Guenzburger Zeitung

Mit ihr oder ohne sie?

Koalition Horst Seehofer hat geschafft, was Angela Merkel vermeiden wollte: Der Streit über die Flüchtling­spolitik bekommt eine sehr persönlich­e Note. Auch das R-Wort wabert bereits durch Berlin. R wie Rücktritt

- VON RUDI WAIS

Berlin Gerhard Schröder wusste, wovon er sprach. „Im Grunde ist man sehr allein in dem Amt“, sagte ihr Vorgänger, als er schon nicht mehr Kanzler war. Angela Merkel dürfte sich im Moment ähnlich fühlen. Die CSU auf den Barrikaden, die Umfragewer­te auf Talfahrt, die europäisch­en Partner auf Tauchstati­on – und dann wabern da plötzlich zwei R-Worte durchs Regierungs­viertel, die auch eine Großmeiste­rin der Gelassenhe­it wie sie alarmieren müssen. R wie Regierungs­krise. Ja, mehr noch: R wie Rücktritt.

Den fordert bisher zwar nur der Landrat des Landkreise­s Augsburg. Am Ende einer Woche jedoch, wie sie sie in zehn Kanzlerinn­enjahren vermutlich noch nicht erlebt hat, ist genau das passiert, was Angela Merkel vermeiden wollte: Die CSU hat eine politische Sachfrage, den Umgang mit der Flüchtling­skrise, mit einer sehr persönlich­en Frage verknüpft: „Wir wollen mit dir eine Lösung“, hat Horst Seehofer zu ihr gesagt – und dann hintersinn­ig hinzugefüg­t: „Die Betonung liegt aber auf: Wir wollen eine Lösung.“Im Umkehrschl­uss hieße das: Notfalls eben auch ohne dich. Ein Landtagsab­geordneter formuliert es in Kreuth noch drastische­r: „Wenn es nicht in absehbarer Zeit eine andere Flüchtling­spolitik gibt, dann gibt es bald eine andere Kanzlerin.“

So weit wird es so schnell kaum kommen, weil zu einem Sturz nicht nur einer gehört, der gestürzt wird, sondern auch einer, der den Mut, das intrigante Potenzial und ein hinreichen­d großes Heer an Unterstütz­ern hat, um den Aufstand anzuzettel­n. Die Sorge, wie es weitergehe­n soll in Deutschlan­d, in der Union und damit auch in der Großen Koalition, reicht inzwischen jedoch bis weit in die Sozialdemo­kratie hinein, die mit dem Kurs der Kanzlerin bisher weniger Probleme hatte als die CSU und große Teile der CDU.

Ein Mann mit Einfluss in der SPD vergleicht Angela Merkels Lage mit den zu Ende gehenden Amtszeiten von Gerhard Schröder und Helmut Schmidt. Beide, sagt er, hätten in diesen Phasen offen gegen die eigene Partei agiert, Schmidt mit seinem beherzten Eintreten für eine weitere Aufrüstung der Nato im Kalten Krieg, Schröder mit seinen umstritten­en Sozialrefo­rmen. „Wir in der SPD kennen solche Situatione­n, für die Union aber ist das völlig neu.“Nach dieser Logik ist die Flüchtling­skrise gewisserma­ßen die Agenda 2010 von Angela Merkel: Ein Konflikt, in dem sie persönlich eigentlich nur noch verlieren kann.

Vermutlich ist es kein Zufall, dass SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann und der frühere Innenminis­ter Hans-Peter Friedrich von der CSU fast zeitgleich von einer Regierungs­krise sprechen, der eine von einer drohenden, der andere von ei- ner bereits bestehende­n. Einer von Angela Merkels Ministern sagt, die Dinge liefen allmählich „aus dem Ruder“– und auch Seehofer, dessen Partei der Kanzlerin die Ultimaten inzwischen im Tagestakt stellt, sieht die Koalition in einer „ernsten Lage“. Nur sie selbst, so scheint es, will das nicht wahrhaben, zumindest nicht öffentlich. „Die Bundesregi­erung ist voll funktionsf­ähig“, lässt die Kanzlerin eine Regierungs­sprecherin am Freitag ausrichten. Ihr persönlich­es Verhältnis zu Seehofer ist danach ebenfalls weit weniger ramponiert, als der CSU-Chef behauptet: „Von einer Vertrauens­störung kann ich vonseiten der Bundeskanz­lerin nicht berichten.“

Sogar notorische Merkel-Kritiker wie der Wirtschaft­sexperte Michael Fuchs nehmen ihre Parteivors­itzende in Schutz, als säßen die gefährlich­sten Gegner nicht in der Opposition oder bei der Alternativ­e für Deutschlan­d, sondern in der Schwesterp­artei: „Angela Merkel macht nach wie vor einen sehr guten Job, sie hat nach wie vor die Sache im Wesentlich­en im Griff.“Wohlgemerk­t: Im Wesentlich­en. Diese kleine Einschränk­ung kann Fuchs sich dann doch nicht verkneifen.

Ob sie den berühmten Plan B schon hat, falls Europa sich nicht auf eine fairere Verteilung der Flüchtling­e einigen kann: Wenn überhaupt, dann deutet die Kanzlerin nur in Halbsätzen an, dass sie irgendwann vielleicht doch die Grenzen schließen muss, weil es anders nicht mehr geht. Mit den deutschtür­kischen Konsultati­onen, dem EU-Gipfel im Februar und der internatio­nalen Geberkonfe­renz in London habe sie jetzt drei wichtige Treffen vor sich, hat sie in Kreuth gesagt. „Danach können wir eine Zwischenbi­lanz ziehen, dann eine weitere Zwischenbi­lanz und dann sehen, wo wir stehen.“Ist das, womöglich, schon die Andeutung eines Kurswechse­ls? Es wäre nicht das erste Mal, dass Angela Merkel eine wichtige Botschaft so gut versteckt, dass sie gar niemand bemerkt.

 ?? Foto: Sean Gallup, Getty ?? Eine Woche, wie Angela Merkel sie vermutlich noch nicht erlebt hat: Die eigene Schwesterp­artei fragt sich, ob es einen Kurswechse­l in der Flüchtling­spolitik womöglich nur mit einer neuen Kanzlerin gibt.
Foto: Sean Gallup, Getty Eine Woche, wie Angela Merkel sie vermutlich noch nicht erlebt hat: Die eigene Schwesterp­artei fragt sich, ob es einen Kurswechse­l in der Flüchtling­spolitik womöglich nur mit einer neuen Kanzlerin gibt.
 ??  ?? Manuela Schwesig
Manuela Schwesig

Newspapers in German

Newspapers from Germany