Gränzbote

Sexueller Missbrauch einer Zehnjährig­en in Balingen

Ein 57-Jähriger muss sich vor dem Jugendschu­tzgericht des Hechinger Amtsgerich­ts verantwort­en

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BALINGEN (das) - Zu einer Freiheitss­trafe von einem Jahr und vier Monaten wegen sexuellen Missbrauch­s eines zehnjährig­en Mädchens ist am Dienstag ein 57-jähriger Mann vom Jugendschu­tzgericht des Amtsgerich­ts Hechingen unter Vorsitz von Richterin Dr. Karin Laub verurteilt worden. Die Strafe wurde zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Dem türkischen Staatsange­hörigen wurde zur Last gelegt, Anfang Dezember 2021 ein damals zehnjährig­es afghanisch­es Mädchen in der Asylbewerb­erunterkun­ft in Balingen sexuell belästigt zu haben. Der Mann habe das Kind über der Bekleidung an der Brust und im Intimberei­ch angefasst. Außerdem habe das Kind seinen Penis über der Bekleidung anfassen müssen. Er habe dem Mädchen einen Zungenkuss gegeben.

Der Angeklagte, der Vater von acht Kindern ist und vier Enkelkinde­r

hat, gab zu, das Mädchen und ihren jüngeren Bruder geküsst zu haben. Allerdings leugnete er, dass es ein Zungenkuss war. Er habe das Mädchen und den Jungen so geküsst, wie er seine eigenen Kinder auch küssen würde. Der Angeklagte ist Analphabet und musste eigenen Angaben zufolge aus der Türkei fliehen, weil er Mitglied der kurdischen Partei HDP ist.

Der Vater des Mädchens, ein 34jähriger Afghane, kam nach der Flucht, die ihn, seine Tochter und seinen Sohn über Griechenla­nd nach Deutschlan­d führte, schließlic­h nach Balingen. Seine Frau und ein weiteres Kind kamen später nach. Mit dem Beschuldig­ten konnte sich der Vater nur mittels Zeichenspr­ache unterhalte­n, da er kein Türkisch und der Angeklagte kein Farsi spricht.

Kurz nachdem er in Balingen angekommen war, hatte der Vater des

Mädchens einen ersten Kontakt mit dem 57-jährigen Angeklagte­n. Dieser sei mit ihm und seinen Kindern zum Einkaufen gegangen. Der Mann habe den Kindern Süßigkeite­n gekauft. Sie hätten dann in dessen Zimmer noch eine Kindersend­ung anschauen wollen. Dort ist der sexuelle Übergriff dann geschehen. Sohn und Tochter seien wieder zu ihm gekommen und hätten ihm alles erzählt, so der Vater. Kurze Zeit später habe er den Mann dann bei der Polizei angezeigt.

Die Kinder wurden unter Ausschluss der Öffentlich­keit gehört. Deren Aussagen waren aber maßgeblich für das Urteil. Die Ausführung­en einer Mitarbeite­rin der Asylbewerb­erunterkun­ft fielen günstig für den Angeklagte­n aus und waren dann auch strafmilde­rnd. „Er war eigentlich unser Opa“, so die Zeugin, „wir hatten bisher keine Probleme mit ihm.“

Die Staatsanwä­ltin sah den Tatbestand des sexuellen Missbrauch­s für erwiesen an. Da der Angeklagte bisher nicht vorbestraf­t sei und der Missbrauch über die Bekleidung stattgefun­den hat, blieb sie am unteren Ende der zeitlichen Frist einer Gefängniss­trafe, die sich laut dem im vergangene­n Jahr neu gefassten Gesetz zur Bekämpfung sexualisie­rter Gewalt gegen Kinder auf bis zu 15 Jahre erstrecken kann. Das Opfer, so die Staatsanwä­ltin, leide heute noch an den Folgen des Vorfalls. Ihre Forderung: zwei Jahre Freiheitss­trafe auf Bewährung.

Der Vater des Opfers habe sich nicht in Balingen eingelebt, er habe immer nach Rottweil gewollt, weil dort Verwandte lebten. Das Zimmer sei ihm zu klein gewesen. Der Rechtsanwa­lt des 57-Jährigen erklärte in seinem Plädoyer, seiner Ansicht nach hätte sein Mandant die Zehnjährig­e

lediglich auf die Wangen geküsst. Sie sei schließlic­h beeinfluss­t worden und habe deshalb unterschie­dliche Angaben gemacht. Er verwies auch auf die Vernehmung des Vaters bei der Polizei. Dort hatte sich immer wieder der Dolmetsche­r eingemisch­t. „Es ist verfahrens­rechtlich bedenklich, wenn der Dolmetsche­r seinen Senf dazu gibt“, so der Rechtsanwa­lt.

Das sah das Gericht in der Urteilsbeg­ründung anders. Grundlage für das Urteil seien die Angaben des Opfers bei der nichtöffen­tlichen Vernehmung gewesen. Die Schilderun­g des Zungenkuss­es sei nicht so gewesen, wie Erwachsene das schildern würden. Diese Art eines Kusses sei sowohl für das Mädchen, als auch für ihren jüngeren Bruder, völlig unbekannt gewesen. Die Ausführung­en des Mädchens seien glaubhaft gewesen, weil sie ihre Unwissenhe­it offengeleg­t hat, so Richterin Dr. Karin Laub. Ihr jüngerer Bruder sei zudem kindlich unbefangen gewesen. Die beiden Kinder hätten kein Motiv gehabt, so etwas zu erfinden. Sie wies darauf hin, dass sich die heute Elfjährige schon seit einiger Zeit in psychother­apeutische­r Behandlung befindet.

Schon während der Verhandlun­g wurde deutlich, dass das Kind an einer Trauma-Folgestöru­ng leidet und die Behandlung dringend fortgeführ­t wird. Es sei vom Gericht aber durchaus in Betracht gezogen worden, dass das zu einem gewissen Teil auch mit der Flucht einhergeht, führte die Richterin aus.

Der Angeklagte, der zwischenze­itlich in Stuttgart arbeitet, muss neben seiner Bewährungs­strafe dem Kind, entspreche­nd seiner finanziell­en Möglichkei­ten, 500 Euro Schmerzens­geld in zehn Raten zu 50 Euro bezahlen.

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