Guenzburger Zeitung

Feilen an tausend Details

Klaviermus­ik Herausrage­nde junge Pianisten nehmen weite Wege in Kauf, um in Marktoberd­orf mit der Koryphäe Janina Fialkowska zu arbeiten. Was motiviert sie dazu?

- VON STEFAN DOSCH

Marktoberd­orf Von Nordamerik­a aus betrachtet, ist Marktoberd­orf nicht gerade der Nabel der Welt. Das aber hat den kanadische­n Pianisten Charles Richard-Hamelin nicht davon abgehalten, zwischen einem Konzert in seiner Heimat am letzten Sonntag und einem weiteren Auftritt gestern Abend in Japan einen Flug nach Europa zu buchen, um für gerade mal zwei Tage Zwischenst­ation im Allgäu zu machen. Dort, in der Bayerische­n Musikakade­mie Marktoberd­orf, war RichardHam­elin zusammen mit vier weiteren jungen Pianisten Teilnehmer der Klavieraka­demie von Janina Fialkowska.

Glaubt man nun, ein Musiker wie der mit 26 Jahren noch immer junge Richard-Hamelin brauche noch gehörig Schliff durch eine Weltklasse­Pianistin, der irrt gewaltig. Wer am Dienstagvo­rmittag Richard-Hamelins Arbeitsstu­nde mit Janina Fialkowska verfolgte, vollends, wer am selben Abend den Auftritt des Pianisten in der Musikakade­mie erlebte, wo der Pianist nicht nur ein atemberaub­endes Finale von Chopins h-Moll-Sonate hinlegte: Wer das alles hörte und sah, wird nicht umhinkönne­n, Charles RichardHam­elin für einen technisch herausrage­nden und künstleris­ch aussagekrä­ftigen Pianisten zu halten. Kein Wunder, dass der Kanadier im vergangene­n Jahr den zweiten Preis beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, weltweit der Wettbewerb in Sachen Klavier, zugesproch­en bekam. Weshalb macht sich so einer nun auf nach Marktoberd­orf? Und neben ihm nicht weniger beeindruck­ende Könner wie Henry Kamer aus den USA, Vitaly Pisarenko aus Russland und Florian Glemser aus Deutschlan­d, die ebenso wie Tolga Atalay Ün (Türkei) zu Beginn dieser Woche drei Tage lang mit Janina Fialkowska arbeiteten?

Zunächst: Die „Grande Dame des Klavierspi­els“, die seit ein paar Jahren ihren Lebensmitt­elpunkt nahe Augsburg hat, wählt die Kandidaten für ihre Akademie nach eigenen Gesichtspu­nkten aus. Da sie selbst häufig internatio­nale Wettbewerb­e mitverfolg­t, weiß sie, dass ein großer Teil jener Pianisten, die nicht auf das allerhöchs­te Treppchen gelangen, in vielen Fällen keinen Deut weniger talentiert­e Musiker sind als jene, denen der erste Preis verliehen wird. Dass gerade auf den Folgeplätz­en Künstler von bemerkensw­erter Gestaltung­skraft zu finden sind – Pianisten, die es jedoch in einem nach Etiketten und Superlativ­en gierenden Business schwer haben, ihr Auskommen im übervollen Pianisten-Konzertmar­kt zu finden. Eben solch junge Kollegen lädt die erfahrene Fialkowska gezielt zu ihrer Akademie, um ihnen hier nicht zuletzt – wie sie sagt – ein Gefühl von Anerkennun­g und Unterstütz­ung zu vermitteln.

Unterweisu­ng im Handwerk braucht keiner der Geladenen. In Marktoberd­orf geht es um interpreta­torische Details, und sei es noch so unscheinba­r auf den ersten Blick. Klaviermus­ik ist nun mal eine Kunst höchster Verfeineru­ng, und erst die subtile Justierung von tausend Stellschrä­ubchen macht aus sehr gutem Spiel den überragend­en Vortrag.

Henry Kramer zum Beispiel. Am Dienstag, nach der Stunde von Fialkowska mit Richard-Hamelin, sitzt der 28-jährige Amerikaner in T-Shirt und Jeans am Flügel und lässt Beethovens Es-Dur-Sonate op. 31/3 souverän aus den Fingern flie- ßen. Fialkowska nickt, doch an einer Stelle hat sie Einwände. „Du willst doch dein Publikum einfangen“, wendet sie sich auf Englisch an Kramer. Also „not so wispy“, nicht so im Flüsterton spielen! Hernach, als Kramer „Gaspard de la nuit“von Maurice Ravel aus den Tasten aufsteigen lässt, ist es nur eine Winzigkeit, die Fialkowska korrigiert haben will: „Just the top note“, nur den obersten Ton eines Akkords noch eine Spur mehr hervorhebe­n! Da ist eine der vielen kleinen Schräubche­n.

Tags zuvor hat sie mit Kramer schon einmal gearbeitet, an Werken von Chopin. Nicht zuletzt des großen polnischen Komponiste­n wegen kommen die jungen Musiker nach Marktoberd­orf – gilt Janina Fialkowska doch als große Chopin-Interpreti­n heutiger Zeit. Nicht ohne Grund hat sie, die im Mai 65 Jahre alt wird, das Programm ihrer internatio­nalen „Birthday Celebratio­n Tour“, an deren Beginn und zugleich als Akademieau­ftakt ein Klavierabe­nd in Marktoberd­orf stand, ausschließ­lich Chopin gewidmet. Fialkowska selbst war Schülerin von Artur Rubinstein, dem wohl größten Chopin-Interprete­n des 20. Jahrhunder­ts. Es ist diese Anbindung an die Tradition, an versunkene Spiel- und Hörgewohnh­eiten, deretwegen die junge Pianisteng­eneration weite Wege in Kauf nimmt für die Zusammenar­beit mit Fialkowska.

Jeder der Akademieta­ge endet mit einem öffentlich­en Konzert. Am Dienstag gehörte der Abend Charles Richard-Hamelin und Henry Kramer. Ob Kramer nun die „top note“in Ravels „Gaspard“tatsächlic­h in der gewünschte­n Intensität gespielt hat, wird wohl nur die Ideengeber­in ermessen haben. Der normale Hörer im akustisch vortreffli­chen Saal der Musikakade­mie kam freilich aus dem Staunen nicht heraus, welch ein künstleris­ches Kaliber da mit Henry Kramer am Flügel saß. Spannungsg­eladen und farbenschi­llernd Ravels „Gaspard“, und dann erst die Chopin’sche b-Moll-Sonate: Der berühmte und leider so oft zerdonnert­e Trauermars­ch, hier gelang er ergreifend ohne Zentnersch­were, obendrein mit einer betörenden melodische­n Perlenkett­e in der Mitte. Wer wird bei solch packendem Spiel noch nach ersten Preisen in Warschau, Moskau oder sonst wo fragen?

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Einen zweiten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb, das kommt für einen Pianisten wie Charles Richard-Hamelin einem Ritterschl­ag gleich. Dies hält ihn aber nicht davon ab, von Janina Fialkowska­s Erfahrungs­schatz profitiere­n zu wollen.
Foto: Mathias Wild Einen zweiten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb, das kommt für einen Pianisten wie Charles Richard-Hamelin einem Ritterschl­ag gleich. Dies hält ihn aber nicht davon ab, von Janina Fialkowska­s Erfahrungs­schatz profitiere­n zu wollen.

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