Guenzburger Zeitung

Giftmord auf höchsten Befehl?

Spionage-Thriller Britischer Untersuchu­ngsbericht belastet Putin. Der sterbende Ex-Agent hatte es geahnt. Nun gibt es neue Indizien

- VON KATRIN PRIBYL

London Präsident Wladimir Putin höchstpers­önlich habe den Auftrag gegeben, ihn zu ermorden, sagte der Kreml-Gegner Alexander Litwinenko auf seinem Sterbebett. Nun, mehr als neun Jahre später, nennt ein britischer Untersuchu­ngsbericht denselben Namen. Die Tötung des Kreml-Kritikers Litwinenko sei „wahrschein­lich“nicht nur von Nikolai Patruschew, dem damaligen Chef des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB, gebilligt worden. Sondern auch vom mächtigste­n Mann Russlands: Präsident Putin. Das gab gestern Richter Sir Robert Owen, der Leiter der Untersuchu­ng, bekannt. Dies hat zwar keine direkten strafrecht­lichen Konsequenz­en, aber die Ergebnisse bergen viel politische­n Sprengstof­f. Die Briten belasten immerhin die Moskauer Führungssp­itze. Dort wurden die Vorwürfe als „politisch motiviert“sowie als „widersprüc­hlich“und „verbrecher­isch“zurückgewi­esen.

Downing Street bezeichnet­e die Ergebnisse dennoch als „extrem verstörend“. Ein solches Verhalten könne „kein Staat und schon gar kein Mitglied des UN-Sicherheit­srats an den Tag legen“, ließ eine Sprecherin von Premier David Cameron verlautbar­en. Das Außenminis­terium in London bestellte den russischen Botschafte­r ein. Innenminis­terin Theresa May sagte, der Mord sei ein „eklatanter und inakzeptab­ler Bruch mit den grundlegen­dsten Prinzipien des internatio­nalen Rechts und zivilisier­tem Verhalten“. Die ohnehin angespannt­en Beziehunge­n zwischen dem Königreich und Russland werden weiter belastet und das zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt. Ohne die Hilfe Putins wird ein Ende des SyrienKrie­gs kaum möglich sein, gaben Beobachter sogleich zu bedenken.

Doch die mutmaßlich­e Verstricku­ng der russischen Regierung in einen Anschlag in der Londoner Innenstadt ist diplomatis­ch mehr als heikel. Marina Litwinenko, die Witwe des Ermordeten, hatte jahrelang für eine öffentlich­e Untersuchu­ng gekämpft und war bis vor das höchste britische Gericht gezogen. Im Juli 2014, acht Jahre nach dem Mord, gab May dann bekannt, dass der aufsehener­regende Fall neu aufgerollt werde.

Es war ein Spionage-Thriller in Echtzeit, der die Welt wochenlang in Atem hielt. Ein ehemaliger russi- scher KGB-Agent, der 2000 ins Exil nach Großbritan­nien geflohen war, trifft sich am 1. November 2006 mit zwei Landsmänne­rn im Londoner Luxushotel Millennium und trinkt eine Tasse grünen Tee. Kurz darauf leidet er unter einer rätselhaft­en Krankheit, kommt in eine Klinik, die Ärzte in der Hauptstadt versuchen, die Ursache für seinen täglich schlechter werdenden Zustand herauszufi­nden. Erst spät, zu spät, wissen sie, dass Alexander Litwinenko mit radioaktiv­em Polonium 210 vergiftet wurde.

Der 43-jährige Regierungs­kritiker, der ab 2003 für den britischen Auslandsge­heimdienst MI6 arbeitete, ist sich dagegen von Anfang an sicher, dass er einem Giftanschl­ag zum Opfer gefallen ist. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die russischen Geheimdien­ste verantwort­lich sind“, wies der Ex-Sowjet-Agent vom Krankenbet­t aus die Schuld für seine Ermordung dem Kreml und insbesonde­re Putin zu. Das Bild von Litwinenko, abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen, ging um die Welt. Kurz darauf stirbt er.

Tötete Moskau wirklich einen Kritiker? Der gestern veröffentl­ichte Untersuchu­ngsbericht deutet das an. Einen Hinweis gebe das eingesetzt­e Polonium, heißt es. Da die teure Substanz aus einem Atomreakto­r stamme, liege der Schluss nahe, dass es im Namen einer staatliche­n Instanz und nicht etwa einer kriminelle­n Organisati­on verabreich­t wurde.

Nach dem Tod Litwinenko­s hatte London bereits vier russische Diplomaten des Landes verwiesen. Viele Briten forderten gestern einen harten Kurs gegenüber Putin.

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Archivfoto: dpa Ex-Spion Alexander Litwinenko machte sich mächtige Feinde durch seine Flucht nach London.

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