Schiffbruch mit Zuschauer
Max Frisch und Ingeborg Bachmann haben die Höhen und Tiefen ihrer Liebesbeziehung in dramatischen Briefwechseln festgehalten – Nun wurden sie erstmals veröffentlicht
Sein Brief sei●ihr „schon so vieles gewesen in dieser Zeit“, schrieb Ingeborg Bachmann im Juni 1958 an Max Frisch – nämlich „die schönste Überraschung, ein beklemmender Zuspruch und zuletzt noch Trost nach den argen Kritiken“. Beklemmend war ihr der Zuspruch wohl infolge der ihm stillschweigend innewohnenden Erwartungen für die Zukunft. Denn Frisch hatte der deutlich jüngeren Kollegin seine Begeisterung über ihr Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ausgedrückt. Im Gegenzug möchte sie ihren renommierten Bewunderer umgehend kennenlernen und würde dazu auf einer Reise gern für ein paar Tage einen Abstecher nach Zürich machen.
In der Tat lernten sie sich dann etwas später kennen, doch die beiden Briefe (von denen sich nur der Bachmanns erhalten hat) war der Beginn einer engen Beziehung zwischen zwei der bedeutendsten deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller. Jetzt endlich, annähernd 50 Jahre nach Bachmanns und gut 30 nach Frischs Tod, ist, nachdem auch Bachmanns Erben der Publikation zugestimmt hatten, der Briefwechsel zwischen ihnen erschienen.
Er ist ein erschütterndes Dokument des Scheiterns. Erschütternd, weil beide mit den schönsten Hoffnungen in diese Beziehung gingen. Am Ende, knapp fünf Jahre später, steht die Trennung. Dazwischen ereignet sich ein Seelendrama, das sich im Spiegel der Korrespondenz für den Leser als eine Art Schiffbruch mit Zuschauer bezeichnen ließe. Auch wenn sie ihre Liaison vor der Öffentlichkeit geheim hielten – im literarischen Betrieb machte sie als Gerücht, das etliche falsche Blüten trieb, die Runde. So etwa die Fama, Bachmann habe ein Kind von Frisch abgetrieben. Oder die böse Unterstellung, sie habe ein Werk von ihm vernichtet. Viele Briefe Frischs gingen verloren, weil Bachmann sie verbrannte; erhalten hat sich nur der Teil, von dem Frisch Abschriften erstellt hatte. Bachmann wollte auch ihre Briefe an ihn vernichten und forderte sie dazu von Frisch zurück. Der jedoch erklärte sie zu seinem Eigentum, so wie umgekehrt seine Briefe an sie ihr gehörten.
„Du willst, dass wir verschwunden sind füreinander“, schrieb Frisch schon kurze Zeit, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Und keine vier Wochen nach Bachmanns Brief heißt es von seiner Seite: „Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst, dass wir verschwunden sind füreinander.“Am Folgetag klagt er: „Ich liege neben Dir, Ingeborg, und Du bist nicht da.“
Es ist somit Bachmann, die als erste aus der Intimität ihrer Beziehung heraustritt. Später wird umgekehrt Frisch zumindest auf räumliche Distanz bestehen: Er brauche sie, um arbeiten zu können. Das „Wohnungsdrama“, die „ZweiStädte-Lösung“, unter der Bachmann leidet, wird die Beziehung weiterhin begleiten. Der umfangreiche Briefwechsel selbst existiert ja vor allem dank des Umstands, dass die beiden die meiste Zeit räumlich getrennt leben – nicht zuletzt infolge Verpflichtungen wie Einladungen zu Theaterpremieren seiner Stücke oder ihrer Gastprofessur in Frankfurt und Lesereisen. „Seit Jahren packe ich Koffer“, klagt sie einmal.
Die Bewunderung füreinander ist wechselseitig. Für Frisch ist Bachmann die große Lyrikerin, eine Dichterin, der er neidlos Überlegenheit zuerkennt. Sie wiederum bezeichnet seinen Roman „Mein Name sei Gantenbein“als epochales Werk. Und phasenweise ist die Beziehung durchaus harmonisch. Dann nennt sie ihn liebevoll „mein Bär“– und er sie „Zauberin“, „Gespons“oder „Schnurrlimurrli“. Doch führen Schwierigkeiten in der Partnerschaft bei beiden zu Alkoholproblemen, Unproduktivität (von „Flaute in der Arbeit“spricht Frisch) und gesundheitlichen Problemen.
Früh artikuliert sich auch Frischs Gefühl, „wir wären ein Unheil füreinander“. Er weist auf den Altersunterschied hin: Sie ist bei Beginn 32, er 47. Auch Eifersucht ist im Spiel bei ihm – noch stärker freilich bei ihr, die grundsätzlich an ihrer sexuellen Attraktivität für ihn zweifelt, während er seine schwindende Manneskraft beklagt. Sie schließen einen Vertrag: Sexuelle Kontakte außerhalb der Beziehung sind erlaubt, gefühlsmäßige Bindungen hingegen meldepflichtig.
Vor allem für Ingeborg Bachmann war diese Beziehung eine Katastrophe. Wie sie selbst erkennt,
wiederholt sich in ihr ein altes Muster: Stets sei sie „überzählig“gewesen, hätten Männer sich von ihr abund wieder früheren Partnerinnen zugewandt. Und stets habe sie durch die Liebe den Boden unter den Füßen verloren. Erschütternd das Bekenntnis, durch die Trennung von Frisch sei ihr „das Herz gebrochen“. Sie wolle nie mehr lieben.
Nach etlichen Entzweiungen und Aussprachen, die sie wieder zusammenführten, resümiert Frisch am 2. Juni 1963: „Wir haben es nicht gut gemacht“. Seine Sensibilität und Sympathie für die Partnerin und seine Sorge um sie wird in all seinen Briefen deutlich. Schon am 3. März 1960 bedenkt er das „Fräulein Dr. phil. Ingeborg Bachmann“in seiner „Letztwilligen Verfügung“überaus großzügig. Der Band korrigiert nicht zuletzt die „einseitige Verurteilung Frischs“von vielen Seiten, von der Herausgeber sprechen, deren detektivische Arbeit den Band mit seinen Stellenkommentaren zu einem mehr als Tausendseiter anschwellen ließen.