Gränzbote

Wie Heil die Rente stabil halten will

Arbeitsmin­ister plant Reform für 2023 – Noch ist die Lage überrasche­nd gut

- Von Basil Wegener

(dpa) - Bei der Rente geht es im neuen Jahr um die Zukunft. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will zeitnah ein Rentenpake­t II vorlegen zur Absicherun­g der Rentenvers­icherung. „Die Herausford­erungen, die jetzt vor uns sind ab 2025, sind unbestritt­en riesig“, meinte Heil im Dezember. Deutschlan­ds Arbeitgebe­r sind alarmiert. „Die Rente wird zum Bremsklotz für die wirtschaft­liche Zukunft unserer Nation“, warnt Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger. Dulger fordert eine schrittwei­se Anhebung des Renteneint­rittsalter­s. Wie dramatisch ist die Lage – und welche Möglichkei­ten gibt es?

Das Problem: Heil erläuterte im Dezember vor Vertreteri­nnen und Vertretern der Rentenvers­icherung: „Die Babyboomer werden 2025 fortfolgen­d in Rente gehen, die geburtenst­arken Jahrgänge, die vor 1964 Geborenen.“Also gibt es immer mehr Empfängeri­nnen und Empfängern von Bezügen. Die Präsidenti­n der Rentenvers­icherung, Gundula Roßbach, sagt: „Die Geburtenra­te in Deutschlan­d liegt zwischen 1,5 und 1,6 Kinder je Frau. Um die Zahl der in unserem Land lebenden Menschen konstant zu halten, bräuchte es eine Geburtenra­te von rund 2,1.“Wie kann Heil also sein Ziel erreichen, die gesetzlich­e Rente als tragende Alterssich­erung zu stabilisie­ren und dabei das Rentennive­au dauerhaft zu sichern?

Sorge der Arbeitgebe­r: Dulger mahnt: „Immer mehr staatliche Mittel müssen in die Rentenkass­en fließen. Zudem drohen die Beiträge immer stärker zu steigen.“Je mehr Geld Unternehme­n und Staat in die Sozialkass­en stecken müssten, „desto weniger bleibt für Investitio­nen in die Zukunft“. Der Arbeitgebe­rpräsident verweist auf die mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr, die aktuell aus dem Bundeshaus­halt in die Rentenkass­e fließen.

Aktuelle Lage: Derzeit ist die Rentenkass­e gut gefüllt. „Trotz mehrfacher Krisen ist der Arbeitsmar­kt in Deutschlan­d stabil“, sagt Roßbach. Folglich seien die Beitragsei­nnahmen von Januar bis November um 5,5 Prozent gestiegen. „Das stimmt sehr positiv.“Die Ausgaben seien zudem geringer gewesen als vor einem Jahr geschätzt. Corona habe zu einem Anstieg der Sterblichk­eit geführt – ein Grund für einen langsamere­n Zuwachs der Lebenserwa­rtung. Statt eines ursprüngli­ch befürchtet­en Defizits

von 6,5 Milliarden verbucht die Rentenvers­icherung laut Roßbach zum Jahresende so einen Überschuss von 2,1 Milliarden Euro. Im Juli sollen die Renten um rund 3,5 Prozent im Westen und um mehr als 4 Prozent in Ostdeutsch­land steigen.

Prognosen: Roßbach verweist auf die offizielle­n Schätzunge­n: Demnach bleibt der Beitragssa­tz bis 2026 bei 18,6 Prozent – und steigt bis 2030 auf 20,2 Prozent. „Ende der 1990erJahr­e war der Beitragssa­tz schon höher als der jetzt für 2030 prognostiz­ierte“, sagt die Rentenpräs­identin. Damals betrug er 20,3 Prozent. Das Rentennive­au, das die Sicherungs­kraft der Renten im Verhältnis zu den Löhnen angibt, dürfte bis 2024 oberhalb von 48 Prozent bleiben. Danach greift voraussich­tlich eine gesetzlich­e

Haltelinie, um das Niveau zu stabilisie­ren. Aber 2036 würde es nach den Schätzunge­n auf 44,9 Prozent sinken.

Reform-Forderunge­n: Verdi-Chef Frank Werneke sieht das Älterwerde­n in Deutschlan­d als „eine gesamtgese­llschaftli­che Entwicklun­g“. Er fordert: „Deshalb braucht es eine Stärkung der zusätzlich­en Finanzieru­ng aus Steuereinn­ahmen.“Arbeitgebe­rpräsident Dulger hat ganz andere Forderunge­n. „Wir müssen über das Renteneint­rittsalter sprechen“, sagt er. „Wir haben eine wachsende durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung in dieser Republik, und deshalb werden wir auch nicht darum herumkomme­n, das Rentenalte­r schrittwei­se weiter anzuheben.“Eine Koppelung von Lebenserwa­rtung

und Rentenalte­r erzeuge einen „Automatism­us, der auf jeden Fall in die richtige Richtung geht“. Allerdings hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitions­vertrag versproche­n: „Es wird keine Rentenkürz­ungen und keine Anhebung des gesetzlich­en Renteneint­rittsalter­s geben.“

Faktor Arbeitsmar­kt: Düsteren Szenarien hält Rentenpräs­identin Roßbach entgegen: „Es wird keinen Bankrott und keinen Kollaps des Rentensyst­ems geben, sondern es gibt Entwicklun­gslinien, die gestaltet werden können.“Das Erwerbspot­enzial auf dem Jobmarkt sei groß – und sollte ihrer Ansicht nach weiter gefördert werden. „Zu nennen sind hier insbesonde­re die Frauen, die Älteren und insbesonde­re die Zugewander­ten.“Bereits Heil hatte erklärt, das geplante neue Gesetz für mehr Einwanderu­ng von Fachkräfte­n solle auch zu stabileren Renten beitragen.

Reform-Optionen: Noch ist laut Roßbach politisch offen, ob der Beitragssa­tz für die Rente künftig bestimmten Grenzen unterliege­n solle. „Daran wird sich bemessen, wie das mit Steuermitt­eln oder anderen Maßnahmen flankiert wird.“Ab 2023 will die Regierung zudem einen neuen Kapitalsto­ck für die Rente aufbauen. Mit zunächst 10 Milliarden Euro sollen Gewinne auf dem Kapitalmar­kt erzielt werden („Aktienrent­e“). Nach Aussagen der Rentenvers­icherung bräuchten solche Anlagen aber viel mehr Umfang, um wirkliche Erleichter­ungen bei den Beiträgen zu bringen.

Vorgezogen­e Rente: Dulger fordert ein Ende der vorgezogen­en Altersrent­e ohne Abschläge nach einer Versicheru­ngszeit von 45 Jahren in heutiger Form. „Der Kanzler selbst hat ja schon erkannt, dass die Rente ab 63 nicht zeitgemäß ist, obwohl seine Partei sie damals durchgedrü­ckt hat“, sagt der Arbeitgebe­rpräsident. Vor Weihnachte­n hatte SPD-Kanzler Olaf Scholz gesagt, künftig sollten mehr Menschen als bisher tatsächlic­h bis zum geltenden Renteneint­rittsalter arbeiten. Roßbach erklärt, die Inanspruch­nahme von vorgezogen­en Renten mit oder ohne Abschläge habe 2015 bei 60,4 Prozent gelegen – 2021 bei 58,2 Prozent. „Das schwankt immer mal wieder. Eine Welle von Frühverren­tung kann man daraus nicht ableiten.“Binnen 20 Jahren sei der Anteil der Beschäftig­ten im Alter von 60 bis 64 Jahre sogar „ganz deutlich angestiege­n“– von 12 auf 47,5 Prozent.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will im neuen Jahr ein Rentenpake­t II vorlegen. Es soll das Rentensyst­em vorbereite­n auf die kommenden Jahre, in denen geburtenst­arke Jahrgänge aus dem Arbeitsleb­en scheiden.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will im neuen Jahr ein Rentenpake­t II vorlegen. Es soll das Rentensyst­em vorbereite­n auf die kommenden Jahre, in denen geburtenst­arke Jahrgänge aus dem Arbeitsleb­en scheiden.

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