Erfolge im Kampf gegen den Krebs
Verbesserte Methoden helfen bei der Früherkennung – Neues Medikament gegen Prostatakrebs zugelassen
BERLIN - Keine andere Diagnose sorgt für mehr Angst: Drei von vier Deutschen fürchten, Krebs zu bekommen. Und tatsächlich trifft eine halbe Million Menschen diese Nachricht Jahr für Jahr. Vor allem Brustund Darmkrebs bei Frauen, Prostataund Lungenkrebs bei Männern. Tendenz steigend. In Deutschland ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. Pro Jahr sterben 18.000 Frauen an Brustkrebs, 30.000 Männer an Lungenkrebs. Immerhin: Seit Anfang der 1990er-Jahre geht die Krebssterblichkeit zurück. Etwa die Hälfte aller erwachsenen Patienten können geheilt werden. Obwohl für den Einzelnen aufgrund einer steigenden Lebenserwartung das Risiko einer Krebsdiagnose steigt, sinkt also die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu sterben.
Das hat mit besseren Früherkennungsund Therapiemethoden zu tun. Weshalb der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang 2019 vorhersagte, in zehn Jahren könne Krebs besiegt sein. So schnell aber geht es wohl nicht. Zumal auch hier Corona für Rückschritt gesorgt hat. So beklagt das Wissenschaftliche Institut der AOK, dass es bei Krebs-Früherkennungsuntersuchungen im Pandemiejahr 2021 erneut starke Rückgänge gegeben habe, die sich auch im ersten Quartal 2022 fortgesetzt hätten. Das betrifft in erster Linie die Darmkrebsund Prostatakrebs-Früherkennung. Und weil gilt: Wenn Krebs früh erkannt wird, kann er auch früh behandelt werden, ist es kein Wunder, dass die Darmkrebs-Operationen 2020 um zehn Prozent, 2021 um zwölf Prozent und in den ersten acht Monaten 2022 um 17 Prozent zurückgingen. Die AOK fürchtet langfristig bei Darmkrebs mehr fortgeschrittene Krebsfälle als früher.
Im Gegensatz dazu haben sich die Zahlen bei der Brustkrebs-Früherkennung wieder stabilisiert. Hier aber gibt es ein anderes Problem – in der anschließenden Behandlung. Seit Monaten gibt es immer wieder Probleme mit der Lieferfähigkeit des bewährten Medikaments Tamoxifen. Tamoxifen zur Therapie von hormonabhängigem Brustkrebs nämlich ist nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie ein „unverzichtbarer Bestandteil“der Behandlung, der Ersatz durch andere Wirkstoffe
sei „mit einer höheren Nebenwirkungsrate belastet“. Laut dem Lobbyverband Pro Generika haben viele Firmen die Produktion eingestellt
– weil sie unwirtschaftlich geworden sei. Für Geschäftsführer Bork Bretthauer kein Wunder: Bei Tamoxifen erhielten die Hersteller
von den Krankenkassen für eine Dreimonatspackung Tamoxifen 8,80 Euro, seit zwölf Jahren gelte beinahe derselbe Festbetrag. Zwar sei der unmittelbare Notstand behoben. Die Politik müsse aber endlich Anreize setzen, „damit sich wieder mehr Unternehmen an der Versorgung beteiligen – sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Engpass eintritt.“
Aber es gibt auch viele gute Nachrichten. Seit Mitte Dezember ist in der EU ein Medikament gegen metastasierten Prostatakrebs zugelassen. Das trägt den sperrigen Namen Lutetium-177 PSMA-617. Für Bundesforschungsministerin Bettina StarkWatzinger (FDP) „ein großartiger Erfolg für die deutsche Krebsforschung“, da der Wirkstoff hierzulande entwickelt wurde, auch wenn er vom Schweizer Konzern Novartis vertrieben wird. Bisher hätten Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs kaum noch Hoffnung gehabt. Laut Deutschem Krebsforschungszentrum liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Tumor, der noch auf die Prostata beschränkt ist, zu überleben, nahezu bei 100 Prozent, bei metastasierten Tumoren dagegen bisher nur bei 30 Prozent. Zudem haben schwedische Forscher eine Methode zur Früherkennung von 14 Krebsarten entwickelt. Genutzt werden dafür Zuckerverbindungen, deren Struktur sich durch Tumore verändert, was in Blut und Urin nachgewiesen werden kann. Allerdings ist das, so Prof. Edgar Dahl von der Uniklinik Aachen, „noch weit von einer regelhaften Anwendung entfernt“.
Bei den mRNA-Spezialisten Biontech und Moderna wiederum, bekannt durch ihre Corona-Vakzine, arbeitet man daran, mit Impfstoffen bei wegen Krebs Operierten Rückfälle zu vermeiden. Denn, so die medizinische Biontech-Geschäftsführerin Özlem Türeci, viele Erkrankungen verliefen so, dass ein Patient nach der Operation zunächst tumorfrei erscheine. Dann aber erschienen Tumorherde, „die zunächst nicht sichtbar waren und es kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Metastasen“. Vakzine sollen das Immunsystem ertüchtigen, übrig gebliebene Tumorzellen zu bekämpfen. Daran arbeitet auch Konkurrent Moderna. Die Firma teilte gerade mit, dass ein Impfstoff bei Versuchspersonen, die von Hautkrebs genesen waren, das Risiko einer Neuerkrankung um 40 Prozent gesenkt habe. Trotz der Fortschritte warnt Biontech-Co-Chefin Türeci vor übertriebenen Erwartungen: „Die Vorstellung, man hat eine Pille, und die heilt alle Krebsarten unmittelbar, die wird nicht eintreten.“Der Sieg über den Krebs ist bisher also weiter individuell, ein genereller Sieg dagegen dürfte noch dauern.