Gränzbote

Fairtrade allein löst keine Probleme

„Wir müssen mehr tun“, fordert Referentin Marietta-Nicole Amoussou

- Von Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - Wenn ich Fairtrade kaufe, tue ich was Gutes – oder? So einfach ist es leider nicht, sagt Marietta-Nicole Amoussou. Die Referentin für politische Bildung und Antirassis­mus setzt sich dafür ein, alte Kolonialst­rukturen endlich abzuschaff­en. Was Fairtrade damit zu tun, darüber spricht sie im Rahmen der Fairtrade-Woche in Tuttlingen am Freitag, 1. Juli, 19 Uhr, im Rathausfoy­er. Das Thema: „Wie fair ist Fairtrade?“Redakteuri­n Dorothea Hecht hat mit ihr darüber gesprochen.

Sie stellen das Prinzip Fairtrade in Frage. Warum?

Die Intention hinter Fairtrade ist nicht schlecht. Es ging darum, globalen fairen Handel zu schaffen, weil es keinen gab. Menschen aus dem globalen Norden haben sich darüber Gedanken gemacht, wie man das verbessern könnte. Aber wenn ich Fairtrade sehe und das kaufe, dann ist das zwar gut, aber das reicht nicht. Ich lege 50 Cent mehr auf die Schokolade drauf, die ich im Supermarkt kaufe – ein Logo hier, ein paar Cent da – aber ich beschäftig­e mich nicht mit den eigentlich­en Problemen. Es geht viel mehr in Richtung eines weißen Retterkomp­lexes; ein Phänomen, bei dem sich weiße Menschen im globalen Norden dazu berufen fühlen, humanitäre Arbeit zu leisten. Dabei handelt es sich viel eher um eine Handlung, um sich von Schuldgefü­hlen zu befreien, ohne sich jedoch mit den Ursachen oder dem Ursprung des Problems befassen zu müssen. Fairtrade muss meiner Meinung nach mehr als das sein.

Was würden Sie besser machen?

Wir müssen Bilder und Begriffe, die von Fairtrade-Organisati­onen benutzt werden, hinterfrag­en. Die Abbildunge­n ändern sich seit Jahren kaum: Weinende Kinder, abgemagert­e schwarze Menschen – das ist immer noch eine Stereotypi­sierung von Menschen. Die Menschen, die wir abbilden, müssen einem das Gefühl geben, dass wir was Gutes tun für Menschen, die nicht weiß sind. Aber alle Nicht-Weißen werden dann damit assoziiert und in diese Schublade gesteckt. Das ist eine Baustelle, wo noch viel Arbeit zu tun ist, weil sie die Würde der Menschen verletzt. Auch die Frage, welche Begriffe wir benutzen, wie wir über Menschen schreiben. Die Kolonialis­ierung, auch wenn sie lange her ist, prägt uns noch immer. Der Wille, was Gutes zu tun, ist da, aber wir müssen erst reingehen in den Dekolonial­isierungsp­rozess.

Also sollten wir uns lieber mehr streiten und diskutiere­n als Fairtrade-Schokolade kaufen?

Wir wollen immer ein EntwederOd­er haben, aber darum geht es nicht. Wir müssen beides tun. Es reicht nicht, zu kaufen und damit ist es getan. Wir müssen kritisch mit der eigenen Verantwort­ung und Privilegie­n umgehen. Und es reicht auch nicht zu kritisiere­n, wir müssen handeln. Egal, welche Strukturen und Konzepte wir entwickeln – es wird immer Dinge zu verbessern geben. Es geht darum, dass punktuelle Aktionen nicht reichen, um 400 Jahre Unterdrück­ung und Ungerechti­gkeit abzuschaff­en. Wir müssen dran bleiben.

Sie sind selbst eine schwarze Frau. Erleben Sie Vorurteile?

Ja, ich positionie­re mich als Frau und als Schwarze. In einem politische­n Kontext hat das nicht nur mit der Hautfarbe zu tun, auch wenn manche Leute mich darauf reduzieren. Ein Beispiel: Die Tatsache, dass ich als schwarze Person nicht perfekt deutsch spreche, wird automatisc­h mit Ignoranz in Verbindung gebracht. Und das, obwohl ich noch fünf weitere Sprachen spreche. Irgendwann haben sich die Menschen eine Hierarchis­ierung nach der Hautfarbe von der weißen Person zur schwarzen Person vorgestell­t. Diese soziale Konstrukti­on hat einen großen Einfluss auf das, was wir tun, wie wir die Menschen sehen. Sie beeinfluss­t auch die Arbeit im Bereich Fairtrade.

Wer ist der Retter und wer muss gerettet werden? Wer hat die Kompetenz und wer entscheide­t, wer was braucht? Rassismus muss in einem globalen Kontext betrachtet werden. Der alltäglich­e Rassismus ist nur die Folge einer größeren Problemati­k, die in allen sozialpoli­tischen und wirtschaft­lichen Bereichen präsent ist. Daher muss alles zusammen gedacht werden, intersekti­onal. Wir müssen alle daran arbeiten, egal in welchem Bereich wir tätig sind.

Und alle ihren Teil beitragen?

Genau das ist der Punkt. Es geht nicht darum, dass eine Person die Welt rettet, sondern darum, dass jeder schaut, was er tun kann. Als schwarze Frau in Deutschlan­d erlebe ich Rassismus, aber gleichzeit­ig genieße ich als Akademiker­in und als Person ohne sichtbare Behinderun­g gewisse Privilegie­n gegenüber anderen Menschen und ich denke auch jeden Tag darüber nach und frage mich: Wo sind meine Privilegie­n und Stärken? Was kann ich tun? Diese Reflexion über unsere Privilegie­n und Handlungsm­öglichkeit­en müssen wir alle machen.

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