Von 160000 Flüchtlingen sind 322 verteilt
Die EU hat zahlreiche Maßnahmen beschlossen, doch sie werden nur schleppend umgesetzt – oder gar nicht
Brüssel Je länger die Flüchtlingskrise dauert, desto klarer wird: Die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs glauben nicht daran, dass der EU tatsächlich noch ein Durchbruch gelingt. EU-GipfelChef Donald Tusk sagt: „Die Union hat noch zwei Monate für eine Lösung, dann ist Schengen (also das System der Reisefreiheit innerhalb der EU) am Ende.“Ideen gibt es zwar, aber die Gemeinschaft scheitert an der Umsetzung. Immerhin scheinen die Schuldigen festzustehen: Mal ist es die Türkei, mal sind es die nordafrikanischen Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen wollen. Und dann ist da ja auch noch das Ost-Quartett Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei – das eine Verteilung der Ankommenden blockiert. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Widersinnige Strukturen, Unfähigkeit vor Ort und Eifersüchteleien der Mitglieder untereinander blockieren eine Lösung weitaus mehr, wie ein Überblick über die diversen Themen zeigt:
Problem Hotspots Elf dieser Zentren, in denen Flüchtlinge erfasst, registriert und dann verteilt werden, sollten seit November in Betrieb sein. Von fünf Zentren in Griechen- land ist eines in Betrieb, von sechs Hotspots in Italien immerhin zwei. Die EU-Kommission hat sich nun Ende Februar als Startdatum für alle gesetzt. Noch fehlt es an vielem. Computer ohne Internet-Zugang, kein Zugriff auf die gemeinsame Datenbank. Außerdem erschweren nach Angaben von EU-Diplomaten Griechenland und Italien die Zusammenarbeit mit den Beamten in den Zentren. Denn die Erfassung der Daten kostet Zeit, in der die Asylbewerber betreut werden müssen. Es ist also einfacher, sie direkt weiterzuschicken.
Problem Verteilung 160000 Menschen aus griechischen und italienischen Lagern mit guter Asylrechtsprognose sollen bis Ende 2017 auf alle Mitgliedstaaten verteilt werden. Sogar Polen ist inzwischen bereit, das zugesagte Kontingent aufzunehmen. Doch bisher wurden gerade mal 240 Menschen aus Italien und 82 aus Griechenland auf andere Länder verteilt. Der griechische Migrationsminister Yannis Mouzalas hat eine Ahnung, woran es liegen könnte: „Einige Länder wollen nur Christen, andere nur ,große blonde Syrer mit blauen Augen und Hochschulabschluss‘.“Das habe zwar so niemand gesagt, aber die „Regierungen verhalten sich so“.
Problem Türkei Drei Milliarden Euro wurden Ankara zugesagt, wenn es die Grenzen dichtmacht. 500 Millionen stehen dafür aus dem Etat der EU bereit. Den Rest sollen die Mitgliedstaaten beisteuern, tun sie aber nicht. Nicht zuletzt Italiens Regierungschef Matteo Renzi legt sich seit Wochen quer und baut sich damit innenpolitisch zum großen Merkel-Widersacher auf. „Spätpubertär“nennen Brüsseler Beobachter diese Reaktion. Während die EU schnelle Hilfe erwartet, hat sie der Türkei nur langfristiges Entgegenkommen bei visafreier Einreise und Beitritt zur Gemeinschaft zugesagt. Also lässt sich Ankara Zeit. In der Vorwoche nahm die Türkei 150 Flüchtlinge ohne Asylanspruch von Griechenland zurück. Gleichzeitig ließ sie aber 5000 ausreisen – an einem Tag.
Problem Außengrenze Die Kommission will Frontex zu einer europäischen Grenzpolizei ausbauen. Widerstände gibt es seit dem Tag, an dem im Dezember der Vorschlag präsentiert wurde. Denn die Mitgliedstaaten wehren sich gegen die Quasi-Entmachtung. Es fehlen allerdings auch klare Ideen und Kompromisse, um alle Mitgliedstaaten zu gewinnen.