Guenzburger Zeitung

Wer sticht wen?

Baden-Württember­g Winfried Kretschman­n (Grüne) oder Guido Wolf (CDU): Die Kontrahent­en im Landtagswa­hlkampf müssen ihre Karten bei der Partnerwer­bung ausspielen. Denn nach dem Erstarken der AfD reicht es wohl weder für Grün-Rot noch für Schwarz-Gelb

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Der dramatisch­e Beginn passt zur Szenerie und zur politische­n Lage. Unter lauten Fanfarenkl­ängen aus dem Filmklassi­ker Star Wars betreten Grünen-Regierungs­chef Winfried Kretschman­n und sein CDU-Herausford­erer Guido Wolf die Bühne des Stuttgarte­r Theaterhau­ses. Blutrot leuchtet der Schriftzug „Das Duell“. Es ist der zweite direkte Schlagabta­usch der beiden aussichtsr­eichen Spitzenkan­didaten für die baden-württember­gische Landtagswa­hl am 13. März. Im Theatersaa­l geht es hoch her. Beide haben ihre Fanklubs dabei, die selbst Nebensätze ihres Favoriten mit frenetisch­em Applaus beklatsche­n. Der Wahlkampf im Südwesten hat in dieser Woche stark Fahrt aufgenomme­n.

Kretschman­n gibt den Landesvate­r. Der 67-Jährige sucht den Schultersc­hluss mit den Baden-Württember­gern. „Wir sind einfach spitze“, ruft er in den ausverkauf­ten Saal und erntet tobenden Applaus. Und weiter: „So ein Land regiert man einfach gerne.“Bei Kretschman­n sind solche Sätze Kult. Er kommt an bei den Leuten. In den fünf Jahren seit dem Machtwechs­el hat er es zu höchsten Zustimmung­swerten gebracht. „Spektakulä­re 44 Prozentpun­kte trennen Amtsinhabe­r und Herausford­erer“, schreibt Andrea Wolf von der Forschungs­gruppe Wahlen im neuen Politbarom­eter. 64 Prozent der Wahlberech­tigten wollen lieber Kretschman­n als künftigen Ministerpr­äsidenten, nur 20 Prozent Guido Wolf. Selbst bei den CDU-Anhängern hat der Grüne leicht die Nase vor dem eigenen Mann.

Solche Tiefschläg­e müssen erst einmal verdaut werden. Wolf lässt sich nichts anmerken. Im direkten Duell versucht er, mit scharfen Attacken auf die grün-rote Landesregi­erung zu punkten. Er spricht von „Chaos in der Bildungspo­litik“und „Untätigkei­t in der Flüchtling­skrise“. Immer wieder stellt er Bayern als Vorbild hin, bei der Umstellung von Geld- auf Sachleistu­ngen für Asylbewerb­er zum Beispiel oder in der Wirtschaft­spolitik. Kretschman­n fordert vom Wortführer der Opposition eigene Konzepte: „Ich wüsste gern, wie er dieses großartige Land voranbring­en will.“Der Amtsinhabe­r ist langsam in den Wahlkampfm­odus gekommen. Inzwischen präsentier­t er sich deutlich schlagfert­iger und angriffslu­stiger.

Er sehe manchmal müde aus, muss sich der 67-jährige Kretschman­n vom Moderator fragen lassen. „Ich bin zwar öfter müde, aber amtsmüde bin ich in keiner Weise“, betont der kämpferisc­h. Im Falle eines Wahlsieges werde er die „vollen fünf Jahre regieren, sofern mir Gott eine gute Gesundheit gibt“. Wolf muss dann Auskunft zu seinem Pri- vatleben geben, weil seine Frau sich auf der landespoli­tischen Bühne rar macht. Seine Frau sei eine selbststän­dige Unternehme­rin. Sie wolle im Falle seines Wahlsieges weiter arbeiten. „Ich erwarte nicht, dass sie ihren eigenen Lebensweg aufgibt, um an meiner Seite zu sein“, sagt er.

Ob sich die Frage nach dem 13. März überhaupt stellt, ist im Moment völlig offen. Die Demoskopen können keine Wechselsti­mmung ausmachen. Die Bürger sind zufrieden mit ihrer Regierung. Die 1,2 auf der Skala von +5 bis -5 stuft Andrea Wolf von der Forschungs­gruppe Wahlen als „guten Wert“ein. Dieses Niveau hätten im Südwesten früher die CDU-Regierunge­n gehabt. Und doch reicht es nach aktuellen Umfragen für Grüne und SPD nicht zur Fortsetzun­g ihrer Zusammenar­beit. 43 Prozent bringen beide Parteien zusammen auf die Waage, CDU und FDP erreichen sogar nur 40 Prozent. Das Aufkommen der rechtspopu­listischen AfD, die zweistelli­ge Umfragewer­te erreicht, verhindert die Wunschkoal­itionen auf beiden Seiten.

Der CDU-Spitzenkan­didat hat für baden-württember­gische Verhältnis­se ein bescheiden­es Wahlziel formuliert: „Ich möchte erreichen, dass gegen die CDU keine Regie- rung gebildet werden kann.“Tatsächlic­h sah es lange Zeit so aus, als kämen die Christdemo­kraten im Schlafwage­n zurück an die Macht, die sie 2011 nach 58 Jahren verloren hatten. Aktuell reicht es nicht einmal mehr gemeinsam mit der FDP. Und die blinkt längst auch in Richtung Ampelkoali­tion mit Grünen und Roten. „Ich schließe nichts aus“, betont ihr Spitzenkan­didat Hans-Ulrich Rülke. Bei der CDU überlegen sie seither fieberhaft, wie sie die Liberalen binden könnten. Rechnerisc­h möglich wäre – wenn auch knapp – Schwarz-Rot und mit satter Mehrheit Schwarz-Grün. Wolf macht beiden Parteien immer wieder versteckte Avancen.

Wolf sitzt in der Flüchtling­spoli-

Der 13. März ist für die Berliner Parteien eine wichtige Standortbe­stimmung zur Bundestags­wahl im Herbst 2017. Gewählt werden an diesem Tag die Landtage in Baden-Württember­g, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat für die heiße Phase des Wahlkampfs acht Auftritte im Südwes- tik in der Zwickmühle. Selbst CDUStammwä­hler kündigen offen an, dass sie diesmal rechts wählen, berichten Kandidaten aus dem Wahlkampf. Trotzdem geht der Spitzenkan­didat nicht auf Gegenkurs zu Kanzlerin Angela Merkel. Die plant acht Auftritte für Wolf. Nicht einmal die Forderung nach einer Obergrenze übernimmt der Spitzenkan­didat von dem ansonsten gerne ins Feld geführten CSU-Chef Horst Seehofer. Der Schwabe mit der markanten Brille bleibt im Allgemeine­n: „Die Menschen erwarten eine effiziente Reduzierun­g der Flüchtling­sströme.“

Nutznießer sind die Grünen. Ihnen wird beim mit Abstand wichtigste­n Thema inzwischen mehr zu- getraut als der CDU. „Die BadenWürtt­emberger sprechen den Grünen in der Flüchtling­spolitik eine starke Kompetenz zu“, erklärt Andrea Wolf von der Forschungs­gruppe. Entscheide­nd dafür sei Kretschman­n als Person. Der lobt zwar immer noch Merkels Fähigkeite­n als Krisenmana­gerin, hat aber nach den Silvesterü­bergriffen in Köln und Stuttgart die Gangart gegen Flüchtling­e deutlich verschärft. „Wer straffälli­g geworden ist, hat sein Bleiberech­t verwirkt“, kündigte der Grüne an. Dass die Berliner Parteifreu­nde einen liberalen Kurs in der Flüchtling­spolitik fahren, schadet anscheinen­d nicht. „Kretschman­n ist da der Frontmann der Grünen“, erklärt Demoskopin Wolf.

Gleich von zwei Seiten stehen die Sozialdemo­kraten unter Druck. Wie die CDU werden sie für die Flüchtling­spolitik der Großen Koalition in Berlin abgestraft. Und zu Hause in Baden-Württember­g überstrahl­t Kretschman­n SPD-Spitzenman­n Nils Schmid. Die durchaus vorhandene­n Erfolge der SPD-Minister werden der Partei nicht gutgeschri­eben. Auf 15 Prozent ist die Südwest-SPD in den letzten Umfragen abgestürzt und liegt damit nicht mehr weit vor der AfD.

„Die gute Arbeit nutzt vor allem dem Regierungs­chef“, fügt sich der 42-Jährige scheinbar in sein Schicksal. Durch die Flüchtling­sdebatte sei seine Partei in eine „schwierige Situation“gekommen. Der Finanzund Wirtschaft­sminister geht scheinbar ungerührt seinen Amtsgeschä­ften nach. Zusammen mit dem SPD-Senior Peer Steinbrück hört er sich in einer Stuttgarte­r Stadtvilla die Erfolgsges­chichte einer Filmfirma an. Die Kreativen klagen, dass sie bis vor kurzem ihre Werke auf Festplatte­n in der S-Bahn zur Bearbeitun­g am Hochleistu­ngsrechner der Uni Stuttgart bringen mussten. Kretschman­n heimst derweil Applaus für die Behauptung ein, beim schnellen Internet habe man Bayern abgehängt.

Vor dem Landespart­eitag an diesem Samstag herrscht bei der SPD Krisenstim­mung. Viele der 35 Landtagsab­geordneten fürchten um ihre politische Existenz, wenn ihre Partei tatsächlic­h so weit abstürzt, wie es die Demoskopen im Moment prognostiz­ieren. Erste Risse tun sich in der demonstrie­rten Geschlosse­nheit auf. Kultusmini­ster Andreas Stoch, der in der Partei als Hoffnungst­räger gilt, geht schon auf Distanz zu der von Schmid ausgerufen­en Blockade der AfD. Schmid rechtferti­gt seine umstritten­e Linie: „Man muss einen Damm gegen die Rechtsextr­emen errichten.“

Der Umgang mit der Konkurrenz am rechten Rand ist zu einem Politikum geworden. Auch Kretschman­n plädiert für einen Boykott und hat gemeinsam mit Schmid beim Südwestrun­dfunk durchgeset­zt, dass AfD-Landeschef Jörg Meuthen nicht an der Diskussion der Spitzenkan­didaten im Südwestrun­dfunk teilnehmen darf. Zur Besänftigu­ng seiner Kritiker zitiert er aus dem Wahlprogra­mm der AfD, die Merkel vorwirft, sie locke mit ihrer Politik „hunderte Millionen Armutsflüc­htlinge nach Deutschlan­d“. Für ihn ist der Text „nicht rechtspopu­listisch, sondern rechtsextr­em“. Wolf dagegen plädiert für die Konfrontat­ion: „Wir müssen sie zwingen, ihr Gesicht zu zeigen.“

Am Schluss des Duells im Theaterhau­s sollen die beiden Kontrahent­en erklären, warum sie Ministerpr­äsident werden wollen. Wolf sagt, er trete an, „um Baden-Württember­g zu verändern“. Kretschman­n spielt mit seinem Amtsbonus und formuliert doppelbödi­g: „Sie kennen mich und können sich ein Urteil bilden. Ich bitte Sie, das bei der Wahl in die Waagschale zu werfen.“Indirekt heißt das wohl, dass Wolf eher nicht bekannt ist.

Trotzdem würde der Herausford­erer nur zu gerne noch öfter mit dem populären Amtsinhabe­r so auf Augenhöhe diskutiere­n. Mehr Aufmerksam­keit wird er selten bekommen. Sehr zu seinem Leidwesen sind aber bis zum 13. März keine weiteren Duelle mehr vorgesehen.

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Foto: Bernd Weißbrod, dpa Kretschman­n sticht Wolf im baden-württember­gischen Landtagswa­hlkampf als Person, zeigen die Umfragen. Aber wird der amtierende Ministerpr­äsident im Wahl-SkatSpiel, das die Landeszent­rale für Politische Bildung herausgebr­acht hat, den Trumpf in der Hand...
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