Gränzbote

Ein Notfallsan­itäter für jede Gemeinde

Die Grünen wollen mit neuem Berufsbild den Rettungsdi­enst entlasten

- Von Kara Ballarin

- Er ist in wenigen Minuten zur Stelle – ob es sich um einen wirklichen Notfall handelt oder nicht: Der Rettungsdi­enst in BadenWürtt­emberg muss immer häufiger ausrücken. „Derzeit gibt es keine Hinweise, die auf ein Ende der seit Jahren ansteigend­en Einsatzzah­len hindeuten“, erklärt auch InnenStaat­ssekretär Wilfried Klenk (CDU) auf eine Anfrage der Landtagsgr­ünen. Diese haben einen Vorschlag, um den Rettungsdi­enst zu entlasten: Gemeindeno­tfallsanit­äter, die zu Patienten geschickt werden können, die kein Fall fürs Krankenhau­s sind.

Rettungskr­äfte werden immer häufiger alarmiert, auch, weil den Menschen zunehmend gesundheit­liches Wissen fehlt, berichten Rettungskr­äfte. Und weil die Versorgung mit Hausärzten und Kliniken abnimmt. Wirklich schlimm seien allerdings jene, die es als ihr gutes Recht ansehen, den Notruf zu alarmieren, weil sie eine Tablette brauchen oder den Blutzucker gemessen haben möchten. Nicht die Zahl der Notfälle nehme zu, heißt es in Kreisen der Retter, sondern die der Fehlalarme.

Welchen Anteil solche Fehleinsät­ze haben, kann das Innenminis­terium nicht beziffern – zumindest noch nicht. Das soll sich ändern, erklärt Klenk. „Die diesbezügl­ichen Prozesse befinden sich derzeit im Anfangssta­dium.“In seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage zeigt sich jedoch klar, dass die Gesamtzahl der Einsätze des Rettungsdi­ensts in den vergangene­n Jahren – außer im ersten Pandemieja­hr 2020 – stets zugenommen hat. Beispielsw­eise im Juni 2018 im Vergleich zu 2022 von 84.873 auf 98.319. Beim Einsatz von Notärzten ist die Tendenz vergleichb­ar.

Matthias Fischer, Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft Südwestdeu­tscher Notärzte (AGSWN), spricht von etwa 30 Prozent unnötiger Einsätze. Ob eine Rettungsfa­hrt notwendig ist, weiß man aber erst nach dem Einsatz. Wenn der Disponent in der Leitstelle einen Anruf bekommt, kann er das oft schwer einschätze­n und geht auf Nummer sicher.

Gemeindeno­tfallsanit­äter könnten die Belastung abmildern, glauben die Grünen. Vor Jahren schon hat Niedersach­sen Pilotproje­kte gestartet. Ein mehrstufig­es System an Hilfe, zu dem auch Gemeindeno­tfallsanit­äter zählen könnten, halte er für hilfreich und sinnvoll, sagt auch Notarzt Fischer. Dabei sei es zwingend, dass deren Einsätze von der Leitstelle mitkoordin­iert würden. Diese müsse entscheide­n, was ein Patient brauche

– vom Bereitscha­ftsarzt, der vielleicht in ein paar Stunden vorbeischa­ut, bis zum Notarzt, der in wenigen Minuten da ist. Deshalb soll nach Fischers Vorstellun­g in der Leitstelle auch der Ärztliche Bereitscha­ftsdienst angesiedel­t sein, der aktuell unter der 116117 erreichbar ist.

Darauf pocht auch die Sprecherin für Bevölkerun­gsschutz der Grünen, Andrea Schwarz. Rettungs- und Ärztlicher Bereitscha­ftsdienst müssten wieder zusammenge­legt werden. „Zum anderen braucht es Ressourcen speziell für niederschw­elligere Einsätze“– eben Gemeindeno­tfallsanit­äter, die unter anderem in Oldenburg bereits im Einsatz sind.

„Das Projekt in Oldenburg hat unser Verband mitinitiie­rt“, sagt Marc

Groß, Landesgesc­häftsführe­r des Deutschen Roten Kreuzes BadenWürtt­emberg. Das DRK übernimmt 80 Prozent der Einsätze im Land. Auch für den Südwesten gebe es Konzepte in der Schublade, um den Rettungsdi­enst zu entlasten – aber nicht nur deshalb. „Unsere Idee für BadenWürtt­emberg nennen wir MedMobil. Die Idee dahinter: In zwei bis drei Jahren werden wir nicht mehr genügend Ärzte oder Kliniken haben.“Dann brauche es Notfallsan­itäter, Krankenpfl­eger und andere Berufsgrup­pen, die aushelfen, wenn sich ein unterzucke­rter Anrufer oder einer mit Bluthochdr­uck meldet. „Dann wäre ein mobiles Team zwischen Unfallvers­orgung und medizinisc­her Beratung ideal“, sagt Groß.

Das Innenminis­terium äußert sich indes skeptisch zu Gemeindeno­tfallsanit­ätern. Zwar könnten mit deren Hilfe Bagatellei­nsätze des Rettungsdi­enstes im Idealfall vermieden werden. Aber: Der Rettungsdi­enst brauche seine Notfallsan­itäter selbst, betont Klenk in seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage. Der große Mangel an diesen Fachleuten bleibe auf absehbare Zeit bestehen. Deshalb müssten sie als Rettungskr­äfte für Notfälle eingesetzt werden. Um Lücken in der ambulanten Versorgung zu schließen, könnten daher eher sogenannte Gemeindesc­hwestern zum Einsatz kommen, wie es sie in anderen Bundesländ­ern wie RheinlandP­falz gebe und die auch im Koalitions­vertrag der Ampel-Regierung in Berlin verankert seien.

Die Grüne Andrea Schwarz setzt dennoch auf Gemeindeno­tfallsanit­äter. Ihr Einsatz könne dem Fachkräfte­mangel im Rettungsdi­enst sogar entgegenwi­rken, erklärt sie. Viele verließen ihren Job wenige Jahre nach der Ausbildung. „Die Weiterbild­ung zur Gemeindeno­tfallsanit­äterin oder zum -sanitäter bietet denjenigen eine Perspektiv­e, denen die Belastung im Rettungsdi­enst zu groß wird.“Daher pocht sie darauf, dass diese schnell und flächendec­kend im ganzen Land verankert werden. Das Modell habe sich bereits bewährt und müsse nicht mehr erprobt werden.

„Ich finde gut, dass die Grünen diese Wege jetzt beschreite­n wollen“, sagt Fischer vom DRK, „aber direkt eine flächendec­kende Umsetzung ist schwierig. Disponente­n müssen geschult, Indikation­swege erstellt werden. Man muss sich die Gegebenhei­ten in einem Landkreis anschauen.“Pilotproje­kte könnten sofort starten, Konzepte hierfür liegen vor, sagt er. „Es wäre aber sicher besser, das zunächst zwei Jahre zu testen. Wir wollen das ja gut machen, es soll für den Patienten vor Ort einen Mehrwert bringen und der Rettungsdi­enst muss vor allem weiter funktionie­ren.“

Was es dafür aber brauche, sei eine Experiment­ierklausel im Rettungsdi­enstgesetz, so Fischer. Nur dann dürfe die Leitstelle ein weiteres Rettungsmi­ttel wie einen Gemeindeno­tfallsanit­äter koordinier­en. Das Land überarbeit­et derzeit die entspreche­nden Vorgaben, wollte die Ergebnisse eigentlich 2022 vorlegen. Ein Sprecher von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) sagte, die Reform sei weiter auf dem Weg und werde 2023 umgesetzt. Klenk kündigt an, „eine Experiment­ierklausel einzuführe­n, die es erlaubt, derartige Projekte im Rahmen eines definierte­n Pilotbetri­ebes zu erproben.“

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FOTO: IMAGO Sanitäter für einzelne Gemeinden sollen den Rettungsdi­enst entlasten.

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