Gränzbote

„Widerliche, prinzipiel­le Grundhaltu­ng in unserer Gesellscha­ft“

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Zum Leserbrief „Freiwillig­keit reicht nicht aus“vom 1. Juli:

Normalerwe­ise mag ich es nicht, Leserbrief­e anderer Leser zu kommentier­en. Aber hier geht es um eine widerliche, prinzipiel­le Grundhaltu­ng in unserer Gesellscha­ft, die selten hinterfrag­t und wie so vieles stumpfsinn­ig immer weitergetr­agen wird. Kinder haben gefälligst dankbar dafür zu sein, auf unserer Welt leben zu dürfen. Der Dichter Werner Schwab beschreibt die Not der Jugend so treffend wie drastisch: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“. Es ist diese zynische Haltung, dass der Staat/die Eltern mit seiner/ ihren „Investitio­nen“in die Kinder beziehungs­weise Jugendlich­en in „Vorleistun­g“geht, aus der sich für diese dann eine Verpflicht­ung gegenüber dem Staat, den Eltern ergibt. Der Herr Zepf beziffert diese gar mit 75 000 Euro. Schämt der Mann sich denn gar nicht? Weite Kreise der Gesellscha­ft sehen sogar heute noch den Sinn und Zweck hinter der Zeugung und „Aufzucht“von Kindern in der Absicherun­g des eigenen Alters. Kinder und Jugendlich­e werden also nicht als wunderbare junge Menschen um ihrer selbst willen geliebt und wertgeschä­tzt, sondern wie eine Lebensvers­icherung instrument­alisiert, die sich dann irgendwann gefälligst zu lohnen hat. Dies spiegelt sich auch deutlich in der konsequent­en Abschiebep­raxis in Kindergärt­en, Ganztagess­chulen etc. wieder. Kinder sind lästig und erst dann interessan­t, wenn sie beginnen sich zu lohnen. Zum Beispiel mit diesem freiwillig­en sozialen Jahr. Eltern sind mit der Zeugung eines Kindes eine Verpflicht­ung diesem Kind gegenüber eingegange­n, die erst mit dem Tot der Eltern endet. Nur wenn diese Verpflicht­ung von den Eltern so liebevoll und konsequent, wie es ihnen möglich war, erfüllt wurde, besteht für die Eltern die Hoffnung, nicht das Anrecht, dass sich ihre Kinder, wiederum aus Liebe, ihrer im Alter annehmen. Nur und nur so wird ein Schuh draus. Friedhelm Schmale, Tuttlingen

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