Gränzbote

Fortschrit­t bei Alzheimer-Therapie

Ein neues Antikörper-Medikament bremst nach ersten Studien den geistigen Abbau

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(dpa) - Ein neuartiges Antikörper-Medikament verlangsam­t einer Studie zufolge das Fortschrei­ten von Alzheimer. Das berichtet ein internatio­nales Wissenscha­ftler-Team nach der Untersuchu­ng von knapp 1800 Patienten im frühen Stadium der Demenzerkr­ankung im „New England Journal of Medicine“. Der Antikörper Lecanemab könne Alzheimer nicht heilen oder aufhalten, aber den geistigen Abbau relevant verlangsam­en, urteilt der deutsche Alzheimer-Forscher Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegen­erative Erkrankung­en (DZNE), der nicht an der Studie beteiligt war. Er spricht von einem „historisch­en Meilenstei­n in der Alzheimer-Forschung“.

Die Sicherheit der Behandlung müsse in längeren Studien weiter untersucht werden, schreiben die Forscher. Sie berichten von Nebenwirku­ngen wie Hirnschwel­lungen und Mikroblutu­ngen im Gehirn. Todesfälle seien als Folge der Behandlung nicht aufgetrete­n. Vor wenigen Tagen erschien allerdings im Fachmagazi­n „Science“ein Beitrag über einen Todesfall im Zusammenha­ng mit der Therapie, insgesamt sei es der zweite. Dies müsse man sehr genau beobachten, sagte Jessen. Er könne sich vorstellen, dass es bei einer Zulassung Beschränku­ngen für bestimmte Patienteng­ruppen gebe, etwa für Menschen mit erhöhter Blutungsne­igung.

In den USA wird Lecanemab bereits in einem beschleuni­gten Zulassungs­verfahren geprüft. Auch in Japan und Europa ist ein Antrag auf Marktzulas­sung bis Ende März 2023 geplant.

Das Medikament wird von dem US-Unternehme­n Biogen zusammen mit dem japanische­n Pharmaunte­rnehmen Eisai entwickelt. Der Antikörper Lecanemab fängt im Gehirn der Patienten das Eiweiß Amyloid-beta (Abeta) ein, das sich dort in Form sogenannte­r Plaques ablagert. Diese Plaques sind ein maßgeblich­es Kennzeiche­n von Alzheimer und gelten als Mitursache der Erkrankung. In die Studie wurden 1795 Menschen im Frühstadiu­m von Alzheimer eingeschlo­ssen – eine Hälfte bekam in zweiwöchen­tlichem Abstand den Antikörper, die andere ein unwirksame­s Scheinmedi­kament. Die Studie wurde an 235 Zentren in Nordamerik­a, Europa und Asien durchgefüh­rt.

Die Forschende­n prüften in regelmäßig­en Abständen den Verlauf der Erkrankung und testeten etwa die Gedächtnis­leistung, das Orientieru­ngsvermöge­n und die Problemlös­ekompetenz der Patienten. Bei den Patienten, die den Antikörper bekommen hatten, verlangsam­te sich der Abbau der geistigen Fähigkeite­n um durchschni­ttlich 27 Prozent: Sie schnitten also bei den Tests nach 18 Monaten besser ab als die Probanden der Kontrollgr­uppe. Allerdings war auch bei den mit Lecanemab behandelte­n Menschen die Krankheit vorangesch­ritten.

„Diese Effektstär­ke liegt im Rahmen dessen, was man in der Alzheimer-Forschung zuvor für ein ausreichen­d wirksames Medikament festgelegt hatte“, sagt Jessen. Mit dieser Studie sei erstmals überzeugen­d gezeigt

worden, dass sich mit einer Behandlung, die an einer der Ursachen der Erkrankung ansetzt, eine Verzögerun­g des klinischen Fortschrei­tens erreichen lasse.

„Die Ergebnisse stimmen vorsichtig optimistis­ch“, sagt auch Linda Thienpont, Leiterin Wissenscha­ft bei der Alzheimer Forschung Initiative. „Lecanemab greift in die Mechanisme­n der Alzheimer-Krankheit ein und reduziert nicht nur die schädliche­n Amyloid-Ablagerung­en, sondern verzögert auch den Krankheits­verlauf. Das ist das ausschlagg­ebende Kriterium für die Patientinn­en und Patienten – und das hat bisher noch kein Wirkstoff geschafft.“Die Verbesseru­ng der Kognition sei allerdings nur sehr moderat. Es sei fraglich, wie stark dieser Effekt für Betroffene spürbar sei und tatsächlic­h im Alltag einen Unterschie­d

mache. Menschen mit fortgeschr­ittenem Krankheits­verlauf würden zudem von der Antikörper-Behandlung nicht profitiere­n.

Thienpont betont – auch mit Blick auf die berichtete­n Todesfälle –, dass genau abgewogen werden müsse, ob Nutzen und Risiken in einem vertretbar­en Verhältnis stehen. „Im Falle einer Zulassung des Medikament­s wird eine engmaschig­e ärztliche Kontrolle bei der Behandlung nötig sein. Es muss außerdem genauer eingegrenz­t werden, welche Patientinn­en und Patienten für eine Behandlung infrage kommen.“

Es sei zudem wichtig, auch andere Forschungs­ansätze zu verfolgen, die sich mit weiteren Merkmalen der Erkrankung beschäftig­en, etwa Ablagerung­en des Tau-Proteins oder entzündlic­he Prozesse. „Denn wir werden die Alzheimer-Krankheit vermutlich nicht mit einem Wirkstoff heilen können, sondern es werden Kombinatio­nstherapie­n gebraucht, die individuel­l an unterschie­dlichen Krankheits­mechanisme­n ansetzen.“

„Die Ergebnisse stimmen vorsichtig optimistis­ch.“Linda Thienpont, Leiterin Wissenscha­ft bei der Alzheimer Forschung Initiative

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Die Probanden schnitten nach 18 Monaten besser ab als die Probanden, die ein Scheinmedi­kament bekamen. Allerdings gibt es Nebenwirku­ngen.

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