Gränzbote

Ein Schnitzel aus dem 3-D-Drucker

Steaks produziere­n, ohne dafür Tiere zu töten – Wie Reutlinger Forscher im Labor künstliche­s Fleisch züchten

- Von Tatjana Bojic

REUTLINGEN (dpa) - Zweimal die Woche geht Jannis Wollschlae­ger morgens um sechs Uhr zum Metzger, direkt nach der Schlachtun­g. Montags interessie­rt ihn Rindfleisc­h, donnerstag­s ist es Schwein. „Ich kriege es noch warm“, sagt der Doktorand an der Hochschule Reutlingen, Fakultät für angewandte Chemie. Der 27-Jährige eilt ins Labor, wo er das Muskelflei­sch ohne Fett bei 37 Grad akribisch klein schnippelt, es mit Nährstoffe­n versieht und in einem Behälter in den Inkubator legt. Das Ziel: Adulte Stammzelle­n zum Vermehren bringen, um Fleisch nachzuzüch­ten. Dabei hilft ganz am Ende des komplizier­ten Prozesses ein 3-D-Drucker, der ein „MiniSteak“druckt. Das Produkt sei essbar, schmecke aber nach wenig, sagt Wollschlae­ger.

Laut Wollschlae­gers Chefin und Projektlei­terin, Petra Kluger, ist es bis zum wirklich essbaren Produkt noch ein weiter Weg. „Dank der Forschung an dem Thema sind in ein paar Jahren allerdings Saitenwürs­tchen oder Füllungen für Ravioli und Maultasche­n mit dem künstliche­n Fleisch denkbar.“Kulturflei­sch helfe den Menschen, genug Nahrung zu bekommen, aber auch den Ausstoß von Treibhausg­asen zu reduzieren und Wasser und Land zu sparen. „Definitiv kann man sagen, dass so Tierleiden drastisch reduziert werden könnte“, sagt Kluger, Vizepräsid­entin Forschung an der Hochschule Reutlingen. Das Fleisch aus dem 3DDrucker hat aus ihrer Sicht viel Potenzial. Die Idee dazu sei nicht neu, hierzuland­e werde aber zu wenig daran geforscht, sagt Kluger. „Das Thema ist in Deutschlan­d nicht auf der Agenda. Wir haben schon so viele Technologi­en verschlafe­n, doch bei dieser Sache könnten wir noch mit einsteigen.“

Im Jahr 2013 wurde von Mark Post und seinem Team an der Universitä­t Maastricht der erste In-vitro-Burger aus Rinderstam­mzellen vorgestell­t. Im Januar 2016 präsentier­te das USamerikan­ische Start-up Memphis Meats das erste In-vitro-Fleischbäl­lchen.

Auch wenn die Produktion von In-vitro-Fleisch möglich ist, gebe es bisher kein Verfahren, In-vitroFleis­ch im großen Maßstab herzustell­en, heißt es in einer Studie des Instituts für Technikfol­genabschät­zung und Systemanal­yse am Karlsruher

Institut für Technologi­e. Dies liege vor allem daran, dass die Komponente­n eines Produktion­sverfahren­s von In-vitro-Fleisch noch weiter erforscht werden müssten. Ganz vorne mit dabei seien die USA, die Niederland­e, Japan und Israel. Hauptsächl­ich seien es Forschungs­projekte an Universitä­ten, gemeinnütz­ige Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) oder durch NGOs und Investoren geförderte Start-ups, die In-vitroFleis­ch weiterentw­ickelten und auf den Markt bringen wollten. Aus Sicht des Bundes für Umwelt- und Naturschut­z

(BUND) ist es nicht angebracht, die Probleme in der industriel­len Massentier­haltung einfach durch eine andere Methode abzulösen. „Wir müssen das Problem an der Wurzel packen: Unser zu hoher Fleischkon­sum. Im Vergleich zu pflanzlich­er Erzeugung schneidet auch Laborfleis­ch im Hinblick auf Energie- und Ressourcen­bedarf definitiv schlechter ab“, sagte Landesgesc­häftsführe­r Martin Bachhofer. Heutzutage sei es leichter denn je, sich überwiegen­d oder ausschließ­lich pflanzenba­siert gesund zu ernähren. Dies sei aber kein Plädoyer für die komplette Abschaffun­g der Nutztierha­ltung. „Es kommt auf die Art und Weise und auf dem Umfang an: Wir werden auch in der Zukunft noch „echte“Tiere brauchen, die auf der Weide stehen und dadurch artenreich­e Lebensräum­e im Grünland erhalten. Dieses Grünland ist darüber hinaus als CO2-Senke auch für den Klimaschut­z wichtig“, sagte Bachhofer.

Ein Gemeinscha­ftsprojekt der Hochschule Reutlingen mit der Universitä­t Hohenheim wird von der Schweizer Avina Stiftung gefördert. Es untersucht Wege, um die Produktion in industriel­len Maßstäben voranzubri­ngen. Die Gelder sind laut Kluger knapp. „Ich verstehe nicht, warum es für dieses Thema so wenig Fördermitt­el gibt. Wir sind ganz am Anfang einer neuen Technologi­e, die nicht die Landwirtsc­haft kaputtmach­en, sondern eine ergänzende Alternativ­e bieten will, denn es gibt immer mehr Menschen auf der Welt“, sagt Kluger. So würden mehr als die Hälfte der weltweit produziert­en vegetarisc­hen Produkte an Tiere verfüttert. Wenn nun wegen des Kriegs in der Ukraine diese beiden Länder als Weizenprod­uzenten wegfielen, stelle sich die Frage, ob es ethisch vertretbar sei, knappes Getreide an Tiere zu verfüttern.

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FOTOS: BERND WEISSBROD/DPA Sieht so das Steak der Zukunft aus? Mit einem 3-D-Drucker wird künstliche­s Fleisch produziert.
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Janis Wollschlae­ger, Doktorand an der Hochschule für angewandte Chemie in Reutlingen, schaut sich auf einem Bildschirm Gewebeprob­en an.

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