Die Verschmelzung von Lagerfeuer und Hightech
„Vanlife“ist das neue Campen– Tourismusmesse CMT zeigt neue Trends – Lieferprobleme halten an
- Campen war gestern, „Vanlife“ist das neue Schlagwort und ein angesagter Trend. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Leben im Bus“. Es ist eine Bewegung, die sich Minimalismus, Naturnähe und Unabhängigkeit auf die Fahnen schreibt und auch hierzulande immer mehr Anhänger findet. Der Reisemobilund Caravan-Hersteller Hymer in Bad Waldsee hat sich davon inspirieren lassen und zeigt mit dem Venture S bei der Tourismusmesse CMT in Stuttgart, was alles möglich ist. Der Venture S ist eine Art Verschmelzung von rustikalem Campingbus und Luxus-Wohnmobil oder, wie es Hymer-Chef Christian Bauer ausdrückt: „Lagerfeuer und Hightech“. Ein aufblasbares Dach macht das kompakte Fahrzeug ruckzuck zweistöckig und bietet einen abgeschirmten Schlafplatz, die Heckklappe lässt sich zur Terrasse ausfahren und besteht, wie auch der ausklappbare Tisch, aus hochwertigem Holz. Auch ein Homeoffice findet sich in dem noblen Kastenwagen auf Mercedes Sprinter Basis und selbstverständlich ist alles über eine Hymer-App per Smartphone steuerbar, sogar der Härtegrad der Matratze.
„Wir haben alle Camping-Trends integriert: Autarkie, Nachhaltigkeit, Allrad, Digitalisierung und den Wunsch nach kompakten Abmessungen“, erklärt Bauer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Bis zu zehn Tage sind reisende Individualisten dank Batterie und Solardach als Selbstversorger unabhängig - abseits von engen Campingplätzen, verspricht Bauer. Bei einem Einstiegspreis von 225.000 Euro zielt der Venture S allerdings eher auf gut betuchte Abenteurer als auf junge Vanlife-Romantiker.
Doch der Platzhirsch unter den deutschen Wohnmobilherstellern zeigt damit, was er kann und dass er neue Ideen nicht den zahlreichen jungen und kreativen Anbietern überlässt, die sich auf der CMT tummeln. Die Stückzahlen sprechen für sich: Jedes dritte in Deutschland zugelassene Reisemobil kommt von der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG), unter deren Dach außer der Kernmarke Hymer noch 20 weitere Marken vereint sind. Mit rund 24 Freizeitfahrzeugen und Wohnwagen ist allein die Marke Hymer bei der CMT sichtbar.
Sogenannte Campervans, also umgebaute Kastenwägen, dominieren immer mehr die Szene. Jedes zweite zugelassene Freizeitfahrzeug ist mittlerweile so ein Kompaktfahrzeug. Kaum ein Hersteller kommt daran vorbei, solche Einsteigermodelle anzubieten. Doch auch in diesem Segment ziehen die Preise deutlich an. Lag noch vor knapp zwei Jahren die Preisschwelle bei 50.000 Euro, müssen heute etwa 60.000 Euro locker gemacht werden.
In dieser Preisklasse soll der neue Globebus Go der EHG-Marke Dethleffs
spielen, der eine Art Grenzgänger ist: Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Camper-Van und Reisemobil, wie Dethleffs-Marketing Chef Helge Vester erläutert. „Wir besetzen damit eine Nische: kompakte Fahrzeuge, die auch wintertauglich sind.“
Laut Dethleffs-Geschäftsführer Bernhard Kibler soll dieser neue Camper ab Sommer lieferbar sein. Allerdings stehen die Bänder bei Dethleffs in Isny seit Weihnachten wegen Lieferengpässen still. Losgehen soll es erst wieder nach der Messe. „Ab nächster Woche produzieren wir wieder“, verspricht Kibler im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Hersteller Dethleffs ist mit dem Problem nicht allein. Mit 181 Marken und rund 1200 Fahrzeugen ist die Branche bei der weltgrößten Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit vertreten. Lieferprobleme haben nach eigenem Bekunden fast alle. Selbst kleine Anbieter, die viel in Eigenbau machen, sind auf Material angewiesen. Das größte Problem sind allerdings Lieferengpässe bei den Chassis, also bei den Fahrgestellen. Dethleffs hat bisher vor allem auf Fiat gesetzt und baut jetzt auch auf Ford Transit, um den Lieferproblemen zu begegnen. Auch andere Anbieter suchen den Ausweg in einer breiteren Aufstellung, entsprechend ist das Spektrum an Basisfahrzeugen bei den ausgestellten Modellen. Neben
dem Fiat Ducato tauchen immer mehr Mercedes Sprinter, Ford Transit oder auch Citroën und VW auf.
Trotz der gut gefüllten Auftragsbücher, sind wegen der Lieferengpässe die Neuzulassungen für Reisemobile 2022 Jahr bis November zweistellig eingebrochen. Experten rechnen mit einem dicken Minus in der Gesamtbilanz, die der Caravaning Industrie-Verband am Montag (16. Januar) vorstellen will. Die deutsche Freizeitfahrzeug-Industrie setzte 2021 rund 3,9 Milliarden Euro um.
Gut geschlagen hat sich zumindest bis Ende Juli 2022 die Erwin-Hymer-Gruppe mit einem Rückgang von rund knapp acht Prozent bei den ausgelieferten Fahrzeugen. Beim Wettbewerber in Carthago in Aulendorf mit den Marken Carthago und
Malibu gingen die Zulassungszahlen früheren Angaben zufolge mit einem Minus von 23 Prozent deutlicher zurück. Bernd Wuschack, Geschäftsführer bei Carthago für Vertrieb und Marketing, spricht bei der CMT nicht so gerne über Zahlen. Ziel sei es in diesem Jahr den Umsatz von rund 400 auf 420 Millionen Euro zu steigern. Die langen Lieferzeiten und steigenden Materialpreise drückten bei Carthago aufs Ergebnis, räumt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ein.
Carthago hat in Stuttgart keine Neuheiten auf der Fläche. „Wir verzichten derzeit bewusst darauf, Neuheiten zu bringen, weil wir zuerst die vorhandenen Aufträge abarbeiten wollen“, begründet Wuschack. Auch in den Carthago-Werken stockt die
Produktion immer wieder wegen fehlender Chassis. Die Zeiten seien turbulent. Doch: „Wir glauben an den langfristigen Trend zum naturnahen Reisen“, so Wuschack. „Campen ist längst kein Nischenthema mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, betont er. Welches Freizeitfahrzeug das ideale sei, hänge vom jeweiligen Einsatzzweck ab. Am besten, man kaufe sich „was Gscheids“, empfiehlt Wuschack mit Augenzwinkern und verweist darauf, Carthago sehe sich als „Anbieter in der Premiumklasse mit Fokus auf integrierten Reisemobilen ab 100.000 Euro“.
Einen ungebrochenen Trend zu Camping-Reisen bestätigt auch die Analyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. Demnach wächst das Interesse am Reisen mit Caravan oder Wohnmobil auch in den kommenden Jahren. Dabei machen die Baden-Württemberger häufiger auf diese Art Urlaub als der Deutsche im Durchschnitt.
Der Trend zur Elektromobilität hat es indessen noch nicht in die Reisemobilbranche geschafft. Ausnahmen sind etwa der Bus Frieda Volt von Vanufaktur. Der Durchbruch wird nach Einschätzung von Hymer-Chef Christian Bauer noch etwas dauern. Eine Reichweite von 400 bis 500 Kilometer sei dafür notwendig. „Man sollte wenigstens stressfrei bis zum Gardasee kommen“, sagt Bauer.