Wer sticht wen?
Baden-Württemberg Winfried Kretschmann (Grüne) oder Guido Wolf (CDU): Die Kontrahenten im Landtagswahlkampf müssen ihre Karten bei der Partnerwerbung ausspielen. Denn nach dem Erstarken der AfD reicht es wohl weder für Grün-Rot noch für Schwarz-Gelb
Stuttgart Der dramatische Beginn passt zur Szenerie und zur politischen Lage. Unter lauten Fanfarenklängen aus dem Filmklassiker Star Wars betreten Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann und sein CDU-Herausforderer Guido Wolf die Bühne des Stuttgarter Theaterhauses. Blutrot leuchtet der Schriftzug „Das Duell“. Es ist der zweite direkte Schlagabtausch der beiden aussichtsreichen Spitzenkandidaten für die baden-württembergische Landtagswahl am 13. März. Im Theatersaal geht es hoch her. Beide haben ihre Fanklubs dabei, die selbst Nebensätze ihres Favoriten mit frenetischem Applaus beklatschen. Der Wahlkampf im Südwesten hat in dieser Woche stark Fahrt aufgenommen.
Kretschmann gibt den Landesvater. Der 67-Jährige sucht den Schulterschluss mit den Baden-Württembergern. „Wir sind einfach spitze“, ruft er in den ausverkauften Saal und erntet tobenden Applaus. Und weiter: „So ein Land regiert man einfach gerne.“Bei Kretschmann sind solche Sätze Kult. Er kommt an bei den Leuten. In den fünf Jahren seit dem Machtwechsel hat er es zu höchsten Zustimmungswerten gebracht. „Spektakuläre 44 Prozentpunkte trennen Amtsinhaber und Herausforderer“, schreibt Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen im neuen Politbarometer. 64 Prozent der Wahlberechtigten wollen lieber Kretschmann als künftigen Ministerpräsidenten, nur 20 Prozent Guido Wolf. Selbst bei den CDU-Anhängern hat der Grüne leicht die Nase vor dem eigenen Mann.
Solche Tiefschläge müssen erst einmal verdaut werden. Wolf lässt sich nichts anmerken. Im direkten Duell versucht er, mit scharfen Attacken auf die grün-rote Landesregierung zu punkten. Er spricht von „Chaos in der Bildungspolitik“und „Untätigkeit in der Flüchtlingskrise“. Immer wieder stellt er Bayern als Vorbild hin, bei der Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Asylbewerber zum Beispiel oder in der Wirtschaftspolitik. Kretschmann fordert vom Wortführer der Opposition eigene Konzepte: „Ich wüsste gern, wie er dieses großartige Land voranbringen will.“Der Amtsinhaber ist langsam in den Wahlkampfmodus gekommen. Inzwischen präsentiert er sich deutlich schlagfertiger und angriffslustiger.
Er sehe manchmal müde aus, muss sich der 67-jährige Kretschmann vom Moderator fragen lassen. „Ich bin zwar öfter müde, aber amtsmüde bin ich in keiner Weise“, betont der kämpferisch. Im Falle eines Wahlsieges werde er die „vollen fünf Jahre regieren, sofern mir Gott eine gute Gesundheit gibt“. Wolf muss dann Auskunft zu seinem Pri- vatleben geben, weil seine Frau sich auf der landespolitischen Bühne rar macht. Seine Frau sei eine selbstständige Unternehmerin. Sie wolle im Falle seines Wahlsieges weiter arbeiten. „Ich erwarte nicht, dass sie ihren eigenen Lebensweg aufgibt, um an meiner Seite zu sein“, sagt er.
Ob sich die Frage nach dem 13. März überhaupt stellt, ist im Moment völlig offen. Die Demoskopen können keine Wechselstimmung ausmachen. Die Bürger sind zufrieden mit ihrer Regierung. Die 1,2 auf der Skala von +5 bis -5 stuft Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen als „guten Wert“ein. Dieses Niveau hätten im Südwesten früher die CDU-Regierungen gehabt. Und doch reicht es nach aktuellen Umfragen für Grüne und SPD nicht zur Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit. 43 Prozent bringen beide Parteien zusammen auf die Waage, CDU und FDP erreichen sogar nur 40 Prozent. Das Aufkommen der rechtspopulistischen AfD, die zweistellige Umfragewerte erreicht, verhindert die Wunschkoalitionen auf beiden Seiten.
Der CDU-Spitzenkandidat hat für baden-württembergische Verhältnisse ein bescheidenes Wahlziel formuliert: „Ich möchte erreichen, dass gegen die CDU keine Regie- rung gebildet werden kann.“Tatsächlich sah es lange Zeit so aus, als kämen die Christdemokraten im Schlafwagen zurück an die Macht, die sie 2011 nach 58 Jahren verloren hatten. Aktuell reicht es nicht einmal mehr gemeinsam mit der FDP. Und die blinkt längst auch in Richtung Ampelkoalition mit Grünen und Roten. „Ich schließe nichts aus“, betont ihr Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke. Bei der CDU überlegen sie seither fieberhaft, wie sie die Liberalen binden könnten. Rechnerisch möglich wäre – wenn auch knapp – Schwarz-Rot und mit satter Mehrheit Schwarz-Grün. Wolf macht beiden Parteien immer wieder versteckte Avancen.
Wolf sitzt in der Flüchtlingspoli-
Der 13. März ist für die Berliner Parteien eine wichtige Standortbestimmung zur Bundestagswahl im Herbst 2017. Gewählt werden an diesem Tag die Landtage in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für die heiße Phase des Wahlkampfs acht Auftritte im Südwes- tik in der Zwickmühle. Selbst CDUStammwähler kündigen offen an, dass sie diesmal rechts wählen, berichten Kandidaten aus dem Wahlkampf. Trotzdem geht der Spitzenkandidat nicht auf Gegenkurs zu Kanzlerin Angela Merkel. Die plant acht Auftritte für Wolf. Nicht einmal die Forderung nach einer Obergrenze übernimmt der Spitzenkandidat von dem ansonsten gerne ins Feld geführten CSU-Chef Horst Seehofer. Der Schwabe mit der markanten Brille bleibt im Allgemeinen: „Die Menschen erwarten eine effiziente Reduzierung der Flüchtlingsströme.“
Nutznießer sind die Grünen. Ihnen wird beim mit Abstand wichtigsten Thema inzwischen mehr zu- getraut als der CDU. „Die BadenWürttemberger sprechen den Grünen in der Flüchtlingspolitik eine starke Kompetenz zu“, erklärt Andrea Wolf von der Forschungsgruppe. Entscheidend dafür sei Kretschmann als Person. Der lobt zwar immer noch Merkels Fähigkeiten als Krisenmanagerin, hat aber nach den Silvesterübergriffen in Köln und Stuttgart die Gangart gegen Flüchtlinge deutlich verschärft. „Wer straffällig geworden ist, hat sein Bleiberecht verwirkt“, kündigte der Grüne an. Dass die Berliner Parteifreunde einen liberalen Kurs in der Flüchtlingspolitik fahren, schadet anscheinend nicht. „Kretschmann ist da der Frontmann der Grünen“, erklärt Demoskopin Wolf.
Gleich von zwei Seiten stehen die Sozialdemokraten unter Druck. Wie die CDU werden sie für die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition in Berlin abgestraft. Und zu Hause in Baden-Württemberg überstrahlt Kretschmann SPD-Spitzenmann Nils Schmid. Die durchaus vorhandenen Erfolge der SPD-Minister werden der Partei nicht gutgeschrieben. Auf 15 Prozent ist die Südwest-SPD in den letzten Umfragen abgestürzt und liegt damit nicht mehr weit vor der AfD.
„Die gute Arbeit nutzt vor allem dem Regierungschef“, fügt sich der 42-Jährige scheinbar in sein Schicksal. Durch die Flüchtlingsdebatte sei seine Partei in eine „schwierige Situation“gekommen. Der Finanzund Wirtschaftsminister geht scheinbar ungerührt seinen Amtsgeschäften nach. Zusammen mit dem SPD-Senior Peer Steinbrück hört er sich in einer Stuttgarter Stadtvilla die Erfolgsgeschichte einer Filmfirma an. Die Kreativen klagen, dass sie bis vor kurzem ihre Werke auf Festplatten in der S-Bahn zur Bearbeitung am Hochleistungsrechner der Uni Stuttgart bringen mussten. Kretschmann heimst derweil Applaus für die Behauptung ein, beim schnellen Internet habe man Bayern abgehängt.
Vor dem Landesparteitag an diesem Samstag herrscht bei der SPD Krisenstimmung. Viele der 35 Landtagsabgeordneten fürchten um ihre politische Existenz, wenn ihre Partei tatsächlich so weit abstürzt, wie es die Demoskopen im Moment prognostizieren. Erste Risse tun sich in der demonstrierten Geschlossenheit auf. Kultusminister Andreas Stoch, der in der Partei als Hoffnungsträger gilt, geht schon auf Distanz zu der von Schmid ausgerufenen Blockade der AfD. Schmid rechtfertigt seine umstrittene Linie: „Man muss einen Damm gegen die Rechtsextremen errichten.“
Der Umgang mit der Konkurrenz am rechten Rand ist zu einem Politikum geworden. Auch Kretschmann plädiert für einen Boykott und hat gemeinsam mit Schmid beim Südwestrundfunk durchgesetzt, dass AfD-Landeschef Jörg Meuthen nicht an der Diskussion der Spitzenkandidaten im Südwestrundfunk teilnehmen darf. Zur Besänftigung seiner Kritiker zitiert er aus dem Wahlprogramm der AfD, die Merkel vorwirft, sie locke mit ihrer Politik „hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland“. Für ihn ist der Text „nicht rechtspopulistisch, sondern rechtsextrem“. Wolf dagegen plädiert für die Konfrontation: „Wir müssen sie zwingen, ihr Gesicht zu zeigen.“
Am Schluss des Duells im Theaterhaus sollen die beiden Kontrahenten erklären, warum sie Ministerpräsident werden wollen. Wolf sagt, er trete an, „um Baden-Württemberg zu verändern“. Kretschmann spielt mit seinem Amtsbonus und formuliert doppelbödig: „Sie kennen mich und können sich ein Urteil bilden. Ich bitte Sie, das bei der Wahl in die Waagschale zu werfen.“Indirekt heißt das wohl, dass Wolf eher nicht bekannt ist.
Trotzdem würde der Herausforderer nur zu gerne noch öfter mit dem populären Amtsinhaber so auf Augenhöhe diskutieren. Mehr Aufmerksamkeit wird er selten bekommen. Sehr zu seinem Leidwesen sind aber bis zum 13. März keine weiteren Duelle mehr vorgesehen.