Vor dieser Frau zittert der VW-Chef
Porträt Gina McCarthy leitet die amerikanische Umweltbehörde, die den Abgas-Skandal aufgedeckt hat. Kritiker werfen ihr vor, Volkswagen besonders hart anzufassen
Kurz nach ihrem Amtsantritt im Sommer 2013 hat Gina McCarthy an der HarvardUniversität eine beeindruckende Rede gehalten, ihre erste als neue Chefin der US-Umweltbehörde EPA. Es ging um den Klimawandel, um sauberes Wasser und saubere Luft, große Themen, wichtige Themen also. Ihr Höhepunkt an diesem Tag, sagte McCarthy später, sei allerdings etwas ganz anderes gewesen: In der ersten Reihe saßen, stolz lächelnd und mit Tränen in den Augen, ihre erwachsenen Töchter.
Ihre Kinder, die beiden Töchter und den Sohn, erwähnt McCarthy oft. Sie sind für die 1954 geborene Umweltexpertin der Grund, „warum sie den Job macht“, wie sie es einmal formuliert hat. „Es ist unsere Aufgabe“, sagte McCarthy in ihrer Harvard-Rede, „eine Umwelt zu hinterlassen, auf die Maggie, Julie und Dan stolz sein können.“Um dieses Ziel zu erreichen, kann die Frau mit den kurzen grauen Haaren und dem immer leicht spöttischen Lächeln auch hart durchgreifen. Zuletzt hatte das auch der VW-Chef zu spüren bekommen. Matthias Müller hatte die EPA-Leiterin auf seiner USA-Reise besucht, um mit ihr Lösungsvorschläge für das Diesel-Dilemma des Konzerns zu besprechen. McCarthys Behörde hatte den Abgasskandal im September aufgedeckt.
Nach dem Treffen drang nur äußerst wenig an die Öffentlichkeit: Man freue sich, dass McCarthy sich Zeit für Volkswagen genommen habe, hieß es von VW. Eine Einigung, wie die fast 600 000 betroffenen Dieselautos repariert werden können, habe man nicht gefun- den, teilte die EPA kurz darauf mit.
Kritiker haben McCarthys Behörde in den vergangenen Monaten so manches Mal vorgehalten, Volkswagen deutlich härter als die USAutobauer anzufassen – und damit auch den nationalen Automarkt zu schützen. Aber auch innerhalb der USA ist die Macht der Kontrolleure vielen Unternehmen ein Dorn im Auge. Besonders die Republikaner haben in Gina McCarthy ihr Feindbild gefunden, denn die Umweltexpertin gilt im Kampf gegen den Klimawandel als enge Vertraute von US-Präsident Barack Obama.
Ihre Gegner werfen ihr vor, der amerikanischen Wirtschaft Steine in den Weg zu legen und Jobs zu gefährden. Lange haben die Republikaner versucht, McCarthys Ernennung zur EPAChefin zu blockieren. 136 Tage dauerte es, bis der Senat der Personalie zustimmte.
Dabei gilt die studierte Anthropologin beileibe nicht als blinde Umweltaktivistin. Sie pflegt gute Kontakte zu Industriechefs und Verbänden, hat in der Vergangenheit sogar den republikanischen ExPräsidentschaftskandidaten Mitt Romney in Umweltfragen beraten.
Sie hat aber einen Ansatz, der in den beim Klimaschutz bisher recht unbedarften USA erst einmal revolutionär klingt: Wirtschaftswachstum und Umweltbewusstsein schließen sich bei ihr nicht aus. Man müsse sich nicht entscheiden zwischen „der Gesundheit unserer Kinder und der Gesundheit unserer Wirtschaft“. Beides, betonte McCarthy in Harvard, könne nebeneinander funktionieren. Sarah Schierack