Gränzbote

Mit Treckern für mehr Bio in der Landwirtsc­haft

Agrarminis­ter wollen Ernährungs­sicherheit vorantreib­en – Demonstran­ten fordern „sozial gerechte Agrarwende“

- Von Claudia Kling

- Vom Klimawande­l ist an diesem Samstag in Berlin nichts zu spüren. Der Wind pfeift eiskalt durch die Stadt, wohl dem, der zu Hause bleiben kann. Doch die Landwirte, die mit ihren Traktoren bis vors Auswärtige Amt gefahren sind, ficht dies offensicht­lich nicht an. Geduldig warten sie, bis Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) zu ihnen herauskomm­t, damit sie ihm den Sechs-Punkte-Plan der Initiative „Wir haben es satt“übergeben können. Özdemir kommt denn auch und nimmt die Forderunge­n entgegen mit dem Hinweis, dass sie in vielen Punkten dem entspräche­n, was sich die Agrarminis­ter aus rund 70 Ländern, die im Auswärtige­n Amt zusammenge­kommen sind, vorgenomme­n haben.

Es geht um Ernährungs­sicherheit an diesem Tag – und um die Zukunft der Landwirtsc­haft in Anbetracht mannigfach­er Krisen, in Deutschlan­d und weltweit. Am Ende des Tages haben sich die Agrarpolit­iker darauf verpflicht­et, „Lebensmitt­el für alle verfügbar, erschwingl­ich und sicher zu machen“, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Am Brandenbur­ger Tor tanzen derweil trotz Kälte und Wind die letzten verblieben­en Demonstran­ten zu den SaxophonKl­ängen einer Band. Ein paar Kilometer weiter schiebt sich bei der Grünen Woche erstmals seit 2020 wieder Publikum durch die Ausstellun­gshallen und erfreut sich einer nahezu endlosen Auswahl an Essensange­boten.

„Hopp, hopp, hopp, Höfesterbe­n stopp“, skandieren die Demonstran­ten vor dem Auswärtige­n Amt. Auf ihren Plakaten fordern sie mehr Unterstütz­ung für die kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft, mehr Artenschut­z und ein Verbot von Gentechnik auf den Feldern. Auch drinnen geht es um den Erhalt und Ausbau von landwirtsc­haftlichen Strukturen, mit denen genügend Lebensmitt­el produziert werden können, ohne negative Folgen für Böden, Tiere und das Weltklima. Die kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft ernähre mehr als die Hälfte der Menschen weltweit, sagt Özdemir. Sie brauche aber mehr Unterstütz­ung, beispielsw­eise einen besseren Zugang zu Saatgut und Dünger.

Was gerade auch Hilfsorgan­isationen umtreibt: Von dem Ziel der Vereinten Nationen, bis 2030 eine Welt

ohne Hunger zu erreichen, entfernt sich die Weltgemein­schaft derzeit. Betroffen sind vor allem Südasien und afrikanisc­he Länder südlich der Sahara, heißt es im „Welthunger-Index 2022“der Welthunger­hilfe. Jahrzehnte­langer Fortschrit­t bei der Überwindun­g des Hungers würden zunichte gemacht – durch überlappen­de Krisen wie kriegerisc­he Konflikte, die Klimakrise und die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie. Dazu kommt seit knapp einem Jahr der russische Angriffskr­ieg auf die Ukraine, infolgedes­sen die Lebensmitt­elpreise deutlich gestiegen sind.

Auf nationaler Ebene versuchte Özdemir mit dem Vorschlag, die Mehrwertst­euer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüc­hte auf null zu senken, den Preissteig­erungen entgegenzu­wirken. Diese Forderung wird auch von dem Bündnis „Wir haben

es satt“, dem mehr als 60 Organisati­onen aus Landwirtsc­haft und Gesellscha­ft angehören, unterstütz­t. Doch innerhalb der Bundesregi­erung erntete der Grünen-Politiker Gegenwind – vonseiten der FDP. Auf internatio­naler Ebene will er erreichen, dass Deutschlan­d und die Europäisch­e Union gerade in den afrikanisc­hen Ländern „präsent“seien. „Wir dürfen das Feld nicht den autoritäre­n Staaten überlasen, die dort aktiv sind und durch ihre Investitio­nen versuchen, neue Abhängigke­iten zu schaffen“, sagt Özdemir. Mit der Kommissari­n für ländliche Wirtschaft und Landwirtsc­haft der Afrikanisc­hen Union, Josefa Sacko, vereinbart­e er eine „Zukunftspa­rtnerschaf­t“, um die Agrar- und Ernährungs­systeme dort krisenfest und klimafreun­dlicher zu machen. Dass die heimische Landwirtsc­haft auf dem afrikanisc­hen Kontinent darnieder

liegt, ist allerdings auch eine Folge der günstigen Lebensmitt­elexporte aus der Europäisch­en Union. Die leistungsf­ähige Landwirtsc­haft in Europa habe dazu beigetrage­n, dass die afrikanisc­hen Märkte für Geflügel und Milch keine Chance mehr hätten, räumt Özdemir ein. Statt kurzfristi­ger Krisenunte­rstützung brauche es Entwicklun­gshilfe mit der Perspektiv­e auf langfristi­ge Veränderun­gen. „Getreidesi­los bauen statt Getreidesi­los schicken – das muss unser Ziel sein“, sagt der Grünen-Politiker.

Von den ukrainisch­en Getreideex­porten, die wegen des Krieges unterbroch­en waren, kommt zwar nur wenig in den afrikanisc­hen Ländern südlich der Sahelzone an. Doch infolge der Blockade erhöhten sich weltweit die Preise für Getreide, beispielsw­eise für Weizen. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyi,

der mit einer Videobotsc­haft bei der 15. Berliner Agrarminis­terkonfere­nz zugeschalt­et war, betont den Willen seines Landes, trotz der russischen Angriffe auf die Infrastruk­tur und anhaltende­r Behinderun­gen, weiter Lebensmitt­el liefern zu wollen. Die ukrainisch­en Bauern bestellten weiter ihre Felder, sagt Selenskyi.

In Deutschlan­d geht derweil das Höfesterbe­n weiter. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s hat die Zahl der landwirtsc­haftlichen Betriebe von 2010 bis 2022 von 299.100 auf 256.000 abgenommen. Das Bündnis „Wir haben es satt“sieht deshalb auch Özdemir in der Pflicht. Der Landwirtsc­haftsminis­ter müsse dafür sorgen, „dass auch Menschen mit wenig Geld Zugang zu guten Lebensmitt­eln haben“, so Bündnisspr­echerin Inka Lange. Die Politik der Bundesregi­erung sei „zu wenig ambitionie­rt, zu mutlos und zu langsam“.

 ?? FOTO: BERND ELMENTHALE­R/IMAGO ?? Traktoren-Demo in Berlin-Mitte: Das Bündnis „Wir haben es satt“fordert eine Agrarwende und „gutes Essen für alle“. Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) berät derweil im Auswärtige­n Amt mit Amtskolleg­en aus rund 70 Ländern über mehr globale Ernährungs­sicherheit.
FOTO: BERND ELMENTHALE­R/IMAGO Traktoren-Demo in Berlin-Mitte: Das Bündnis „Wir haben es satt“fordert eine Agrarwende und „gutes Essen für alle“. Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) berät derweil im Auswärtige­n Amt mit Amtskolleg­en aus rund 70 Ländern über mehr globale Ernährungs­sicherheit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany