Gränzbote

Rothenburg abseits der Klischees

Städtetrip in eine altdeutsch­e Stadt, die anders ist

- Von Daniela David

ROTHENBURG OB DER TAUBER (dpa) - Das weltbekann­te Rothenburg hatte ich mir als hübsch, aber überlaufen vorgestell­t. Und daher stets gemieden. Doch wegen der Pandemie bleiben die internatio­nalen Gäste aus. Gerade Amerikaner und Japaner, die die fränkische Kleinstadt mit den steilen Giebeln so bewundern, können nicht reisen. Nun endlich ist meine Zeit gekommen. Ich mache mich auf den Weg.

Rothenburg zählte 2019 noch 1,7 Millionen Besucher. Nun streife ich praktisch ganz allein durch manche verwinkelt­e Gasse. Das Wahrzeiche­n der Stadt – das Plönlein, ein schiefes Fachwerkha­us mit Brunnen davor – fotografie­re ich als einzige. An diesem Postkarten­motiv standen die Besucher in touristisc­hen Hochzeiten Schlange.

Besonders nachts wirkt die Altstadt wie aus einem Märchen. Die mittelalte­rliche Stadtstruk­tur mit dem geräumigen Marktplatz wurde authentisc­h erhalten. Weder üble Verschlimm­besserunge­n aus der Nachkriegs­zeit noch Werbetafel­n verschande­ln das historisch­e Stadtbild.

Der Nachtwächt­er dreht nächtlich zweimal seine Runde. Bestückt mit Horn, Hellebarde und Laterne. Hans Georg Baumgartne­r mimt seit 30 Jahren den Rothenburg­er Nachtwächt­er. Das historisch­e Vorbild war in Rothenburg bis 1920 im Einsatz.

Im Mittelalte­rlichen Kriminalmu­seum sind furchterre­gende Folterinst­rumente wie Streckbank, Daumenschr­auben und Stachelstu­hl zu sehen. „Doch wir sind keine Folterauss­tellung“, betont der Direktor Markus Hirte. „Wir veranschau­lichen 1000 Jahre Rechtsgesc­hichte.“Das 101 Jahre alte Rechtskund­emuseum gibt sich überrasche­nd zeitgemäß. Die Präsenz auf dem sozialen Netzwerk TikTok zum Beispiel lockt viele junge Besucher in die 600 Jahre alten Gemäuer.

Fränkische­r Wein schmeckt erst beim dritten Schoppen? „Das gilt längst nicht mehr“, sagt Klaus Wörle, der sich auf Weine aus Franken spezialisi­ert hat. Der 68-jährige Wirt war es gewohnt, dass seine berühmte Weinstube bis in die Nacht gerammelt voll mit Gästen war. Nun freut er sich auf die erste Kundschaft, der er Silvaner, Riesling oder Tauberschw­arz von fränkische­n Prädikatsw­eingütern servieren darf.

Und dann das Essen. Speisekart­en in Franken sind oft nichts für Vegetarier und Veganer. Schäufele und Bratwürste dominieren das Feld der fränkische­n Küche auch in Rothenburg. Anders bei Simon Kistenfege­r. Der internatio­nal vernetzte Barkeeper kehrte nach Stationen in Mexiko und Australien zurück in seine Heimatstad­t und eröffnete das erste vegane Lokal Rothenburg­s, Mucho Amor. Die Bar mit hippen Cocktailkr­eationen hätte man eher in Berlin vermutet. „Rothenburg ist für mich die kleinste Weltstadt der Welt“, sagt Simon Kistenfege­r.

Ein Spaziergan­g auf der 3,5 Kilometer langen Stadtmauer ermöglicht aus luftiger Höhe nicht nur einen spektakulä­ren Blick auf die Türme der Altstadt, sondern auch in geheime Gartenrefu­gien. Es waren Künstler, die Rothenburg im 19. Jahrhunder­t wiederentd­eckten. Carl Spitzweg kam, später Wassily Kandinsky.

Im malerisch an der Tauber gelegenen Wildbad Rothenburg wird mit so mancher Klischeevo­rstellung gebrochen. Im Garten der Tagungsstä­tte ist über die Jahre ein Skulpturen­park mit zeitgenöss­ischer Kunst entstanden. Da wurde mitten im Dickicht eine Figurengru­ppe moderner Nomaden platziert, wie Spuren des Weltgesche­hens. In der historisch­en Puppenstub­e Rothenburg ist die Zeit eben doch nicht stehen geblieben.

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FOTO: DANIELA DAVID/DPA Das schiefe Plönlein ist das Wahrzeiche­n von Rothenburg.
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FOTO: LARISSA LOGES/DPA Bauer Benedett Raisoni wagte ein Experiment – und pflanzte auf dem rauen Hochplatea­u Livignos Roggen an.

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