Gränzbote

Keine harmlosen Rollenspie­le

Was eine Massage mit Faszienrol­len im Körper genau bewirkt, ist unklar – und manchmal gefährlich

- Von Angela Stoll

- Welche Gerätschaf­ten wurden nicht schon auf den Markt gebracht, um uns von Rückenschm­erzen zu erlösen: Stehpulte, Spezialmat­ratzen, Sitzbälle, Rückenstre­cker und vieles mehr.

Kaum ein Zubehör hat sich allerdings so erfolgreic­h durchgeset­zt wie die Faszienrol­le: Vor gut 15 Jahren wurde die sogenannte Blackroll erfunden und ist heute kaum noch aus Physiother­apiepraxen, Gymnastiks­tudios und privaten Fitnesskel­lern wegzudenke­n. Eine Faszienmas­sage mit der Hartschaum­rolle verspricht Schmerzlin­derung und obendrein zahlreiche weitere positive Effekte. Handelt es sich bloß um eine Trendwelle?

Zunächst einmal: So ganz neu war die Blackroll nicht, als sie in den 2000ern vom Band lief. „Schon in den 1980er-Jahren wurden bei der Feldenkrai­s-Methode Holzrollen verwendet“, sagt Chuck Tholl (Foto: Monsters & Explosions), wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Deutschen Sporthochs­chule Köln. „Auch bei Pilates und Yoga benutzt man seit Langem Rollen.“Den Vätern der Blackroll kam zugute, dass in den letzten Jahrzehnte­n die Faszien immer stärker in den Blickpunkt des Interesses rückten. „Anfang der 80er-Jahre betrachtet­e man Fasziengew­ebe noch als reines Füllmateri­al, das bei Operatione­n manchmal großzügig weggeschni­tten wurde“, berichtet Tholl. Dabei ahnten Mediziner damals nicht, welche wichtige Aufgabe die Fasern erfüllten. Das dichte Gewebe, das Muskeln und Organe umhüllt und wie ein

Netzwerk den ganzen Körper durchzieht, ist mit zahllosen Sinneszell­en ausgestatt­et. „Rezeptoren im Fasziengew­ebe sind zum Beispiel wichtig für die Körperwahr­nehmung“, erklärt der Wissenscha­ftler. Daneben können sie auch Schmerzinf­ormationen weiterleit­en.

Bis hierhin sind sich Experten weitgehend einig. Inwieweit das s„Foam Rolling“Beschwerde­n lindert und sich auch sonst positiv auswirkt, ist dagegen weit weniger klar. Schwammig wird es schon bei der Frage, was im Körper eigentlich passiert, wenn man sich mit der Rolle bearbeitet. „Dazu gibt es viel Theorie, aber wenig davon ist bewiesen“, sagt Tholl. Relativ klar sei, dass durch den Druck die Hydration verbessert wird: Wie ein Nudelholz, mit dem man Teig glatt walkt, bearbeitet die Rolle das Gewebe, sodass sich die Flüssigkei­t darin besser verteilt. Außerdem stimuliert die Massage Rezeptoren in Bändern, Sehnen und Faszien – „aber auch das ist nicht zu 100 Prozent klar“, meint Tholl.

Der Schmerzexp­erte Professor Hermann Locher von der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Unfallchir­urgie beschreibt den Haupteffek­t der Faszienmas­sage so: „Die verschiede­nen Fasziensch­ichten werden gegeneinan­der bewegt, sodass sich ihre Gleiteigen­schaften verbessern.“Davon profitiert­en zum Beispiel Leistungss­portler, deren Muskulatur bewegliche­r wird.

Auch Tholl geht davon aus, dass sich die Beweglichk­eit durch das Rollern kurzfristi­g verbessert. Allerdings braucht man dazu das Gerät nicht: Durch dynamische­s Dehnen, sagt er, erreiche man denselben Effekt. Und wie gut wird man mit der Rolle Schmerzen los? Vorübergeh­end kann die Massage schon Linderung bringen, sagt Tholl, aber: „Es kommt immer auf die Art der Beschwerde­n

an.“Andere Aussagen über die Wirkung der Schaumstof­frollen klingen wesentlich euphorisch­er. So schreiben Roland Liebscher-Bracht und Petra Bracht in ihrem Ratgeber „Rolle dich schmerzfre­i“der Massage etliche positive Effekte zu: Sie reichen vom Auflösen von Spannungsk­noten in der Muskulatur über eine bessere Durchblutu­ng der Kapillarge­fäße bis hin zu Schmerzred­uktion oder gar -beseitigun­g. Das funktionie­rt ihrer Theorie nach vor allem dadurch, dass das Rollern zum einen den Stoffwechs­el im Bindegeweb­e anregt, zum anderen Rezeptoren in den Faszien sowie Spannungsp­unkte in den Muskeln aktiviert.

Der wissenscha­ftliche Boden für solche Thesen ist dünn. „Es gibt noch sehr wenige Studien dazu“, sagt Orthopäde Locher. Den Effekt führt Locher vor allem auf die „schmerzlin­dernde Propriozep­tion“zurück: Durch Stimulieru­ng der zahlreiche­n Bewegungsf­ühler, die auf den Faszien sitzen, werden Schmerzen weniger stark wahrgenomm­en. „Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Kopfnuss bekommen. Wenn Sie die Stelle dann mit der Handfläche reiben, verflüchti­gt sich der Schmerz.“

Dennoch rät der Experte davon ab, bei Problemen blindlings draufloszu­rollern. Wer Rückenschm­erzen hat, sollte die Ursache erst vom Arzt klären lassen. „Bei einer Muskelentz­ündung

oder einem Bandscheib­envorfall hilft Faszientra­ining nur begrenzt“, sagt Locher. Wenn tatsächlic­h ein muskulo-fasziales Problem die Beschwerde­n verursacht, sollten sich die Patienten die Anwendung der Faszienrol­le zeigen lassen – etwa von einer Physiother­apeutin. Aber auch dann ist die Massage nur eine ergänzende Maßnahme. Experten sind sich einig: Um langfristi­g schmerzfre­i zu sein, ist ein ganzheitli­ches körperlich­es Training nötig. Chuck Tholl: „Eine Rollmassag­e kann Bewegung nicht ersetzen.“

Wer sich eine Rolle anschafft, sollte sie mit Bedacht einsetzen. Völlig frei von Risiken und Nebenwirku­ngen sind Blackroll & Co nämlich nicht, wie Locher erklärt: Zum Beispiel können Venenklapp­en beschädigt werden. Daher sollten vor allem Menschen mit Krampfader­n darauf achten, nur in Richtung des Blutrückfl­usses – also zum Herzen hin – zu rollern. Auch bei Geschwüren, starker Osteoporos­e, frischen Verletzung­en oder Entzündung­en können Faszienrol­len schaden, ebenso, wenn man Blutverdün­ner einnimmt. Und auch für rundum gesunde Menschen gilt: Nicht über knöcherne Strukturen rollern, da sonst die Knochenhau­t gereizt werden könnte. „Der häufigste Fehler, den Leute machen, ist allerdings, sich gleich mit vollem Gewicht auf die Blackroll zu legen“, sagt Locher. Dadurch kann zu starker Druck ausgeübt werden. Daher gilt gerade für Anfänger: behutsam mit einer weicheren Rolle beginnen und auf die Signale des Körpers achten. „Man sollte nicht übertreibe­n. Etwa fünf Minuten pro Tag reichen“, rät der Arzt. Ein Spezial-Faszienbal­l lässt sich auch einfach durch einen Tennisball ersetzen, verrät Chuck Tholl. Wer das Modell noch tunen will, gibt zwei Tennisbäll­e in eine Tennissock­e – fertig ist der Duoball.

 ?? FOTO: HELMUT MALUCHA ?? Die Wirkung von Faszienrol­len ist noch nicht wissenscha­ftlich belegt.
FOTO: HELMUT MALUCHA Die Wirkung von Faszienrol­len ist noch nicht wissenscha­ftlich belegt.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany