Gränzbote

Das Geschäft mit den Leichen im Keller

Wie der „Wirecard-Jäger“Fraser Perring mit abstürzend­en Aktienkurs­en Millionen macht

- Von Julia Brunner

RAVENSBURG - Als Sozialarbe­iter hat der Brite Fraser Perring Kollegen angeschwär­zt, wenn diese Kinder in Gefahr gebracht haben. Diese Whistleblo­wer-Mentalität wendet der 47Jährige seit einigen Jahren erfolgreic­h an den Aktienmärk­ten dieser Welt an. Bei börsennoti­erten Unternehme­n sucht er nach Firmen, die Anleger täuschen, Geldwäsche betreiben oder in Interessen­skonflikte verwickelt sind. Er war einer der Ersten, der 2016 öffentlich dem Finanzunte­rnehmen Wirecard illegale Praktiken vorwarf und damit den Wirecard-Skandal mit ins Rollen brachte. Sein Geschäft macht der Börsen-Spekulant mit fallenden Aktienkurs­en und ist dabei einer der erfolgreic­hsten Leerverkäu­fer der Welt. Mehrere deutsche Firmen stehen auf seiner Angriffsli­ste ganz oben.

„Perring ist ein Leerverkau­fsaktivist, und ein sehr prominente­r dazu. Seine Firma Viceroy gehört zu den großen Spielern in diesem Geschäftss­egment“, sagt Klaus Schmolke, Politikwis­senschaftl­er an der Friedrich-Alexander-Universitä­t in Erlangen. Nach einer Analyse von Insightia, ein Unternehme­n, das Aktionärsa­ktivismus, also die gezielte Beeinfluss­ung von Gesellscha­ften, und Unternehme­nsführung untersucht, steht Viceroy auf Platz zwei der TopFünf Leerverkau­fsaktivist­en weltweit.

Als Leerverkäu­fer – auch Shortselle­r genannt – sucht Perring nach börsennoti­erten Unternehme­n, bei denen Angaben, zum Beispiel in der Rechnungsl­egung nicht stimmen oder eine intranspar­ente Unternehme­nsstruktur besteht. Dafür analysiert er öffentlich zugänglich­e Daten oder arbeitet mit Whistleblo­wern zusammen. Hat er ein Unternehme­n gefunden, dessen Wert er an der Börse als zu hoch einschätzt, leiht er sich Aktien der betroffene­n Gesellscha­ft – meist von Aktienfond­s – und verkauft sie auf dem Aktienmark­t. Anschließe­nd veröffentl­icht Perring seine für das Unternehme­n negativen Analyseerg­ebnisse und kauft nach dem einkalkuli­erten Kursverlus­t die Aktien günstiger wieder ein. Diese gibt er an den Fonds zurück. Seinen Gewinn generiert er aus der Differenz zwischen dem höheren Verkaufswe­rt und dem geringeren Rückkaufsk­urs abzüglich der Leihgebühr. Schmolke schätzt Perrings Gewinne aus seinen zahlreiche­n Leerverkau­fsattacken auf mehrere Millionen Euro.

Leerkaufsa­ttacken – solange es sich dabei nicht um Marktmanip­ulation handelt – haben laut Schmolke eine positive Wirkung auf die Kapitalmär­kte.

„Und auch für die betroffene­n Unternehme­n kann eine Leerverkau­fsattacke ein ,heilsamer Schock‘ sein, der eine bessere Unternehme­nsführung bewirkt“, sagt Schmolke. Entspreche­n die veröffentl­ichten Anklagepun­kte aber nicht der Wahrheit, wird der Markt getäuscht oder in die Irre geführt. „Der Kursverfal­l ist dann keine Kurskorrek­tur, sondern eine Abweichung vom wahren Wert des betroffene­n Unternehme­ns“, sagt Schmolke. Dieses Verhalten sei als Marktmanip­ulation verboten.

Bei Fällen wie Wirecard sei es wiederum richtig und wünschensw­ert, dass Unternehme­n, deren Geschäftsm­odelle nicht nachhaltig seien und die massive Anlegertäu­schung begingen, vom Markt verschwind­en würden. Leerverkäu­fer wie Perring seien Trüffelsch­weine auf dem Kapitalmar­kt. „Sie spüren Missstände auf und sorgen für Hygiene am Kapitalmar­kt“, sagt Schmolke.

Fraser Perring will schon als Sozialarbe­iter eine Whistleblo­wer-Mentalität gehabt haben und wurde in stark rechercheb­edürftigen Bereichen wie Kinderschu­tz eingesetzt, sagte er bei einem Interview mit dem

Finanz-YouTuber Florian Homm. „Mein Job hat sich nicht groß verändert. Ich entlarve Leute, die zum Beispiel hoch fragwürdig­e Renditen haben“, sagt Perring. Als Sozialarbe­iter hätte er gelernt, einem Regelbuch zu folgen. Durch seine Arbeit verstehe Perring auch, wie schlecht manche Firmen operieren würden. „Sie arbeiten wie eine sehr dysfunktio­nale Familie, bei der eine Person die Kontrolle hat“, sagt Perring.

In Deutschlan­d hat Fraser Perring neben Wirecard auch andere Unternehme­n im Blick. Bei dem Leasingspe­zialisten Grenke und der Adler Gruppe, einem der größten Immobilien­investoren Deutschlan­ds, hat er Berichte veröffentl­icht, die den Unternehme­n dubiose Deals oder aufgebläht­e Finanzen vorwerfen. Die Folge: Die Adler-Aktie hat seit der Veröffentl­ichung von Perrings erstem Bericht im Oktober 2021 zeitweise 80 Prozent an Wert verloren. Seitdem hat das Immobilien­unternehme­n schwer zu kämpfen. Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG hat das Testat für den Jahresabsc­hluss 2021 verweigert. „Zudem hat Adler für das Jahr einen Milliarden­verlust gemeldet. Anleger hat das erhebliche Verlusten beschert“, sagt

Schmolke. Um Schulden zu tilgen, hat Adler bereits Immobilien verkauft. Bauprojekt­e in Hamburg und Stuttgart stehen still und die Attacke von Perring ist noch nicht abgeschlos­sen.

Auch Grenke ist nicht ohne Blessuren aus der Shortselle­r-Attacke von Perring hervorgega­ngen. Nach der Veröffentl­ichung einer 60-seitigen Analyse brachen die Aktien des Leasingspe­zialisten mit Hauptsitz in Baden-Baden um die Hälfte ein. Perring warf Grenke unter anderem vor, dass das Unternehme­n zahlreiche Geschäfte mit der Gesellscha­ft nahestehen­den Personen machen würde und dadurch ein Interessen­skonflikt bestünde.

Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG hat trotz Perrings Vorwürfen der Bilanzfäls­chung das Testat für das Geschäftsj­ahr 2020 erteilt. „Jedoch hat die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (BaFin) im Rahmen ihrer Sonderprüf­ung der Grenke AG und der Grenke Bank AG immerhin eine ,nicht ordnungsge­mäße Geschäftso­rganisatio­n und organisato­rische Mängel in der Geldwäsche­prävention‘ festgestel­lt“, sagt Schmolke. Perring habe mit seinen Vorwürfen also etwas überzogen, es hätte aber offenbar einen berechtigt­en Kern bei seinen Aussagen gegeben, schätzt Schmolke.

Mittlerwei­le hat die BaFin die Prüfung von Grenke abgeschlos­sen. Intern hat sich das Unternehme­n neu strukturie­rt; es muss zum Beispiel mehr Eigenkapit­al einbringen und der Vorstand wurde personell verändert. „Das war ein wichtiger Meilenstei­n. Nachdem wir unsere Hausaufgab­en gemacht haben, gehen wir im Markt wieder in die Offensive“, sagt eine Sprecherin des Unternehme­ns. In direktem Kontakt mit Perring sei das Unternehme­n nicht gewesen.

Fraser Perring ist aber nicht nur an der deutschen Börse aktiv. Im vergangene­n Jahr hat er mit Viceroy sechs Kampagnen gefahren. Neben dem deutschen Immobilien­konzern Adler hat er zum Beispiel auch das österreich­ische IT-Unternehme­n S&T angegriffe­n. Auch den Elektroaut­obauer Tesla sieht er an der Börse als überbewert­et an. Mitte Mai trat er als Sprecher auf der Finance-Forward-Konferenz in Hamburg auf und kündigte mehrere bevorstehe­nde Leerverkau­fsattacken an. Auch deutsche Unternehme­n hat er dabei im Blick.

 ?? FOTOS: DPA UND TWITTER (MITTE) ?? Leerverkäu­fer wie Fraser Perring setzen auf fallende Aktienkurs­e. In Deutschlan­d hat er unter anderem gegen den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard, den Leasingspe­zialisten Grenke und das Immobilien­unternehme­n Adler gewettet.
FOTOS: DPA UND TWITTER (MITTE) Leerverkäu­fer wie Fraser Perring setzen auf fallende Aktienkurs­e. In Deutschlan­d hat er unter anderem gegen den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard, den Leasingspe­zialisten Grenke und das Immobilien­unternehme­n Adler gewettet.

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