Der Kopf-über-Künstler
Georg Baselitz wird heute 85 Jahre alt – Sein Verhältnis zu Deutschland ist getrübt
Georg Baselitz ist und war schon immer ein rebellischer Geist. Ein Künstler, der figurativ malte, als die Abstraktion triumphierte, der von heute auf morgen seine Bilder auf den Kopf stellte, der plötzlich die gestische Malerei für sich entdeckte, später mit Holz und Motorsäge experimentierte und dann mit Schwarz alle Kontraste eliminierte. „Künstler müssen widersprechen – wer, wenn nicht wir?“, fragte Baselitz bei einer Präsentation seiner Werke vor fünf Jahren in Basel. Heute wird der Maler und Bildhauer, dessen Werke auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielen, 85 Jahre alt.
Baselitz wird am 23. Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz geboren, einem heutigen Stadtteil von Kamenz im sächsischen Landkreis Bautzen. Sein Künstlername nimmt Bezug auf den Ort seiner Kindheit. Er ist Kriegskind, sein Vater Nazi, das Verhältnis gestaltet sich schwierig. 1956 beginnt Kern ein Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in OstBerlin, wird jedoch nach nur zwei Semestern wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“von der Hochschule verwiesen.
Der Maler wächst im Kalten Krieg auf und gehört zu den frühen Emigranten aus der DDR: 1958 zieht er nach West-Berlin, wo er sein Studium an der Hochschule für bildende Künste fortsetzt. Später lehrt er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und an der Kunsthochschule in Berlin. Mit seiner Frau Elke ist er seit Jahrzehnten verheiratet, lebt mit ihr seit 2013 in Salzburg.
Die erste Einzelausstellung hat Baselitz 1963 in der Berliner Galerie Werner & Katz. Mit Darstellungen von nackten Männern sorgt er damals für Aufsehen. Etwa mit dem Bild „Die große Nacht im Eimer“, das von einem überdimensionalen männlichen Geschlechtsteil dominiert wird und wegen Pornografie beschlagnahmt wurde. Der Künstler selbst bezeichnet es rückblickend als „größten Mist“, während er an seinen verstörenden Studien zu verstümmelten Füßen noch heute Gefallen findet. Der junge Georg Baselitz hat sie mangels Geld aus zusammengekratzten Farbresten seiner Studienkollegen gemalt. Wenig später entstehen die ersten imposanten Helden- und Frakturgemälde. Es sind muskulöse Kerle mit kleinem Kopf, in Uniformen, so zerschlissen, dass diese kaum noch zu erkennen sind. Von 1969 an stellt Baselitz dann spontan und konsequent all seine Motive auf den Kopf. Mit dem Effekt, dass der Blick des Betrachters mehr auf Farbe und Form als auf den Inhalt gelenkt wird. „Wenn es auf dem Kopf steht, dann hat es all seinen Ballast und seine Tradition verloren“, hat Baselitz einmal gesagt.
Auch wenn sein Stil und seine Technik von diesem Zeitpunkt an variieren, so greift der Künstler doch immer wieder bestimmte Motive in seinen Arbeiten auf: die Figur und den Adler, die Doppel- oder Dreierfigur und das Porträt. Zum ersten Mal hat er diese Themen auf die Leinwand gebracht bei „FingermalereiAdler“auf strahlendem Blau von 1972, der einst über dem Kanzlerschreibtisch von Gerhard Schröder hing, oder dem Porträt „Elke 1“von 1969, das erste Bildnis seiner Frau. Neben Gemälden, Holzschnitten und Linolschnitten beginnt Baselitz Ende der 1970er-Jahre dann mit Plastiken aus Holz. Er formt Figuren und Köpfe, die er mit der Kettensäge grob bearbeitet und mit Farbe bemalt. Auch hier ist er provokant, ungestüm und unangepasst. So löste zum Beispiel eine seiner ersten Holzfiguren 1980 auf der Biennale in Venedig wegen ihres ausgestreckten rechten Arms einen kulturpolitischen Skandal aus.
Am liebsten stelle er seine neuesten Bilder aus, hat Baselitz unlängst betont, denn von denen sei er „vollständig überzeugt“. Vielleicht arbeitet er auch deshalb seit 2005 an einem „Remix“: Dazu hat er einige seiner Werke noch einmal gemalt. Als Alterswerk will der Kopf-überKünstler, der Wert auf eine gepflegte Erscheinung mit Anzug, Schal und Hut legt, diese Bilder aber nicht bezeichnet wissen. Denn sie seien nicht mehr als ein Experiment, das schon morgen beendet sein könnte. Auch wenn er aus Gesundheitsgründen „nur noch zwei bis drei Stunden pro Tag arbeiten kann“.
Georg Baselitz’ Werke hängen in internationalen Museen und Sammlungen. Als einer der wenigen Deutschen durfte er eine Einzelausstellung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York gestalten. Im internationalen Ranking „Kunstkompass“stand Baselitz auch im vergangenen Jahr wieder auf Platz drei – nach Gerhard Richter und Bruce Naumann. Das lässt sich auch an den Preisen ablesen. So wurde 2022 etwa eine Skulptur, ein gelber Frauenkopf, für 11,2 Millionen Dollar versteigert.
Sein Verhältnis zu Deutschland ist nicht ungetrübt. Als Reaktion auf das seit 2016 geltende Kulturgutschutzgesetz zog er seine Dauerleihgaben aus deutschen Museen ab, wie etwa aus der Pinakothek München oder dem Dresdner Albertinum. Er befürchtete, nicht mehr frei über sein Eigentum verfügen zu können. Darüber hinaus sieht er einen alarmierenden Kontrast. „In Deutschland sind die Museen leer. Die Museen in London, Paris, Wien oder New York sind dagegen voll mit Einheimischen und Kulturfreunden aus der ganzen Welt.“