Der jahrelange Boom geht zu Ende
Immobilienpreise sinken – Zinsanstieg, hohe Baupreise und Inflation belasten Käufer
(dpa) - Nach mehr als zwölf Jahren Immobilienboom in Deutschland erwarten Experten fallende Preise, aber einen zunehmenden Anstieg der Mieten. Denn mit steigenden Kreditzinsen und hohen Baukosten können sich viele Menschen kein Eigentum mehr leisten oder treten von Bauprojekten zurück. Viele weichen auf Mietwohnungen aus, sodass Mieten wieder kräftiger klettern. Das trifft in Deutschland viele Menschen, da nur rund die Hälfte der Bevölkerung in Eigentum lebt – so wenige wie kaum in einem anderen Land Europas.
Es ist ein ungewohntes Bild: Nach über einem Jahrzehnt steigender Preise sind Häuser und Wohnungen wieder etwas billiger zu haben, auch in begehrten Städten. Die Position von Kaufinteressenten hat sich etwas verbessert. „Wir sehen auf dem Immobilienmarkt aktuell mehr Angebote und größeren Spielraum für Preisverhandlungen“, sagt Mirjam Mohr, Privatkunden-Vorständin beim Kreditvermittler Interhyp.
Im dritten Quartal fielen die Preise für Wohnimmobilien laut Statistischem Bundesamt im Schnitt um 0,4 Prozent zum Vorquartal. Der Verband deutscher Pfandbriefbanken (VDP) beobachtete einen Rückgang um 0,7 Prozent – das erste Minus seit 2010. Gemessen am Vorjahresquartal stiegen die Preise aber noch, wenn auch gedämpft. Fachleuten zufolge dürfte sich der Trend beschleunigen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält 2023 einen Rückgang der Immobilienpreise
um bis zu zehn Prozent für möglich. Die Forscher beobachten in einer Studie in 97 Städten, dass sich die Preise weiter von den Mieten abgekoppelt haben – ein Zeichen für „spekulative Übertreibungen“. Eine Immobilie habe in Großstädten zuletzt so viel wie 28 Jahresmieten gekostet – ein Rekord seit Mitte der 90er. Das DIW sieht ein erhöhtes Risiko für Preiskorrekturen.
Nicht ganz so weit geht die DZ Bank, die einen Preisrückgang von maximal vier bis sechs Prozent 2023 erwartet. „Bei Wohneigentum dürfte der Rückgang etwas schwächer, bei Mehrfamilienhäusern etwas ausgeprägter ausfallen“, schreibt Analyst Thorsten Lange. Allerdings haben sich die Immobilienpreise binnen zehn Jahren etwa verdoppelt. Selbst ein kräftiger Rückgang um rund 20 Prozent, den einige für möglich
hielten, würde nur das Niveau von 2020 bedeuten, sagte VDP-Hauptgeschäftsführer Jens Tolckmitt.
Experten bezweifeln auch, dass Deutschland vor dem Platzen einer Immobilienblase steht. Der Wohnungsmarkt gilt als robust selbst in Wirtschaftskrisen, denn Immobilien werden oft konservativ und langfristig finanziert – ein Vorteil im Zinsanstieg. So hatten sich viele Käufer die Niedrigzinsen über zehn oder 15 Jahre gesichert. Gegen einen Preiseinbruch in Deutschland spreche auch, dass die Transaktionskosten, etwa für Makler, hoch sind und vor kurzfristigen Verkäufen abschrecken. Preisrückgänge seien vor allem bei Objekten in schlechter Lage oder mit hohem Energieverbrauch zu sehen, meint Immobilienexperte Michael Voigtländer. Dazu kommt, dass Wohnungen knapp bleiben.