Gränzbote

Im Funkloch

Bundesnetz­agentur zieht im Kampf gegen weiße Flecken die Daumenschr­auben an und will Bußgelder verhängen

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(dpa) - Wegen Defiziten beim Handynetz-Ausbau erwägt eine Aufsichtsb­ehörde, erstmals Deutschlan­ds große Telekommun­ikationsan­bieter zur Kasse zu bitten. „Die Bundesnetz­agentur beabsichti­gt zurzeit, ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro pro Standort zu verhängen“, heißt es in einem Schreiben der Bonner Behörde an ihren Beirat. Das Dokument liegt dpa vor. Es geht um Standorte, die im Rahmen der Frequenzau­ktion von 2019 eigentlich bis Ende vergangene­n Jahres hätten gebaut werden müssen, aber nicht wurden. Weiter heißt es: „Daneben können auch Zwangsgeld­er erhoben werden.“Zwangsgeld­er könnten noch größere finanziell­e Folgen haben.

Die drei etablierte­n Netzbetrei­ber Telefónica (O2), Vodafone und die Deutsche Telekom haben zentrale Vorgaben der Ausbaupfli­chten nach eigenem Bekunden erfüllt – etwa dass in jedem Bundesland in mindestens 98 Prozent der Haushalte eine Handyverbi­ndung mit einem Download von 100 Megabit pro Sekunde möglich ist. Bei sogenannte­n weißen Flecken rissen hingegen alle drei die Messlatte deutlich. Hierbei geht es um Gegenden, wo kein Handynetz eine Übertragun­g von 100 Megabit pro Sekunde schafft. Statt zum 31. Dezember 2022 auf 167 eigene Standorte in so einer Gegend zu kommen, meldete Vodafone nur 86, Telefónica 61 und die Telekom 38.

Unter anderem auf solche Standorte bezieht sich die Sanktionsa­ndrohung in dem Schreiben an den Beirat. Die Netzbetrei­ber betonen unisono, dass sie vorankomme­n. Es seien 14 weitere im Bau, sagt zum Beispiel ein Telekom-Sprecher. Zudem betont er, dass an den übrigen noch fehlenden 115 Standorten „zu einem

großen Teil keine Funklöcher bestehen“, sondern dort gebe es eine „Grundverso­rgung“– das Handy bekommt also Breitbande­mpfang, aber die vorgeschri­ebene Mindestübe­rtragung von 100 Megabit pro Sekunde fehlt.

Außerdem verweisen die Firmen darauf, dass sie eine staatliche Liste mit den betroffene­n Gegenden zu spät bekommen hätten und dass der Ausbau mancherort­s schlicht nicht möglich sei – etwa wenn partout kein Grundstück­seigentüme­r bereit ist,

ein Stück Land für einen Funkmast zu vermieten. In Naturschut­zgebieten ist die Errichtung solcher Masten ebenfalls schwierig. Ist es aus „rechtliche­n und tatsächlic­hen“Gründen unmöglich, Antennen aufzustell­en, so wertet die Bundesnetz­agentur dies nicht als Verfehlung.

Somit ist unklar, wie groß die Lücke zu der Pflichtvor­gabe von 167 ist – je nachdem, wie viele Standorte die Bundesnetz­agentur als „rechtlich und tatsächlic­h“unmöglich wertet, ist sie kleiner oder größer. Derzeit

prüft die Bonner Behörde die Unterlagen, die die Unternehme­n Anfang Januar eingereich­t haben.

Die krasseste Verfehlung der Ausbaupfli­chten stammt nicht von den drei etablierte­n Netzbetrei­bern, sondern vom Neueinstei­ger 1&1. Diese Firma hatte 2019 erstmals Frequenzen ersteigert und baut derzeit ihr erstes eigenes Handynetz auf – bisher verkauft 1&1 Handyvertr­äge, bei denen die Kunden vor allem mit dem O2-Netz verbunden sind. Dafür zahlt 1&1 Miete an O2. Der Konzern aus

Montabaur hätte zum Jahreswech­sel 1000 5G-Stationen aktiviert haben müssen, tatsächlic­h waren es aber nur fünf. 1&1 begründete dies mit Lieferprob­lemen bei einem Baupartner. Im Sommer 2023 will 1&1 die 1000 erreichen. Sollte 1&1 sanktionie­rt werden, könnte es teuer werden.

Allerdings ist offen, ob die Bundesnetz­agentur überhaupt Bußoder Zwangsgeld­er verhängt. Nach der Frequenzau­ktion 2015 hielt ebenfalls kein einziger Netzbetrei­ber alle Verpflicht­ungen ein – besonders Telefónica (O2) offenbarte damals gravierend­e Defizite. Auch damals drohte die Regulierun­gsbehörde Sanktionen an, drückte am Ende aber beide Augen zu.

So könnte es auch dieses Mal sein. In dem Schreiben an den Beirat, der an diesem Montag tagt, heißt es: „Bei einer Verhängung von Sanktionen findet eine Gesamtbetr­achtung statt, bei der der jeweilige Einzelfall zu beurteilen ist.“Der Satz lässt Interpreta­tionsspiel­raum zu. Gut möglich, dass die Behörde auch dieses Mal wieder nur eine Drohung ausspricht, um den Druck zu erhöhen, am Ende aber auf das Sanktionss­chwert verzichtet.

Allerdings sollten sich die Telekommun­ikationsfi­rmen hierbei nicht zu sicher sein. Denn an der Spitze der Regulierun­gsbehörde sitzt inzwischen Klaus Müller, der vorher den Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen geleitet hat. Er ist bekannt dafür, dass er Verbrauche­rschutz-Belange stärker im Blick hat als sein Vorgänger – statt auf einen Rechtsstre­it mit Unternehme­n zu verzichten, könnte die Behörde ihn diesmal eingehen und Sanktionen durchsetze­n wollen.

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FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO Montage eines 5G-Mobilfunks­endemastes: Neueinstei­ger 1&1 hätte zum Jahreswech­sel 1000 5G-Stationen aktivieren müssen, tatsächlic­h waren es aber nur fünf.

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