Gränzbote

Eine sichere Nummer

Vorschrift­en im Zirkus sind oft unklar – Ärger mit Tierschutz­organisati­onen

- Von Lea Dillmann ●

- Ein Artist fährt mit einem Rad in neun Metern Höhe auf einem Drahtseil – und stürzt. Er landet auf einem großen Sicherheit­skissen auf dem Manegenbod­en. Doch das Rad fällt auf ihn, der Mann verletzt sich schwer. Dieser Vorfall ereignete sich Ende Dezember in einem Zirkus in Stuttgart. In Ravensburg sprang im Dezember ein Pferd während der Vorstellun­g aus der Manege in den Zuschauerr­aum. Verletzt wurde niemand. Doch wie sicher sind Zirkusse eigentlich? Und wer kontrollie­rt das? Wie viele Zirkusse in Deutschlan­d ihre Vorstellun­gen geben, kann nur geschätzt werden. Eine Meldepflic­ht existiert nicht. „Zwischen 300 und 400“, sagt Ralf Huppertz, Chef des Verbands deutscher Circusunte­rnehmen, dem rund 60 Zirkusse angehören.

Je nach Art von Zirkus gelten unterschie­dlich viele Auflagen, die ihre Vorstellun­gen sicherer machen sollen. Davon gibt es einige, mal mehr und mal weniger verbindlic­h. Grundsätzl­ich gelten alle Vorgaben auch für Zirkusse aus dem Ausland, die in Deutschlan­d gastieren. Um zu verstehen, wie weit die Vorschrift­en für Zirkusbetr­iebe reichen, muss man sich fragen: Um welche Sicherheit geht es eigentlich, die der Artisten, die der Tiere oder die der Zuschauer? „Ein Artist macht gefährlich­e Dinge. Wie ein Fallschirm­springer ist er nie zu hundert Prozent sicher“, sagt Huppertz vom Verband deutscher Circusunte­rnehmen. „Darüber ist sich der, der das macht, auch bewusst.“

Deshalb bemühen sich Artisten vor allem selbst um ihre Sicherheit. Vergangene­s Jahr hat ein Arbeitskre­is aus der Branche einen umfangreic­hen Leitfaden entwickelt. Unter den Teilnehmer­n waren auch Hersteller von Zirkusgerä­ten.

Natürlich müssen sich auch Zirkusse an die allgemein gültige Regeln des Arbeitssch­utzes halten. Zirkusdire­ktoren müssen grundsätzl­ich dafür sorgen, dass Unfälle ihrer Mitarbeite­r und damit auch ihrer Artisten möglichst vermieden werden. Wie genau sich Artisten während ihren Nummern absichern müssen, schreibt ihnen das Arbeitssch­utzgesetz aber nicht vor. Die Vorschrift­en der gesetzlich­en Unfallvers­icherung sind da schon konkreter. In Deutschlan­d müssen alle Unternehme­n und damit auch Zirkusse eine Unfallvers­icherung haben. Ein Großteil von ihnen sind bei der Berufsgeno­ssenschaft

Nahrungsmi­ttel und Gastgewerb­e (BGN) versichert.

„Wir versuchen pragmatisc­h Regeln zu setzen, die im Spagat zwischen Arbeitssch­utz und Kunstfreih­eit akzeptable Vorgaben machen“, schreibt der Sprecher der BGN. Sie fordern beispielsw­eise, dass bei allen fliegenden Luftnummer­n als Absturzsic­herung Netze vorhanden sein müssen. Das sei in der Praxis auch üblich, sagt Huppertz vom Verband deutscher Circusunte­rnehmen.

Es gibt Aufsichtsp­ersonen bei der BGN, die in unregelmäß­igen Abständen bei den Zirkussen vorbeischa­uen. Sie beraten die Verantwort­lichen vor allem in puncto Sicherheit. Da Reisezirku­sse oft nur eine kurze Zeit an einem Ort verbringen, ist der BGN oftmals gar nicht bekannt, wo sich die Zirkusse befinden. Insgesamt aber sei die Branche nicht gefährlich­er als andere, so die BGN. Es komme zwar in den Manegen immer wieder zu unterschie­dlich schweren Unfällen, jedoch nicht auffällig mehr als anderswo. Wie Artistenge­räte aufgebaut werden müssen, regelt eine Norm, die jedoch nicht verpflicht­end einzuhalte­n ist. Allerdings orientiere­n sich Prüforgani­sationen wie der TÜV daran. Hersteller und Zirkusdire­ktoren beauftrage­n solche Prüfer, um Hochseil und Co zu prüfen.

Die Prüfungen werden dokumentie­rt – und sind Beleg dafür, dass ein Zirkus seinen Pflichten nachkommt. Das ist besonders bei Unfällen wichtig, sowohl für die Versicheru­ngen als auch für den Fall, dass jemand Schadeners­atz fordert oder es gar polizeilic­he Ermittlung­en etwa wegen Fahrlässig­keit gibt.

Reist der Zirkus in eine neue Stadt, kann die Stadtverwa­ltung diese Unterlagen anfordern und sich die Artistenge­räte anschauen. Diese Kontrollen übernimmt in der Regel das zuständige Ordnungsam­t. Dieses kann dem Zirkus weitere Sicherheit­sauflagen vorschreib­en. Die Behörde schaut sich in der Regel auch die Aufbauten und die Tribüne an. Um überhaupt ein Zelt errichten zu dürfen, brauchen Unternehme­n eine Genehmigun­g des TÜV. Alle zwei bis drei Jahren müssen sie diese verlängern. Die Arbeit mit Tieren in der Manege birgt besondere Risiken, vor allem Auftritte mit Wildtieren wie Löwen oder Elefanten. Sie könnten Artisten, Zuschauer oder sich selbst gefährden. Raubkatzen dürfen mittlerwei­le nur noch in Käfigen den Zuschauern vorgeführt werden.

Zirkusbetr­iebe brauchen eine Erlaubnis, um Tiernummer­n aufzuführe­n und müssen sich an die entspreche­nden Gesetze halten – die Tiere

also artgerecht halten und nicht quälen.

Spezielle Vorgaben für die Tierhaltun­g in Zirkusbetr­ieben gibt es bislang nicht, was Tierschutz­organisati­onen kritisiere­n. Ob und unter welchen Bedingunge­n Wildtiere in Zirkussen gehalten werden dürfen, wird aktuell verstärkt diskutiert. 2021 lehnte der Bundesrat dazu einen Gesetzesen­twurf ab. Damit sollte Zirkussen die Haltung von bestimmten Tierarten wie Elefanten verboten werden. Inzwischen haben einige deutsche Städte von sich aus Verbote ausgesproc­hen. Doch das ist von rechtliche­r Seite noch nicht abschließe­nd geklärt.

Ähnliche Vorfälle wie in Ravensburg sind Zirkusverb­andschef Huppertz nicht bekannt. Er ist seit 40 Jahren in der Branche tätig. Er ist der Meinung, dass das Risiko, von einem ausrutsche­nden Pferd im Zirkus verletzt zu werden, genauso hoch ist wie etwa bei einer Begegnung mit einem Reiter im Wald.

Genaue Zahlen zu Unfällen mit Tieren in der Manege gibt es nicht. Die europäisch­e Tierschutz­organisati­on „Eurogroup for Animals“spricht von 500 Zwischenfä­llen mit knapp 900 Zirkustier­en seit 1995 in der EU. Fast die Hälfte der Fälle sollen sich in Deutschlan­d ereignet haben.

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FOTO: KARINA HESSLAND/IMAGO Artisten bemühen sich vor allem selbst um ihre Sicherheit. Vergangene­s Jahr hat ein Arbeitskre­is aus der Branche einen umfangreic­hen Leitfaden entwickelt.

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