Comeback einer alten Getreideart
Vanillepudding, Napfkuchen und Salat – 2023 ist das „Jahr der Hirse“
(epd) - Seit vier, fünf Jahren probiert Werner Vogt-Kaute auf seinen Feldern in Unterfranken den Anbau von Hirse aus. „Aber unsere Böden sind nicht ganz ideal, wir bekommen sie nicht immer trocken runter“, sagt der Berater des Naturland-Verbands für ökologischen Landbau. Hirse mag es gern trocken. Das macht sie zu einem geeigneten Getreide in Zeiten des Klimawandels – weltweit und auch in Deutschland, zumindest in Sommern mit wenig Regen.
Vogt-Kaute ist Experte; manchmal schicken ihm Landwirte per WhatsApp Fotos von ihren Feldern: „Ist die Hirse schon reif ?“Selbst nutzt er sie als Futter für seine 500 Legehennen. Die Pflanze war in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert weitverbreitet. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Anbau zurück, hielt sich in der DDR bis in die 1950er-Jahre und erlosch in den 1960er-Jahren vollends. Inzwischen fehlt vielen Landwirten das Wissen um die alte Nahrungspflanze.
Die Welternährungsorganisation FAO hat 2023 zum „Jahr der Hirse“ausgerufen. Weltweit spiele Hirse für die menschliche Ernährung eine große Rolle, doch sei der Anbau in vielen Ländern rückläufig, begründet sie ihre Wahl. Dabei habe die Hirse ein großes Potenzial: für die Ernährungssicherheit und im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels. „Hirse kann auf trockenen Böden mit minimalem Aufwand angebaut werden und ist widerstandsfähig gegenüber klimatischen Veränderungen.“
Stig Tanzmann vom evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“hält es für ausgesprochen wichtig, dass die Hirse weltweit „endlich
wieder in den Fokus rückt“. Die trockenheitsresistente Pflanze habe einen Anbauschwerpunkt im afrikanischen Sahelgebiet, einer Region, die stark von Hunger und Klimawandel betroffen sei. Einige Hilfsprogramme, kritisiert Tanzmann, hätten Hirse vernachlässigt, aber zum Beispiel Mais propagiert – der relativ viel Wasser und Dünger braucht. Hochertragszüchtungen bei Weizen, Reis,
Mais verdrängten die Vielfalt, sagt der Experte. Bei Hirse existierten noch viele bäuerliche Sorten. Tanzmann nennt das Beispiel Mali: Dort litten die Böden unter Phosphormangel, „aber es gibt traditionelle Hirsesorten, die gut wachsen“.
„Hirse“ist ein Oberbegriff für rund ein Dutzend Gattungen. Das Getreide gehört zu den ältesten Kulturarten. Chinesische Bauern nutzten sie schon vor 8000 Jahren. In Mitteleuropa bauten die Menschen Rispen- und Kolbenhirse an, bis Kartoffeln, Weizen und Mais sie verdrängten. Hirse geriet auch in Vergessenheit, weil Breie aus der Mode kamen. Im Märchen „Der süße Brei“der Brüder Grimm hört der Hirsebrei nicht auf zu kochen – bis das Kind heimkommt und die Zauberworte „Töpfchen, steh“ausspricht.
Mit dem Klimawandel geraten nun auch in Deutschland wieder Pflanzen in den Blick, die gut mit Trockenheit klarkommen. „Wir haben in vierjährigen Anbauversuchen gesehen: Die Hirse punktet, wenn es nicht regnet“, sagt Rudolf Vögel vom Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen. Aber: „Der Anbau muss erst wieder gelernt und erprobt werden.“
Landwirte müssten auch in die Themen Aufbereitung und Vermarktung einsteigen. Wenn man
Hirse essen möchte, müsse sie geschält werden, erklärt Vögel, aber es fehlten Mühlen mit Erfahrung und entsprechender technischer Ausstattung. Ein Landwirt bei Berlin schicke seine Hirse beispielsweise zum Schälen in eine Mühle in BadenWürttemberg und verkaufe das Getreide über seinen Hofladen und im Internet. Das kann nicht jeder Betrieb leisten.
Hirse macht satt und war in ihrer langen Geschichte „meist ein Nahrungsmittel der einfachen Leute“, wie der Autor Wolfgang Hertling in seinem Buch „Kochen mit Hirse“schreibt. Das Getreide eigne sich hervorragend für die „schnelle Küche“, es ließen sich Vanillepudding, Napfkuchen, gefüllte Paprikaschoten oder griechischer Salat daraus zubereiten.
Hirse enthält viele Kohlenhydrate, dazu Eiweiß, Eisen, mehrere BVitamine und ist glutenfrei, weshalb auch Allergiker mit Glutenunverträglichkeit sie essen können. In einer Studie, die im Fachjournal „Frontiers in Nutrition“veröffentlicht wurde, kam ein internationales Forschungsteam 2021 sogar zu dem Schluss, dass der regelmäßige Verzehr von Hirse den Blutzuckerspiegel senken und eine Rolle bei der Behandlung von Diabetes spielen könne.