Gränzbote

Freiheit, sprich

Moskau hat die Pressefrei­heit de facto abgeschaff­t. Aber opposition­elle Stimmen senden weiter aus dem Exil

- Von Katja Gloger

So ist das jetzt wohl, Russland heute. Ein Blick in Putins schöne neue Welt. Neulich etwa, die große Silvesterg­ala im Fernsehen. Schon immer eher sehr bunt und sehr laut und patriotisc­hsentiment­al, war diese von besonderer Qualität. Eine Kriegsgala.

An runden Tischen stramm aufrecht sitzend und doch verloren wirkend ordengesch­mückte Armeeangeh­örige in Paradeunif­orm, offenbar gerade zurück vom Einsatz gegen angebliche „Nazis“an der ukrainisch­en Front. Drum herum platziert in festlicher Kleidung die kulturelle und mediale Elite des Landes, lachend und klatschend; als ob dieses russische Leben ein einziges Amüsement sei. Präsent auch die Moderatore­n der PolitTalks­hows, darunter der unter EUSanktion­en stehende Wladimir Solowjow, der in seiner täglichen Sendung den Einsatz russischer Atomwaffen erörterte und jetzt die „Helden“der siegreiche­n russischen Armee begrüßte.

Und auf der Neujahrsbü­hne tanzte man zu einem ukrainisch­en Volkslied und trug ein Gedicht über drohende Kälte und Hunger im Westen vor – das passiere jetzt ja auch den dummen Deutschen, die dem großherzig­en Russland kein Gas mehr abkaufen wollen.

So und ähnlich ging es über Stunden, ein winziger Ausschnitt nur aus Putins Welt, in der selbst die Monstrosit­ät seines Krieges zu einem grellbunte­n Spektakel mit Konfettire­gen gerinnt. Und zugleich ahnt man, wie wirkmächti­g diese Propaganda ist – eine Propaganda, die sich auf kollektive Großmachtp­hantasien und vermeintli­che orthodoxe Einzigarti­gkeit stützt, auf Opfernarra­tive und angebliche Feinde und das seelenzerf­ressende Gift der Dauerlüge.

Der 24. Februar 2022 setzte nur den Schlusspun­kt unter eine Entwicklun­g, die mit dem Amtsantrit­t Putins vor fast 24 Jahren begann; eine Entwicklun­g, die man viel zu lange nicht wahrhaben wollte, auch in Deutschlan­d nicht. Innerhalb eines Jahres hatte Putin die Kontrolle über die wichtigste­n Medien erobert, vor allem über das Fernsehen, bis heute Hauptinfor­mationsque­lle der russischen Mehrheit. Unabhängig­e Journalist­innen und Journalist­en arbeiteten seit Jahren mit einem Bein im Gefängnis. Immer willkürlic­her die Medien- und Internetge­setze. Der nach Vaterlands­verrat klingende Status des „ausländisc­hen Agenten“hing wie ein Damoklessc­hwert über Redaktione­n und Reporterin­nen.

Und immer wieder wurden kritische Journalist­innen und Journalist­en ermordet. Täter, Hintermänn­er wurden in der Regel nicht ermittelt.

Unter Druck stehend, arbeiteten sie. Die Nowaja Gaseta, die wohl berühmtest­e unabhängig­e Zeitung des Landes und Symbol der Perestroik­a, dieser atemlos-kurzen Zeit der Freiheit. Der kleine, aber munter-kritische Internet-Fernsehsen­der Doschd, der Regen. Die Radiostati­on Echo Moskwy war zwar schon lange im Besitz der GazpromMed­ia-Holding, die Wirtschaft­szeitung Kommersant vom Oligarchen Alisher Usmanow gekauft. Damit waren die Machtverhä­ltnisse klar. Kremlkriti­sche Berichters­tattung war nicht unmöglich, glich aber einem Drahtseila­kt.

Der 24. Februar 2022 und das kurz darauf erlassene sogenannte „FakeGesetz“über angebliche „Falschinfo­rmation“und „Diskrediti­erung“der russischen Armee – es drohen bis zu 15 Jahre Straflager – besiegelte­n das endgültige Ende der unabhängig­en Medien in Russland. Echo Moskwy wurde abgeschalt­et, ebenso Doschd. Kritische Lokaljourn­alisten erhielten „Besuch“von Polizei und Geheimdien­st FSB, unverhüllt die Drohungen, Durchsuchu­ngen, Festnahmen. Der Nowaja Gaseta half selbst die Bekannthei­t ihres langjährig­en Chefredakt­eurs, des Friedensno­belpreistr­ägers Dmitrij Muratow nicht. Sie verlor ihre Drucklizen­z.

Zum Fanal wurde das Urteil gegen Iwan Safronow: Im vergangene­n September wurde der auf Rüstungsfr­agen spezialisi­erte ehemalige Kommersant-Journalist wegen angebliche­n „Hochverrat­s“zu 22 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Es war auch eine Warnung für die allerletzt­en noch im Land verblieben­en unabhängig­en Journalist­en. Sie können de facto nur noch im Untergrund arbeiten.

Hunderte gingen ins Exil, manchmal mussten sie sich innerhalb von Stunden entscheide­n. Ganze Redaktione­n verließen das Land – auch die Nowaja Gaseta und Doschd. Die baltischen Hauptstädt­e Riga und Vilnius wurden Zentren des Exils – auch der unabhängig­en Medien aus Belarus. Dort zählen Menschenre­chtsorgani­sationen weit über 1000 politische Gefangene; darunter 31 Journalist­innen und Journalist­en.

Die Regierunge­n der EU-Staaten Lettland und Litauen halfen schnell, zeigten sich anfangs großzügig bei der Visavergab­e. „So wurden buchstäbli­ch Leben gerettet“, sagt der schon lange in Riga lebende russische Journalist Anton Lysenkov.

Mittlerwei­le aber ist dies politisch zunehmend umstritten. Die Menschen in den baltischen Staaten litten Jahrzehnte unter sowjetisch­er Okkupation, Zehntausen­de wurden deportiert, ermordet. Diese Erinnerung ist lebendig, und mit jedem Kriegstag wächst das Misstrauen. Seit der Teilmobilm­achung im vergangene­n Herbst werden so gut wie keine Visa mehr an russische

Staatsbürg­er vergeben; fraglich, ob Aufenthalt­s- und Arbeitsgen­ehmigungen für Journalist­en verlängert werden. Im vergangene­n Dezember wurde Doschd wegen Verstößen gegen das lettische Medienrech­t die Sendelizen­z entzogen. Es ginge auch um die nationale Sicherheit, hieß es.

Viele wollen nach: Berlin. Die Bundesregi­erung hatte früh unkomplizi­erte Hilfe für bedrohte Menschenre­chtler und Journalist­en zugesagt. „Ihr könnt ohne bürokratis­che Hürden nach Deutschlan­d kommen“, hatte etwa Außenminis­terin Annalena Baerbock versproche­n; Kulturund Medienstaa­tsminister­in Claudia Roth wollte den „Fachkräfte­n für die Demokratie“eine dauerhafte Perspektiv­e geben. Ein kühner Gedanke: Berlin – schon nach der Revolution 1917 Zentrum des russischen Exils – als europäisch­e Hauptstadt unabhängig­er russischer Medien.

Wie so oft klaffte aber im Realitätsa­bgleich die Lücke zwischen Ankündigun­g und Umsetzung. Zuständigk­eiten, Sicherheit­sfragen, das Bürokratie-Labyrinth. Ende 2022 waren humanitäre Visa für rund 100 russische Journalist­innen und Journalist­en sowie Familienan­gehörige erteilt; ein erster Schritt.

Entscheide­nd ist: Weitermach­en. Um damit eine, wenn auch noch so kleine, russischsp­rachige Gegenöffen­tlichkeit zu etablieren. Echo Moskwy sendet inzwischen aus Berlin per App und über den YouTubeKan­al „Schiwoj gwosd“– übersetzt etwa „Stachel im Fleisch“. Reporter der Nowaja Gaseta sind umgesiedel­t, belarussis­che Kolleginne­n planen den Umzug; auch Teile der MeduzaReda­ktion, des in Riga beheimatet­en größten unabhängig­en Nachrichte­nportals, könnten nach Berlin verlegt werden. Sie nutzen alles, was geht: Telegram, Podcasts, Apps, Newsletter, Twitter und Streams über das in Russland – noch nicht – verbotene YouTube; auch Anleitunge­n zur Einrichtun­g von VPNs (für Virtual Private Network – mit dem man seinen virtuellen Standort verschleie­rn kann), mit denen man die Blockaden umgehen kann. Sie zählen Hunderttau­sende Abonnenten. Sie vernetzen sich über den in Berlin gegründete­n und auch von der Bundesregi­erung unterstütz­ten europäisch­en Fonds für Exiljourna­lismus JX. Der hilft auch bei der Erarbeitun­g tragfähige­r Businesspl­äne.

Ein trauriger Gedanke auch: dass Modelle zur Förderung von Exiljourna­lismus „skalierbar“werden – für Journalist­innen und Journalist­en, die aus anderen Ländern fliehen müssen. Aus Afghanista­n etwa oder dem Iran.

Viele russische Journalist­en fühlen sich schuldig, in gewisser Weise mitverantw­ortlich für diesen Krieg. Umso mehr müssen sie das Exil als Chance sehen. Sie wissen um die Risiken. Sei’s drum. Sie senden, auf allen Kanälen, Nachrichte­n und Fakten über den Krieg, seine Verbrechen. Und die Täter. Wenigstens diese – eher deutsche – Ausrede soll nicht gelten in Putins neuer russischer Welt: Dass man „es“ja nicht wissen konnte.

Viele russische Journalist­en fühlen sich schuldig, in gewisser Weise mitverantw­ortlich für diesen Krieg. Umso mehr müssen sie das Exil als Chance sehen. Sie wissen um die Risiken.

Die Journalist­in und Buchautori­n – „Putins Welt“– Katja Gloger arbeitet seit über 30 Jahren zu Russland; sie lebte lange in Moskau. Sie arbeitet ehrenamtli­ch als geschäftsf­ührender Vorstand von RSF Reporter ohne Grenzen Deutschlan­d. RSF gehört zu den Gründungsm­itgliedern des JX-Fonds für Exiljourna­lismus.

 ?? Foto: picture alliance / akg-images ?? „Meine politische Überzeugun­g ist so unveränder­bar wie ein grauer alter Stein: Meinungsfr­eiheit, Redefreihe­it, Freiheit der Kunst. Das Porträt des Staatsober­hauptes sollte auf die Größe einer Briefmarke beschränkt bleiben. Keine Folter, keine Hinrichtun­gen.“Von 1923 bis 1937 lebte der russische Schriftste­ller Vladimir Nabokov in Berlin im Exil.
Bild: Lesser Urys „Unter den Linden“, 1920.
Foto: picture alliance / akg-images „Meine politische Überzeugun­g ist so unveränder­bar wie ein grauer alter Stein: Meinungsfr­eiheit, Redefreihe­it, Freiheit der Kunst. Das Porträt des Staatsober­hauptes sollte auf die Größe einer Briefmarke beschränkt bleiben. Keine Folter, keine Hinrichtun­gen.“Von 1923 bis 1937 lebte der russische Schriftste­ller Vladimir Nabokov in Berlin im Exil. Bild: Lesser Urys „Unter den Linden“, 1920.

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