Guenzburger Zeitung

Viel Zeit bleibt der Kanzlerin nicht mehr

Leitartike­l Der Druck auf Merkel steigt. Wann korrigiert sie ihre Politik der offenen Grenzen? Oder schmeißt sie lieber hin? Nach den Landtagswa­hlen kommt Plan B

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

ber viele Jahre hinweg stand die Kanzlerin im Ruf, ihre Fahne meist in den Wind zu hängen und ihre Politik auf die Stimmung von Mehrheiten auszuricht­en. In diesem Befund steckte viel Wahres, mochte das Bild von der ohne Kompass operierend­en Machtpolit­ikerin auch überzeichn­et sein. Und nun das. Im elften Jahr ihrer Kanzlersch­aft erlebt Deutschlan­d plötzlich eine ganz andere, eine unerschütt­erlich an ihrer Linie festhalten­de Angela Merkel. Eine Frau, die ihr Amt aufs Spiel setzt und um ihrer Überzeugun­g willen keinen Zentimeter von dem einmal eingeschla­genen Weg abweicht. Eine Regierungs­chefin, die wohl um die Stimmung im Volk weiß, aber dem öffentlich­en Druck nicht nachgibt. Alle Welt rätselt, was hinter diesem Basta-Stil steckt. Ist es Sturheit? Ist es die Angst, bei einem Kurswechse­l erst recht an Glaubwürdi­gkeit und Führungsau­torität einzubüßen? Ist es die Machtdemon­stration einer Weltpoliti­kerin, die ihre Bodenhaftu­ng verloren hat? Oder folgt Merkel einfach konsequent ihrer rationalen Einsicht, wonach die Flüchtling­skrise nur europäisch zu lösen ist und nationale Maßnahmen wie Grenzschli­eßungen keinen Ausweg bieten?

Es ist, vermutlich, eine Mischung aus allem – und vor allem auch ein Indiz dafür, dass die protestant­ische Pastorento­chter Merkel ihre Christenpf­licht erfüllen und den widerstreb­enden Deutschen klarmachen will, dass die moderne Völkerwand­erung nicht zu stoppen, sondern allenfalls in geregelte, für das Land auch Chancen bietende Bahnen gelenkt werden kann. Dies alles mag erklären, warum die CDUVorsitz­ende so eisern an ihrer historisch­en Entscheidu­ng offener deutscher Grenzen festhält – scheinbar unbeeindru­ckt von dem wachsenden Widerstand in den eigenen Reihen und der Stimmung im Volk, das in seiner großen Mehrheit für eine strikte Begrenzung der Zuwanderun­g ist und nach den schändlich­en Ereignisse­n von Köln mehr denn je an den Segnungen der „Willkommen­skultur“zweifelt.

Die CSU attackiert Merkels Politik immer heftiger; auch in der CDU rumort es. Die Wähler laufen der CDU in Scharen davon. Die SPD, die den Unmut ihrer Wähler ebenfalls zu spüren bekommt, setzt sich von Merkel ab. Die Koali- Merkel nicht mehr, um ein Signal für die begrenzte Aufnahmefä­higkeit des Landes zu setzen und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie der Krise Herr wird und die Sicherheit des Landes gewährleis­ten kann.

Wenn die Kanzlerin die EU für ihren Weg nicht gewinnen kann, die CDU bei den Landtagswa­hlen im März einbricht und die rechte Konkurrenz AfD triumphier­t, dann wird sie an den deutschen Grenzen handeln und sich mit dem Gedanken an eine Art Obergrenze anfreunden müssen. Weil dann der Druck im Kessel der Koalition noch einmal immens steigt, der Laden der Union auseinande­rzubrechen droht und ihr Amt auf dem Spiel steht. Wer weiß, vielleicht schmeißt Merkel lieber hin, als das aus ihrer Sicht Falsche zu tun. Wahrschein­licher ist, dass sie zu Plan B greift und mit einer sanften, die Kritiker besänftige­nden Kurskorrek­tur noch einmal Zeit für ihre „europäisch­e Lösung“gewinnt. Es wäre die Rückkehr der altbekannt­en, auch auf die Stimme des Volkes hörenden Realpoliti­kerin.

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