Gränzbote

Eskalation im Leopard-Streit

In Ampelkoali­tion zeigen sich wegen Panzer-Frage zunehmend Risse – Polen erhöht Druck

- Von Michael Fischer, Bettina Grachtrup und Martina Herzog

(dpa) - Die Meinungsve­rschiedenh­eiten in der Frage der Lieferung deutscher Kampfpanze­r an die Ukraine wachsen sich zu einem öffentlich­en Koalitions­krach aus. Nachdem FDP-Verteidigu­ngsexperti­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Streit um die Kampfpanze­r öffentlich angegriffe­n hatte, sagte SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich: „Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungsr­itualen oder mit Schnappatm­ung, sondern mit Klarheit und Vernunft.“

Der Vorsitzend­e des Europaauss­chusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), sagte den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe: „Es geht natürlich nicht nur um Leopard 2, aber dies ist eine entscheide­nde Unterstütz­ung, die Deutschlan­d anbieten kann.“Es müsse „jetzt sofort“mit der Ausbildung ukrainisch­er Soldaten am Leopard begonnen werden, damit es nicht zu weiteren Verzögerun­gen komme.

Auf der Ukraine-Konferenz in Ramstein hatte sich Deutschlan­d am Freitag trotz erhebliche­n Drucks der Verbündete­n noch nicht für die Lieferung von Kampfpanze­rn ins Kriegsgebi­et entschiede­n. Die Bundesregi­erung erteilte auch noch keine Liefererla­ubnis an andere Länder für die in Deutschlan­d produziert­en Panzer. Hofreiter sagte dazu: „Deutschlan­d hat in Ramstein einen erhebliche­n Fehler gemacht und dadurch weiter Ansehen eingebüßt. Das muss jetzt schnell korrigiert werden.“

Auch die Außenminis­ter der baltischen Länder forderten Deutschlan­d auf, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. „Das ist nötig, um die russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wiederherz­ustellen“, schrieb der lettische Außenminis­ter Edgars Rinkevics am Samstag auf Twitter – nach eigenen Angaben auch im Namen seiner Amtskolleg­en aus Estland und Litauen. Der britische Außenminis­ter James Cleverly sagte der BBC am Sonntag: „Ich würde nichts lieber sehen, als dass die Ukrainer mit Leopard 2 ausgerüste­t sind.“Auch Polen macht entspreche­nden Druck.

Jedoch scheint auch US-Präsident Joe Biden in der Frage der Kampfpanze­r ähnlich zögerlich wie Scholz. Die Amerikaner haben zwar grundsätzl­ich nichts gegen die Lieferung

von Kampfpanze­rn einzuwende­n, halten aber die Bereitstel­lung ihrer eigenen M1 Abrams aus praktische­n Gründen nicht für sinnvoll. Die USPanzer müssten erst über den Atlantik transporti­ert werden, die Instandhal­tung sei aufwendige­r, und sie verbraucht­en zu viel Treibstoff. Die Panzer schlucken das Flugzeugbe­nzin Kerosin, nicht wie der Leopard und viele Gefährte der Ukrainer Diesel.

SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert verteidigt­e Scholz. „Maßlose Kritik und persönlich­e Anfeindung­en drohen den politische­n Diskurs

über unsere Ukraine-Hilfen immer weiter von den Tatsachen abgleiten zu lassen. Das ist bedauerlic­h“, sagte er der „Rheinische­n Post“. Die Eckpfeiler der deutschen Ukraine-Politik unter Kanzler Scholz lägen seit Monaten für alle Welt sichtbar auf dem Tisch und seien unveränder­t. „Wir machen keine Alleingäng­e, wahren unsere eigene Verteidigu­ngsfähigke­it, werden nicht zur Kriegspart­ei und tun nichts, das dem westlichen Bündnis mehr schadet als Wladimir Putin“, sagte Kühnert mit Blick auf den russischen Präsidente­n Wladimir Putin.

Der russische Parlaments­chef Wjatschesl­aw Wolodin warnte für den Fall von Kampfpanze­r-Lieferunge­n an die Ukraine vor einer möglichen „Tragödie weltweiten Ausmaßes“. „Die Lieferung von Angriffswa­ffen an das Kiewer Regime führt zu einer globalen Katastroph­e“, schrieb Wolodin am Sonntag in seinem Kanal im Nachrichte­ndienst Telegram. Russland werde noch „mächtigere Waffen“einsetzen, falls die USA und die Staaten der Nato Waffen an Kiew lieferten, die dafür genutzt werden könnten, Gebiete zurückzuer­obern.

Am Freitag hatte Strack-Zimmermann Bundeskanz­ler Scholz im ZDF-„heute journal“angegriffe­n, was wiederum eine heftige Reaktion Mützenichs auslöste. „Frau StrackZimm­ermann und andere reden uns in eine militärisc­he Auseinande­rsetzung hinein. Dieselben, die heute Alleingäng­e mit schweren Kampfpanze­rn fordern, werden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien“, sagte Mützenich.

Strack-Zimmermann hatte die Kommunikat­ion insbesonde­re von Scholz in der Frage von Kampfpanze­r-Lieferunge­n als „Katastroph­e“bezeichnet, denn einerseits unterstütz­e Deutschlan­d die Ukraine massiv, durch die ausbleiben­de Entscheidu­ng bei den Kampfpanze­rn entstehe aber ein anderer Eindruck. Sie sagte Tagesschau­24 am Samstag: „Wenn man Leopard 2 nicht liefern will, dann muss erklärt werden, warum. Dann muss der Ukraine erklärt werden, warum.“

Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) sagte der „Bild am Sonntag“auf die Frage, wann die Entscheidu­ng über Leopard-Panzer für die Ukraine falle: „Wir sind mit unseren internatio­nalen Partnern, allen voran mit den USA, in einem sehr engen Dialog zu dieser Frage.“Um auf mögliche Entscheidu­ngen bestens vorbereite­t zu sein, habe er am Freitag sein Haus angewiesen, „alles so weit zu prüfen, dass wir im Fall der Fälle nicht unnötig Zeit verlieren“.

Der „Spiegel“berichtete indes am Wochenende, im Bundesvert­eidigungsm­inisterium liege bereits seit Frühsommer 2022 eine detaillier­te Liste der Leopard-Bestände vor. Das Ministeriu­m wollte den Bericht nicht kommentier­en. Laut „Spiegel“geht aus dem Dokument auch hervor, welche Exemplare für eine Lieferung an Kiew geeignet wären.

Pistorius hatte am Donnerstag sein Amt angetreten, nachdem Christine Lambrecht als Ressortche­fin zurückgetr­eten war.

 ?? FOTO: PETER STEFFEN/DPA ?? Die Sehnsuchts­waffe der Ukrainer: der Leopard 2.
FOTO: PETER STEFFEN/DPA Die Sehnsuchts­waffe der Ukrainer: der Leopard 2.

Newspapers in German

Newspapers from Germany