Krankenhaus startet mit offenen Stellen ins neue Jahr
Überraschende Kündigungen von Ärzten, Krankenfälle nehmen zu – Kliniken helfen sich gegenseitig
- Das Tuttlinger Krankenhaus war durch Corona stark belastet. Doch das heißt nicht, dass es nach einer Beruhigung der Infektionslage nun auch im Klinikum ruhiger zugeht. Im Gegenteil. Geschäftsführer Sebastian Freytag geht im Interview auch auf einen hohen Patientenansturm ein und auf die Tatsache, dass es zunehmend schwierig wird, qualifiziertes Personal zu finden.
Herr Freytag – wie hat sich die Situation im Klinikum über die Weihnachtstage dargestellt? Sie hatten ja vor dem Fest Sorge, dass aufgrund der hohen Patientenzahlen nicht alle Pflegekräfte, die gerne Urlaub gehabt hätten, auch gehen können.
Die befürchtete Situation ist nicht eingetreten. Tatsächlich konnten noch am 24. Dezember eine ganze Reihe von Patienten entlassen werden, und die Aufnahmezahlen lagen dann auf einem leistbaren Niveau. Wir hatten eine Station in Reserve. Diese hätte jederzeit geöffnet werden können. Dann hätten wir allerdings Mitarbeitende aus dem Urlaub holen müssen, die wir Stand heute (Anm. d. Redaktion: 27. Dezember) nicht benötigen. Am Ende war es über die Feiertage relativ ruhig. Auch die Aufnahme im Bereich der Infektionserkrankungen waren überschaubar, wenige Patienten mit Covid und mit Influenza kamen in die Klinik.
Wie ist das Jahr für Sie verlaufen? Erstmals seit 2020 gab es ja keine vollen Corona-Hilfen.
Stimmt, das war deutlich reduziert. Für die ersten zwei Monate haben wir noch Hilfen bezogen, allerdings zu einem reduzierten Prozentsatz. Danach dann nichts mehr. Wobei wir sagen müssen, dass wir auch in diesem Jahr immer wieder einen eingeschränkten Betrieb hatten wie in den Jahren davor.
Wieso das?
Wir mussten mit den Folgen der Pandemie umgehen. Es gab immer wieder Phasen mit einem sehr knappen Personalbestand. Sei es durch Urlaub oder Überstunden, die während Corona nicht vollständig genommen werden konnten. Und wohl auch durch die Belastung durch die Pandemie. Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass die Krankenfälle beim Personal in diesem Jahr etwas höher waren als sonst. Auch finanziell sehen wir einen Zusammenhang mit den beiden letzten Jahren, in denen wir dank der Hilfemaßnahmen des Bundes gut wirtschaften konnten, sodass die Defizite für 2022 übergreifend mit abgedeckt werden können.
Für 2023 fängt die Zeitrechnung neu an. Ich hoffe, dass wir gut in die Spur finden.
Sie haben das Thema Personal angesprochen. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Der Fachkräftemangel hat uns 2022 auch getroffen. Es war extrem schwierig, freie Stellen zu besetzen. Und das eigentlich in allen medizinischen Berufen, aber auch in allen anderen Bereichen und ganz besonders in der Pflege. Vor allem gut qualifizierte Mitarbeiter zu finden, ist eine Herausforderung.
Sie sind Mitte des Jahres durch einige Kündigungen von Ärzten überrascht worden, die Sie teilweise auch auf die hohe Belastung der beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 zurückgeführt haben. Konnten Sie all diese Stellen wieder besetzen?
Nur teilweise, wir sind da noch im Prozess. Abzuwarten bleibt, ob wir nun die Konsequenzen daraus spüren, dass durch Corona nicht mehr so viel ausgebildet wurde und Prüfungen teilweise verschoben wurden, oder ob wir jetzt tatsächlich auch hier in Tuttlingen verstärkt Unterbesetzung haben werden. Wir hatten die Jahre davor gerade im ärztlichen Dienst im Großen und Ganzen alle freien Stellen besetzt. Jetzt starten wir mit offenen Stellen ins kommende Jahr.
Deutschland plant eine Krankenhausreform. Die Behandlung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern soll künftig mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen. Was sagen Sie dazu?
Die Begriffspaare medizinisch und ökonomisch gegenüberzustellen, finde ich ein bisschen einfach. Wir haben knappe Ressourcen, diese Ressourcen müssen wir gut einsetzen. Ich sehe da keinen Widerspruch. Die größte Herausforderung ist aus meiner Sicht die grundlegende Frage, ob Gesundheitsversorgung ein staatlicher Auftrag ist oder ob sie der Wirtschaftlichkeit des Wettbewerbs unterliegt. Das ist nicht klar entschieden. 2022 hat die Monopolkommission, die die Bundesregierung berät, zum Krankenhaus-Markt geschrieben, dass sie erwartet, dass es dort mehr Wettbewerb gibt. Was in dem Papier der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung steht, lautet jedoch: Wettbewerb ist schädlich, wir brauchen mehr Kooperation und Zusammenarbeit.
Wie ist Ihre Meinung dazu?
Meine persönliche Meinung ist, dass das richtig ist, wir brauchen es, dass Tuttlingen mit den Nachbarkreisen eng zusammenarbeitet. Wenn Konstanz Probleme hat, springt Tuttlingen ein und andersherum. Nehmen Sie die Situation im Sommer, als wir die Notaufnahme für 24 Stunden vorübergehend schließen mussten. Ohne das Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen wäre das ganz schwierig gewesen. Wir müssen uns gegenseitig helfen und uns untereinander abstimmen. Und nicht danach schauen, was den meisten Gewinn abwirft, sondern nach dem Versorgungsbedarf.
Wie sehen Sie die Zukunft des Klinikums Tuttlingen mit Blick auf die geplante Krankenhausreform?
Ich glaube, dass Tuttlingen da eine sehr gute Grundlage hat. Der Kreistag hat klar gesagt, dass wir die Grundund Regelversorgung im Landkreis leisten sollen und Schwerpunkte setzen, wie zum Beispiel in der Endoprothetik. Wir haben mehr als 600 Eingriffe in diesem Jahr beim Gelenkersatz. Das ist sehr vorzeigbar, auch im Vergleich mit anderen Häusern. Wir hoffen, dass wir diesen Bereich auch nach der Krankenhausreform anbieten können. Ich sehe uns gut vorbereitet auf das, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorhat. Doch was uns alle drückt, ist die Unfähigkeit, strukturiert und geplant investieren zu können.
Warum ist das so?
Das liegt daran, dass die Länder zuständig sind, die diese Notwendigkeiten aber definitiv nicht erfüllen können. Wir bekommen für Infrastruktur, Medizintechnik und auch Informationstechnologie viel zu wenig Geld und können deshalb nicht vernünftig planen. Stellen Sie sich das mal in der Industrie vor: Sie wissen nicht, ob Sie in Ihre Technik investieren können, ob Sie das Geld haben, und wann es kommt. Auch für uns ist das extrem schwierig. Wir haben eine Planung für die kommenden Jahre aufgestellt. Ob wir die umsetzen können, wissen wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht.
Das Klinikum soll in den kommenden Jahren saniert, umgebaut und mit einem weiteren Anbau versehen werden. Wie weit sind Sie mit der Verwirklichung dieser Pläne?
Mit der Fertigstellung des neuen Parkhauses werden wir Mitte Mai fertig sein. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um die Baustelle für das Bettenhaus E einzurichten. Der Bauantrag ist bei der Stadt dafür eingereicht und der Förderantrag beim Land gestellt. Wenn das Bettenhaus fertig ist, kann nach Rückbau des provisorischen Bettenhauses der geplante FBau angegangen werden.
Bis wann rechnen Sie mit einer Förderzusage?
Das Land hat sich gemeldet und gesagt, dass es Rückfragen gibt. Das ist aber üblich. Deshalb gibt es im Januar einen Termin, bei dem wir das Konzept vorstellen. Wir hoffen, dass wir dann in der zweiten Jahreshälfte beginnen können, die Baustelle für das neue Bettenhaus einzurichten. Die nächsten Bauabschnitte, die Operationssäle und Intensivstation betreffen, werden wir parallel dazu vorantreiben. Ende 2023 sollte die erste Maßnahme konkret starten. Es kommt natürlich auch auf die Situation in der Bauwirtschaft an. Im Augenblick deuten die Zeichen darauf hin, dass sich die Kapazitätsengpässe und Lieferschwierigkeiten etwas beruhigen. Allerdings sehen wir enorme Kostensteigerungen im Bausektor. Das macht es extrem schwierig, irgendwelche Zahlen auszurufen. Außer der Schätzung für die tatsächlichen Kosten des Bettenhauses E zwischen 50 und 60 Millionen Euro kann ich nicht konkreter werden.
Mit welchen Gedanken und Vorstellungen gehen Sie ins kommende Jahr?
Wir werden ja alle ein wenig nachdenklich, was die Einsortierung unserer eigenen Probleme betrifft, wenn man in Richtung Ukraine schaut. Ich sehe nach wie vor sehr stark das Positive: Wir als Klinik haben einen großen Rückhalt im Landkreis Tuttlingen, die ganz große Mehrzahl der Bürger hat Verständnis für die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir haben tolle Solidaritätsbekundungen in Zusammenhang mit Corona bekommen, wir haben eine gute Atmosphäre und motivierte Mitarbeiter. Deshalb bin ich trotz aller Schwierigkeiten zuversichtlich, dass wir auch weitere Fachkräfte finden, was ganz entscheidend für die künftige Entwicklung sein wird. Wir sind also dankbar, dass wir hier in Tuttlingen insgesamt sehr gute Voraussetzungen haben im Vergleich zu anderen Häusern. Die Trägerschaft durch den Landkreis Tuttlingen gibt uns Ruhe und Klarheit bei der Verfolgung unserer Ziele.