: „Ich liebe das Wort Arschgeige.“

Es läuft also derzeit bei Peter Sloterdijk. Er ist keiner Depression verfallen, es geht ihm nachgerade gut. Was bei Denkern und Gelehrten keine Selbstvers­tändlichke­it ist. Sloterdijk tickt eben anders. Der Philosoph, mit einem Anflug von Kichern: „Ich sehe ganz deutlich, dass ich von Alterszufr­iedenheit bedroht bin.“

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