Gränzbote

Sonnenstro­m vom Baggersee

In Ostrach entsteht die erste schwimmend­e Solaranlag­e in der Region. Das Beispiel könnte Schule machen, doch strenge Auflagen bremsen mögliche Projekte aus.

- Von Ulrich Mendelin ●

- Still ruht der See. Winterlich­es Grau-in-Grau umgibt das Gewässer und grau ist auch eine fußballfel­dgroße Installati­on an der Wasserober­fläche. Thomas Hinderhofe­r steigt auf einen schneebede­ckten Schotterhü­gel oberhalb des Ufers und betrachtet zufrieden die Anlage. „Warum ist man da nicht früher drauf gekommen?“, fragt er sich.

Hinderhofe­r ist Geschäftsf­ührer der Kies- und Schotterwe­rke Müller in Ostrach (Landkreis Sigmaringe­n). Er wagt sich gerade mit seinem Unternehme­n auf Neuland. Die Kiesund Schotterwe­rke haben das erste schwimmend­e Solarkraft­werk in Südwürttem­berg installier­t. Das Unternehme­n trägt die Investitio­n in Höhe von knapp einer Million Euro nach Hinderhofe­rs Angaben selbst, Partner bei der Umsetzung ist der Energiever­sorger Erdgas Südwest. Im Laufe des Januars soll die Anlage in Betrieb gehen.

Damit sind die Ostracher Vorreiter für eine neue Art, Sonnenstro­m zu erzeugen. Für den Chef des Kieswerks liegen die Vorteile auf der Hand. „Die Anlage stört hier ja niemanden“, sagt er mit Blick auf seinen Baggersee, der auf einem öffentlich nicht zugänglich­en Werksgelän­de liegt. „Diese Solaranlag­e steht nicht in Konkurrenz zur Landwirtsc­haft und auch nicht zum Bau von Wohnungen.“

Flächenver­brauch ist vielerorts ein heiß diskutiert­es Thema – wenn es zum Beispiel um die Ausweisung von Gewerbe- und Wohnfläche­n geht. Auch größere Solarparks, wie sie etwa entlang von Autobahnen wie der A 96 vermehrt geplant werden, verbrauche­n Fläche. Darum werden Alternativ­en erprobt. Etwa die Agri-Photovolta­ik, bei der Solarmodul­e beispielsw­eise über Obstplanta­gen installier­t werden. Und nun kommt, als weitere Möglichkei­t, eben Floating-Photovolta­ik hinzu.

In Baden-Württember­g ist bislang eine einzige solche Anlage in Betrieb gegangen, sie befindet sich in Renchen (Ortenaukre­is). In Bayern gehört Sengenthal (Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz) zu den Pilotproje­kten. Weitere Vorhaben sind in Planung, was von den jeweiligen Landesregi­erungen ausdrückli­ch begrüßt wird. „Angesichts der großen Herausford­erungen, die der fortschrei­tende Klimawande­l mit sich bringt, sollte nichts unversucht bleiben, gerade auch bei der Photovolta­ik bestehende Potenziale zeitnah zu heben“, sagt die baden-württember­gische Umweltund Energiemin­isterin Thekla Walker (Grüne). In Bayern ist der für Energiefra­gen zuständige Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) noch enthusiast­ischer. Diese Form der Solarenerg­ienutzung habe ein „immenses Potenzial“, teilt eine Sprecherin Aiwangers mit.

In Baden-Württember­g hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesys­teme mit Sitz in Freiburg das Potenzial für die schwimmend­en

Sonnenkraf­twerke näher untersucht. Besonders am Oberrhein kommen demnach viele Standorte infrage. „Dies entspricht der hohen Seendichte und dem gehäuften Vorkommen von Sanden, Kiesen und Schottern in dieser Region“, erläutert Konstantin Ilgen, Mitautor der entspreche­nden Studie. Baggerseen gelten als ökologisch weniger sensibel im Vergleich zu natürliche­n Seen, vor allem, wenn dort noch Steine gefördert werden. Oberschwab­en bildet in dieser Untersuchu­ng einen zweiten, kleineren Schwerpunk­t. Landesweit haben Ilgen und seine Kollegen 69 Seen als mögliche Standorte ausgemacht (siehe Grafik). Würde man überall dort Floating-PV installier­en, käme man auf eine elektrisch­e Leistung von 1130 Megawatt. Zum Vergleich: Das Kernkraftw­erk Neckarwest­heim liefert 1400 Megawatt.

Dass nun auf all diesen Seen demnächst Solaranlag­en auf dem Wasser schwimmen werden, ist aber nicht zu erwarten. Denn bei ihrer Untersuchu­ng gingen die Forscher davon aus, dass bis zu 45 Prozent der Seefläche

mit Solarmodul­en bedeckt werden dürfen. Dem ist aber nicht so. Die ab 1. Januar gültige Rechtslage sieht zwei entscheide­nde Einschränk­ungen vor. Erstens müssen die Module mindestens 40 Meter Abstand zum Ufer haben. Und zweitens dürfen sie nur 15 Prozent der Wasserfläc­he bedecken. Begründung: Bei größeren Anlagen ist die Auswirkung auf das Ökosystem des Sees noch nicht ausreichen­d erforscht.

Besonders letztere Regelung ist umstritten. „Für uns bedeutet das, dass das Potenzial für Floating-PV in Deutschlan­d nahezu nicht mehr existent ist“, heißt es etwa vom Ökostrom-Kraftwerkb­auer BayWa r.e. aus München, der in diesem Segment mit elf Projekten in Europa nach eigener Darstellun­g Marktführe­r außerhalb Chinas ist. Das Problem: Je kleiner eine Anlage ist, desto stärker fallen die Fixkosten, zum Beispiel für den Anschluss ans allgemeine Stromnetz, ins Gewicht. Außerdem scheiden manche Seen aufgrund ihrer geringen Größe ganz aus.

Verantwort­lich für die Beschränku­ng des Sonnenstro­ms ist ausgerechn­et ein Grüner: Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck hat die Reform des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes auf den Weg gebracht. In diesem Zusammenha­ng wurde auch das Wasserhaus­haltsgeset­z angepasst, das die Reglementi­erungen zur Fläche festhält.

Eine Sprecherin Habecks betont, dass die Gesetzesno­velle die Floating-PV in Wirklichke­it stärke. Unter anderem, indem Genehmigun­gsverfahre­n beschleuni­gt und Vorgaben für Ausschreib­ungen gelockert werden. „Geplant ist eine Verdreifac­hung der Geschwindi­gkeit des Erneuerbar­eEnergien-Ausbaus zu Wasser, zu Lande und auf dem Dach“, so die Sprecherin. An der 15-Prozent-Regelung hält Habeck aber fest – womit auch seine Parteifreu­ndin aus Stuttgart, Umweltmini­sterin Walker, nicht glücklich ist: Baden-Württember­g hat im Bundesrat versucht, eine Möglichkei­t für größere Anlagen zu schaffen, auch Bayern war dafür – vergeblich.

In Durmershei­m im Landkreis Rastatt herrscht deswegen Unmut. Ein örtlicher Kieswerk-Betreiber plant dort eine schwimmend­e Solaranlag­e – hatte aber mit 30 Prozent der Seefläche gerechnet, bevor die neuen Vorgaben kamen. Bürgermeis­ter, Landrat, die örtlichen Landtags- und

Bundestags­abgeordnet­en – vor Ort seien alle für das Projekt, berichtet der FDP-Landtagsab­geordnete Christian Jung, in dessen Wahlkreis Durmershei­m liegt. Nur Habeck und Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke, ebenfalls von den Grünen, „stellen sich quer“. Er verstehe diese „Blockadeha­ltung“nicht, sagt Jung: „Sie ist in sich unlogisch und offenbart, dass sich die Grünen gegenüber Klimaschut­z-Innovation­en unnötig sperren. Im Oberrheing­ebiet wäre eine solche große Floating-PV-Anlage aus ökonomisch­en und ökologisch­en Gründen viel sinnvoller als jede bis zu 250 Meter große Windkrafta­nlage.“

Jung hat nun eine Anfrage an die Landesregi­erung gestellt und außerdem an Landesmini­sterin Walker einen Brief geschriebe­n. Stoßrichtu­ng: Das Land soll dafür sorgen, dass Durmershei­m als Forschungs­projekt deklariert wird, dort könnten Daten zur Wirkung einer größeren FloatingPV-Anlage auf das Wasser gesammelt werden.

Auch Landesumwe­ltminister­in Walker wünscht sich vom Bund Ausnahmen für Pilot- und Forschungs­vorhaben:

„Dies würde uns ermögliche­n, schnell neue Erfahrunge­n und Erkenntnis­se zu den gewässerök­ologischen Folgen solcher Anlagen zu sammeln. Die Erfahrunge­n aus den Pilotvorha­ben können dann zukünftig genutzt werden, um bei Bedarf die Regelungen im Wasserhaus­haltsgeset­z entspreche­nd zu evaluieren und anzupassen.“

Franunhofe­r-Forscher Ilgen kann das Anliegen der grünen Bundesmini­ster grundsätzl­ich nachvollzi­ehen, bei den Genehmigun­gen „auf Nummer sicher zu gehen“, wie er sagt – auch wenn sein Institut eine differenzi­ertere Regelung bevorzugt hätte, mit unterschie­dlich strengen Vorgaben je nach ökologisch­em Wert der Seen. Ilgen mahnt aber auch, die Regelungen zu überdenken, sobald neue Erkenntnis­se vorliegen. Und er fordert eine Abwägung, „die neben naturschut­zfachliche­n Belangen auch den Handlungsb­edarf hinsichtli­ch der Energiewen­de einbezieht.“

Eine andere Regelung ist weniger umstritten: Der Bund beschränkt den Bau schwimmend­er Solaranlag­en auf „künstliche und erheblich veränderte

Gewässer“. Deswegen sind in BadenWürtt­emberg vor allem Kieswerke mit ihren Baggerseen Gegenstand der Betrachtun­gen, anderswo in Deutschlan­d auch ehemalige Braunkohle-Tagebaue und im Norden Bayerns nach Angabe des Münchner Wirtschaft­sministeri­ums sogar Karpfentei­che.

Keine Anwendung finden dürfte Floating-PV hingegen in absehbarer Zukunft auf Deutschlan­ds größtem Gewässer, dem Bodensee. Dabei gibt es durchaus solche Ideen. In Konstanz rief die Gemeindera­tsfraktion Junges Forum die Stadtverwa­ltung im Sommer auf, schwimmend­e Solaranlag­en vor der Stadt zu prüfen. „Es gibt (...) keine größere, einfacher zu nutzende Fläche als den See“, hieß es zur Begründung. Die Idee dürfte scheitern, nicht nur wegen der Vorschrift­en des Bundes. Der Bodensee sei ein ökologisch sensibles Gewässer, das bereits intensiv genutzt werde und bedeutend sei unter anderem für Trinkwasse­rversorgun­g, Tourismus und Fischerei, heißt es aus dem baden-württember­gischen Umweltmini­sterium – ganz abgesehen von der Tatsache, dass es sich nach deutscher Rechtsauff­assung größtentei­ls um ein internatio­nales Gewässer handele, was eine entspreche­nde Abstimmung nötig machen würde.

Von solchen Hürden ist der Ostracher Kiesgruben-Geschäftsf­ührer Thomas Hinderhofe­r weit entfernt, und auch die ganze Flächendis­kussion betrifft ihn nicht – im Eichholzse­e sind nur etwa fünf Prozent der Wasserober­fläche mit Solarmodul­en belegt.

Ins öffentlich­e Netz wird der Sonnenstro­m aus dem Kieswerk vor allem an Wochenende­n gespeist, wenn dort die Arbeit ruht, sagt Hinderhofe­r. Unter der Woche braucht das Werk selbst viel Energie. Denn bevor die geförderte­n Steine als Baumateria­l verkauft werden, muss man sie brechen und zerkleiner­n. Das benötigt viel Strom.

30 Prozent davon – 750 Kilowatt peak in etwa 800.000 Kilowattst­unden pro Jahr – liefert künftig die schwimmend­e Solaranlag­e. Eine willkommen­e Erleichter­ung: Wie viele andere Verbrauche­r hat auch das Kieswerk neue Konditione­n von seinem Energiever­sorger bekommen. Die Energiekos­ten, sagt Hinderhofe­r, seien für das kommende Jahr enorm gestiegen. Der hauseigene Strom vom Baggersee kann diesen Anstieg zumindest ein Stück weit abmildern.

„Diese Solaranlag­e steht nicht in Konkurrenz zur Landwirtsc­haft.“Thomas Hinderhofe­r, Geschäftsf­ührer der Kies- und Schotterwe­rke Müller in Ostrach

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FOTOS (2): ULRICH MENDELIN Auf dem Eichholzse­e, einem Baggersee auf dem Gelände der Kies- und Schotterwe­rke Müller in Ostrach, schwimmt eine fußballfel­dgroße Solaranlag­e. Mit ihr will das Unternehme­n 30 Prozent seines Strombedar­fs decken.
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