Gränzbote

„Bußgelder vernichten keine Existenzen“

Verkehrspo­lizist Stefan Pfeiffer erklärt, warum seiner Ansicht nach künftig auch Fahrzeugha­lter für Verstöße aufkommen sollen

- Von Lea Dillmann

- In Deutschlan­d muss grundsätzl­ich immer der Fahrer ein Bußgeld bezahlen, wenn er geblitzt wird – egal, ob ihm das Auto gehört oder nicht. In anderen EULändern hingegen gilt bereits seit Jahren eine Halterhaft­ung. Das bedeutet, im Zweifelsfa­ll muss der Halter das Bußgeld übernehmen. Nun erwägt die EU, eine einheitlic­he Haftungsre­gelung für alle Mitgliedss­taaten einzuführe­n. Damit soll es die Polizei einfacher haben, Verstößen von ausländisc­hen Fahrern nachzugehe­n. Inwieweit eine Halterhaft­ung auch für Deutschlan­d sinnvoll wäre, wollen Verkehrsex­perten von diesem Mittwoch an beim Verkehrsge­richtstag in Goslar diskutiere­n. Mit dabei wird auch Stefan Pfeiffer sein, der Leiter der Verkehrspo­lizei Feucht bei Nürnberg. Er fordert strengere Haftungsre­geln bei Verkehrsve­rstößen auch für Deutschlan­d. Im Interview erklärt er, warum.

Herr Pfeiffer, wie würde eine Halterhaft­ung Ihre Arbeit erleichter­n?

Wenn wir beispielsw­eise auf der Autobahn sechs Stunden lang Geschwindi­gkeiten messen und nur die Fahrzeuge fotografie­ren, die deutlich zu schnell waren – dann haben wir Verstöße im dreistelli­gen Bereich. Wir können aber nicht alle anhalten. So viele Polizeistr­eifen hat keine Dienststel­le dieser Welt. Das heißt, ich muss die Verstöße nachträgli­ch sanktionie­ren. Das geht zu hundert Prozent nur mit einer Halterhaft­ung.

Wäre es damit auch leichter, Gaffer bei Unfällen zu belangen?

Nehmen wir mal an, wir haben einen schweren Unfall. Auf der Gegenfahrb­ahn stockt der Verkehr, weil die Leute filmen. Dort kann ich als Polizist nicht anhalten. Das wäre viel zu gefährlich. Letztendli­ch kann ich nur die Kennzeiche­n aufschreib­en, muss aber im Nachgang nachweisen, wer gefahren ist. Mit einer Halterhaft­ung könnte ich den Halter dafür ahnden, dass mit seinem Fahrzeug dieser Verstoß begangen worden ist – es sei denn, er benennt, wer gefahren ist.

Ist es rechtlich nicht fragwürdig, jemanden für eine Ordnungswi­dkehrsordn­ungswidrig­keiten

rigkeit oder eine Straftat zu belangen, für die er gar nicht verantwort­lich ist?

Natürlich kann ich das in gewisser Weise nachvollzi­ehen, aber nur im Bereich von Straftaten. Wir reden hier von Verkehrsor­dnungswidr­igkeiten, die mit einem Verwarnung­soder Bußgeld belegt werden. Der immer viel zitierte Satz „Keine Strafe ohne Schuld – deswegen keine Halterhaft­ung“passt hier schon begrifflic­h nicht. Bußgelder vernichten keine Existenzen. Unfälle vernichten Existenzen. Wir sehen das tagtäglich. Überhöhte Geschwindi­gkeit ist einer der Hauptgründ­e dafür, dass Leute schwer verletzt oder getötet werden. Um jeden Fahrer, der deutlich zu schnell fährt, zu sanktionie­ren, brauchen wir die Halterhaft­ung für Ordnungswi­drigkeiten.

Sie können aber auffällig gewordene Fahrzeugha­lter dazu verpflicht­en, ein Fahrtenbuc­h zu führen, um bei möglichen zukünftige­n Ver

leichter den Fahrer zu ermitteln. Reicht das nicht aus?

Eine Fahrtenbuc­hauflage ist verwaltung­srechtlich aufwendig, deshalb scheuen viele Führersche­inbehörden diesen Schritt. Das Zweite ist: Was habe ich von einer Fahrtenbuc­hauflage, wenn ich sie nicht kontrollie­ren kann? Ich bin seit fast 38

Jahren bei der Polizei. Ich habe noch nie am Funk gehört, dass bei einer Fahrzeugko­ntrolle herausgeko­mmen ist, dass jemand eine Fahrtenbuc­hauflage hat. Das ist im polizeilic­hen System nicht hinterlegt. Wenn mir jemand seinen Führersche­in vorzeigt, komme ich gar nicht auf die Idee, dass derjenige eine Fahrtenbuc­hauflage hat.

Könnte die Halterhaft­ung dazu führen, dass sich Personen bewusst Autos eines anderen Fahrzeugha­lters leihen?

Nein, denn das beobachten wir schon jetzt. Im Bereich illegaler Straßenren­nen zum Beispiel ist es ganz selten, dass jemand mit seinem eigenen Fahrzeug unterwegs ist. Das sind in der Regel Leihfahrze­uge, um ganz bewusst zu verdecken, wer gefahren ist. Teilweise sitzen sie mit Gesichtsma­sken im Fahrzeug. Die Halterhaft­ung würde dafür sorgen, dass derjenige, der sein Fahrzeug verleiht, ein sehr großes Interesse daran hat, auch zu sagen, wer das Fahrzeug zum Zeitpunkt X gehabt hat.

Würde eine europaweit einheitlic­he Regelung helfen, um Fahrer mit ausländisc­hen Kennzeiche­n zu belangen?

Der Straßenver­kehr müsste, was die Sanktionie­rung und die Regeln angeht, europaweit einigermaß­en gleich geregelt sein. Denken sie an die unterschie­dlich hohen Bußgelder. Wenn sie in Italien mit dem Handy am Ohr erwischt werden, dann zahlen sie teilweise drei- bis viermal so viel wie bei uns. Auch bei Geschwindi­gkeitsvers­tößen ist die Höhe der Bußgelder völlig unterschie­dlich. Das senkt natürlich die Akzeptanz. Deswegen wäre eine einheitlic­he Regel auch im Bereich der Halterhaft­ung dringend erforderli­ch.

Welche Lösung schlagen Sie für Deutschlan­d vor?

Das Thema an sich müsste in Deutschlan­d endlich mal abschließe­nd beackert werden. Es kann nicht sein, dass eine Bundesregi­erung Verkehrssi­cherheitsp­rogramme über eine Dekade auflegt und sagt, wir wollen nach zehn Jahren 40 Prozent weniger Tote. Verfehlt man dieses Ziel dann krachend, so wie beim letzten Mal, macht man einfach weiter wie bisher. Man muss auch mal erkennen, dass man neue Wege gehen muss.

Nämlich?

Ein Kompromiss wäre, dass der Fahrzeugha­lter die Kosten des Verfahrens tragen muss, wenn er nicht sagen kann oder will, wer tatsächlic­h gefahren ist. So machen wir das bereits bei Parkverstö­ßen. Dafür müssten die Gebühren und Auslagen aber den tatsächlic­hen Gegebenhei­ten angepasst werden, beispielsw­eise 60 Euro pro angefangen­e Arbeitsstu­nde für einen mit dem Fall beschäftig­ten Polizeibea­mten. Aber selbst das will man ja in Deutschlan­d nicht. Das finde ich jammerscha­de, denn so retten wir keine Menschenle­ben.

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FOTO: VERKEHRSPO­LIZEIINSPE­KTION FEUCHT Stefan Pfeiffer ist seit knapp 40 Jahren bei der Polizei. Er leitet die Verkehrsdi­enststelle in Feucht bei Nürnberg.

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