Giftmord auf höchsten Befehl?
Spionage-Thriller Britischer Untersuchungsbericht belastet Putin. Der sterbende Ex-Agent hatte es geahnt. Nun gibt es neue Indizien
London Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich habe den Auftrag gegeben, ihn zu ermorden, sagte der Kreml-Gegner Alexander Litwinenko auf seinem Sterbebett. Nun, mehr als neun Jahre später, nennt ein britischer Untersuchungsbericht denselben Namen. Die Tötung des Kreml-Kritikers Litwinenko sei „wahrscheinlich“nicht nur von Nikolai Patruschew, dem damaligen Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, gebilligt worden. Sondern auch vom mächtigsten Mann Russlands: Präsident Putin. Das gab gestern Richter Sir Robert Owen, der Leiter der Untersuchung, bekannt. Dies hat zwar keine direkten strafrechtlichen Konsequenzen, aber die Ergebnisse bergen viel politischen Sprengstoff. Die Briten belasten immerhin die Moskauer Führungsspitze. Dort wurden die Vorwürfe als „politisch motiviert“sowie als „widersprüchlich“und „verbrecherisch“zurückgewiesen.
Downing Street bezeichnete die Ergebnisse dennoch als „extrem verstörend“. Ein solches Verhalten könne „kein Staat und schon gar kein Mitglied des UN-Sicherheitsrats an den Tag legen“, ließ eine Sprecherin von Premier David Cameron verlautbaren. Das Außenministerium in London bestellte den russischen Botschafter ein. Innenministerin Theresa May sagte, der Mord sei ein „eklatanter und inakzeptabler Bruch mit den grundlegendsten Prinzipien des internationalen Rechts und zivilisiertem Verhalten“. Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen dem Königreich und Russland werden weiter belastet und das zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt. Ohne die Hilfe Putins wird ein Ende des SyrienKriegs kaum möglich sein, gaben Beobachter sogleich zu bedenken.
Doch die mutmaßliche Verstrickung der russischen Regierung in einen Anschlag in der Londoner Innenstadt ist diplomatisch mehr als heikel. Marina Litwinenko, die Witwe des Ermordeten, hatte jahrelang für eine öffentliche Untersuchung gekämpft und war bis vor das höchste britische Gericht gezogen. Im Juli 2014, acht Jahre nach dem Mord, gab May dann bekannt, dass der aufsehenerregende Fall neu aufgerollt werde.
Es war ein Spionage-Thriller in Echtzeit, der die Welt wochenlang in Atem hielt. Ein ehemaliger russi- scher KGB-Agent, der 2000 ins Exil nach Großbritannien geflohen war, trifft sich am 1. November 2006 mit zwei Landsmännern im Londoner Luxushotel Millennium und trinkt eine Tasse grünen Tee. Kurz darauf leidet er unter einer rätselhaften Krankheit, kommt in eine Klinik, die Ärzte in der Hauptstadt versuchen, die Ursache für seinen täglich schlechter werdenden Zustand herauszufinden. Erst spät, zu spät, wissen sie, dass Alexander Litwinenko mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet wurde.
Der 43-jährige Regierungskritiker, der ab 2003 für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 arbeitete, ist sich dagegen von Anfang an sicher, dass er einem Giftanschlag zum Opfer gefallen ist. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die russischen Geheimdienste verantwortlich sind“, wies der Ex-Sowjet-Agent vom Krankenbett aus die Schuld für seine Ermordung dem Kreml und insbesondere Putin zu. Das Bild von Litwinenko, abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen, ging um die Welt. Kurz darauf stirbt er.
Tötete Moskau wirklich einen Kritiker? Der gestern veröffentlichte Untersuchungsbericht deutet das an. Einen Hinweis gebe das eingesetzte Polonium, heißt es. Da die teure Substanz aus einem Atomreaktor stamme, liege der Schluss nahe, dass es im Namen einer staatlichen Instanz und nicht etwa einer kriminellen Organisation verabreicht wurde.
Nach dem Tod Litwinenkos hatte London bereits vier russische Diplomaten des Landes verwiesen. Viele Briten forderten gestern einen harten Kurs gegenüber Putin.