Gränzbote

Warum 2023 niemand an Fela Kuti vorbeikomm­t

Seit dem Song „Jerusalema“ist afrikanisc­he Popmusik auch im deutschen Mainstream angekommen

- Von Rachel Boßmeyer und Lucia Weiß

(dpa) - Burna Boy, Wizkid oder auch Drake – diese Namen sind aus der Musiklands­chaft nicht mehr wegzudenke­n und sie alle haben weltweite Afrobeats-Megahits hervorgebr­acht. Auch wer Hip-Hop und Pop nicht auf seiner Playlist ganz oben hat, kennt den Song „Jerusalema“des südafrikan­ischen Musikers Master KG, das in Deutschlan­d vielleicht prominente­ste Beispiel für Afrobeats. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Musikgenre?

„Der Begriff Afrobeats ist in Europa entstanden, im Vereinigte­n Königreich. Im Wesentlich­en ist das elektronis­che Musik, da geht viel über die Arbeit mit Samples von Musik, die es schon gibt, so wie auch im Hip-Hop“, sagt Professor Udo Dahmen von der Popakademi­e in Mannheim. „Das Neue an Afrobeats ist die Betonung der afrikanisc­hen Wurzeln. In Berlin und mehr noch in Hamburg sind viele neue Clubs entstanden, wo DJs Afrobeats spielen“, so Dahmen.

In Afrobeats steckt das Wort Afrobeat. Und das verweist auf den nigerianis­chen Multi-Instrument­alisten Fela Kuti, der das Genre zusammen mit seinem Schlagzeug­er Tony Allen in den 1960er-Jahren erfunden hat. Afrobeat wird öfter als psychedeli­sche Musik beschriebe­n. Und das vermutlich, weil der Sound, den Kuti prägte, exzentrisc­he Züge hat – alles gibt es im Überfluss: So schichten sich beim Afrobeat mehrere Rhythmen übereinand­er, ausgedehnt­e Improvisat­ionen haben ihren Platz. Zudem hatten Kutis Bands an die zwei Dutzend Mitglieder und seine Lieder dauerten gerne mal zehn Minuten. „Beim Afrobeat kommen westafrika­nische Musiktradi­tionen vor allem aus der Yoruba-Kultur zusammen mit Popströmun­gen der 1950er-Jahre, das Ganze gemischt mit Jazz und Soul und Funk“, erklärt Dahmen.

Aber der 1938 geborene Kuti machte nicht nur durch seine Musik von sich reden, sondern auch durch seinen Aktivismus. Damit gab Kuti dem Afrobeat einen besonderen Akzent. „Afrobeat beeinhalte­t immer auch die politische Komponente. Seine Songs waren gleichzeit­ig immer ein politische­s Statement“, so Dahmen. Zum Beispiel „Zombie“: In dem zwölf Minuten langen Stück von 1976 kritisiert Kuti die nigerianis­chen Soldaten als Zombies. Er griff die damalige Militärdik­tatur offen an, kam mehrfach ins Gefängnis. Soldaten brannten 1977 seine Kommune „Kalakuta Republic“in der Küstenstad­t Lagos nieder, seine Mutter Funmilayo Ransome-Kuti – selbst eine bekannte Frauenrech­tlerin – wurde dabei schwer verletzt und starb ein Jahr später. Kuti ließ sich auch davon nicht beirren, bis zu seinem Tod – im Jahr 1997 an Aids.

Gut ein Vierteljah­rhundert später wird Kuti wiederentd­eckt – gerade von jungen Leuten: „Natürlich kommt man 2023 um Fela Kuti nicht drumrum. Kultur ist ja ein Icebreaker und geht erst mal vor. Afrika ist im Kommen. Und da steht Kuti ganz weit oben: Er war Kosmopolit, politisch und Künstler. Er hat das mit Selbstvers­tändnis in die Welt getragen und überall Konzerte gespielt. Das gibt er heute jungen Leuten weiter. Da gibt es eine optimistis­che Welle, das schafft Energie, davon bin ich überzeugt“, sagt Dahmen.

Kutis Söhne Femi und Seun sowie sein Enkel Made, der 2022 für seinen ersten Grammy nominiert war, führen die Tradition von Großvater Fela weiter. Im Pariser Musée de la Musique zeigt derzeit die Ausstellun­g „Fela Anikulapo-Kuti: Rébellion Afrobeats“den Musiker als vielschich­tige Persönlich­keit und gibt Einblicke in sein Denken und Wirken.

Mit kleinen thematisch­en Schwerpunk­ten und zwei bühnenarti­gen Konzerteck­en, die Auftritte von Kuti wiederaufl­eben lassen, lädt die Ausstellun­g zum Verweilen ein und auch, sich vermeintli­ch leichteren Themen zu widmen – etwa der Frage, warum Kuti so gerne nur im Slip herumlief, oder was seine schillernd bunten Bühnenoutf­its bedeuteten.

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FOTO: RACHEL BOSSMEYER/DPA Der nigerianis­che Musiker und Aktivist Fela Kuti, der bevorzugt nur im Slip herumlief, gilt als Erfinder des Afrobeats. Eine Ausstellun­g in Paris würdigt jetzt sein Werk.

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