Der Spaichinger Fasnetsschneider
Stefan Verse näht Häser für Funkenhexen, Strohhansele und Kohlhaldaweible
- Beim Nachtumzug am Samstag hat man sie wieder gesehen: die unverwechselbaren Spaichinger Funkenhexen mit ihren dunkelgrünen Blümchenblusen mit gesticktem Vereinsaufnäher, dem roten Kopftuch, schwarzen Rock und der roten Schürze, unter der die Unterhosen hervorschauen, und den Strohschuhen. Als Näher ist seit zehn Jahren Stefan Verse für die Häser der Funkenhexen zuständig. Dabei hat er ein ganz anderes Handwerk gelernt als das Schneidern.
Im geräumigen Keller seines Eigenheims hat sich Stefan Verse seine eigene Nähwerkstatt eingerichtet. Im Mittelpunkt steht der große Arbeits-, Mess- und Zuschneidetisch, umgeben von einem kleinen „Maschinenpark“, den er sich im Laufe der Jahre aufgebaut hat. Auf dem Tisch liegt gerade ein großer, gefältelter roter Umhang. In den nächsten Tagen wird er diesen über und über mit geflochtenem Stroh benähen – der Umhang gehört zum Narrenkleid eines Spaichinger Strohhansele.
Mit einem Strohhansele-Häs hat auch alles angefangen. Stefan Verses Eltern sind 1978 in die Primstadt gezogen und hatten mit der Fasnet selbst wenig am Hut. Sie waren aber auch nicht direkt dagegen und nahmen ihren 1980 in Spaichingen geborenen Sohn immer mal wieder zu Umzügen mit. Doch allein schon im Kindergarten kam er unweigerlich mit der Spaichinger Fasnet in Berührung. Mit 16 ist Verse dann in die Kolpingsfamilie eingetreten, und auch hier ging es natürlich nicht ohne Fasnet. Seit 20 Jahren ist er selbst an der Organisation der Kolpingsfasnet tatkräftig beteiligt.
„Mit 20 habe ich dann gesagt: Jetzt brauchst du dein eigenes Häs!“Er habe seine Mutter gebeten, ihm eines zu nähen, aber die habe nur gesagt: „Nö, mache ich nicht. Wenn, dann machst Du’s selber.“Und so setzte sich Stefan Verse an die Nähmaschine und nähte sein erstes eigenes Strohhansele-Häs – und hatte ein neues Hobby gefunden! Die Techniken und Fertigkeiten des Nähens hat
sich der gelernte Chirurgiemechaniker selbst beigebracht. „Ich hab’ in der Schule ja Nähen gehabt. Auch auf Youtube habe ich mir viel abgeschaut.“Dazu kamen Tipps von Verwandten und Bekannten. Vor allem aber hat er viel selbst ausprobiert und beim Nähen seines ersten Häses habe er am meisten gelernt.
Mit den harten „Strohhalmen“– eigentlich dicke geflochtene Bänder aus Stroh – hat er sich zunächst manche Nähmaschine kaputt gemacht, bevor er sich dann eine robuste Langarmnähmaschine anschaffte, die auch die harten Strohhalme oder Leder näher kann. Heute näht er in seiner Freizeit neben Narrenhäsern für die Deichelmaus, die Funkenhexen oder die Balgheimer Kohlhaldaweible
gelegentlich auch mal einen Reißverschluss an eine lederne Motorradjacke. Seinen kleinen Nähmachinenpark hat er sich im Laufe der Jahre selbst zusammengestellt – vor allem günstige gebrauchte Nähmaschinen aus Firmenauflösungen. In Albstadt und den kleineren Orten drum herum wie Ober- und Unterdigisheim, Bitz oder Burladingen haben in den letzten Jahren viele kleine und mittelständische Textilunternehmen oder Heimarbeiter aufgehört und ihre Maschinen günstig verkauft.
Die Lackiermaschine für das Stroh hat sich Verse selbst gebaut. Er ist gelernter Chirurgiemechaniker, war aber gleich nach der Ausbildung im CNC-Bereich tätig und hat zehn, zwölf Jahre an der Drehmaschine gearbeitet.
Heute führt er als Ausbilder/Lernbegleiter bei Aesculap angehende Zerspanungsmechaniker selbst an den Umgang mit den CNCMaschinen heran. „Die Nähmaschinen lasse ich aber doch lieber vom Fachmann reparieren“, sagt er, „die sind hoch komplex und verlangen spezielle Ersatzteile“.
Eine Zeitlang war Stefan Verse auch einer der HVL (Hästrägervertrauensleute) bei den Deichelmäusen. „Aber jetzt als Familienvater mit zwei kleinen Kindern habe ich andere Prioritäten als die Vereinsmeierei“, gesteht er.
Doch seinen „Nebenberuf“, das Häsnähen, hat er nicht aufgeben. Im Gegenteil. Seit 2012 ist er der Näher der Funkenhexen. Von Oktober bis
Dreikönig ist seine Hauptarbeitszeit. „An Dreikönig versuche ich mit allem fertig zu sein, denn dann möchte ich selbst bei der Fasnet mit gehen.“Nur in diesem Jahr klappt das nicht so ganz, denn jetzt, da die Fasnet nach zwei Jahren Corona-Dämpfer wieder richtig los geht, holen viele ihre alten Kleidle erst wieder aus dem Schrank – und siehe da: Es ist hier zu klein geworden oder dort ausbesserungsbedürftig, und so gibt es derzeit gerade noch viel zu tun.
Am einfachsten zu nähen seien Hexenröcke und -blusen. Schwieriger seien da schon die Hosen. „Alle Hosentaschen müssen Reißverschlüsse haben“, erläutert er, „damit während des Umzugs nichts raus fällt.“Bis er sich eine Knopflochmaschine
gekauft hat, sei auch das Knopfloch-Nähen „eine elends Arbeit“gewesen.
Bei den Funkenhexen ist man zunächst passives Mitglied. Erst wenn sich zeigt, dass Mitglied und Verein gut zusammenpassen, hat man die Chance, als aktives Mitglied aufgenommen zu werden. Wobei aber die Zahl der hästragenden Funkenhexen auf maximal 100 gedeckelt ist.
Ungefähr fünf neue Häser pro Jahr näht Stefan Verse – alles Maßanfertigungen. „Es gibt keine Standardblusen“, betont Verse, dafür aber genaue Vorschriften für die Gestaltung. Die Längen und Abstände zwischen Bluse, Schurz, Rock und Unterhose sind genau festgelegt. Stefan Verse arbeitet eng mit Häsmeister Jürgen „Kelly“Keller zusammen. „Das Häs wird ständig angepasst. Das ist ein lebendiger Prozess“, sagt Verse. „In einem oder zwei Jahren kann es schon ein wenig anders aussehen.“
Für jeden Träger legt er eine Laufkarte mit den jeweiligen Maßen an. Die Funkenhexen-Häser müssen weit geschnitten sein, damit die Trägerin oder der Träger Pullover oder Softshell-Jacke darunter anziehen kann, um beim Umzug nicht zu sehr zu frieren. Den Stoff stellt der Verein, um einheitliche, gute Qualität zu gewährleisten. Die dunkelgrün geblümte Bluse steht für den Einzug des Frühlings, nachdem die Hexen den Winter mit ihrem Funken erfolgreich vertrieben haben. Die unzähligen kleinen Blümchen auf der Bluse sind nicht etwa aufgedruckt, sondern eingewoben. Die Funkenhexen hätte sich extra einige Bahnen dieses Blusenstoffs in Österreich weben lassen, berichtet Verse. Der geht jetzt langsam zur Neige. Zu den Neuanfertigungen kommen zahlreiche Reparaturen und Änderungen, wenn etwa der Hästräger oder die Hästrägerin dicker oder dünner geworden ist.
Inzwischen gehen auch die beiden kleinen Söhne von Stefan Verse im Häs. Der Dreijährige ist als Hexe unterwegs und der Anderthalbjährige freut sich darauf, in diesem Jahr erstmals als kleines Strohhansele gehen zu dürfen. Das Kleidle hat natürlich der Papa genäht.