Guenzburger Zeitung

Das afrikanisc­he Bayern

Spurensuch­e Togo war drei Jahrzehnte eine deutsche Kolonie – und später ein Land ganz nach dem Geschmack von Franz Josef Strauß. Noch heute haben Restaurant­s dort Leberkäs, Schweinsbr­aten und Weißwürste auf der Speisekart­e

- VON RUDI WAIS

Lomé Franz Josef Strauß war ein Mann mit zweifelhaf­ten Freunden, und unter ihnen war Gnassingbé Eyadéma der vielleicht zweifelhaf­teste. Durch einen Militärput­sch in Togo an die Macht gekommen, regierte der Sohn eines Bauern die frühere deutsche Kolonie fast 40 Jahre mit eiserner Hand. Dessen Kumpel Strauß allerdings focht das nicht an. „Wir Schwarzen müssen zusammenha­lten“, kalauerte der gerne. Sein Faible für das kleine westafrika­nische Land, in dem er mit Freunden gerne Antilopen jagen ging, erklärte er bei einem Besuch im Mai 1983 so: „Togo hat die Größe von Bayern – und Bayern ist auch ein Universum für sich selbst.“

Damals übernachte­te der Ministerpr­äsident aus München im ehemaligen deutschen Gouverneur­spalast in der Hauptstadt Lomé, einem Prachtbau mit Meerblick, in einem weitläufig­en Park gelegen und einst ein Symbol für die Macht und den Wohlstand der deutschen Kolonialhe­rren, die hier von 1884 bis 1914 herrschten.

Sonja Lawson, eine junge Togoerin, die in der Schule Deutsch gelernt hat, hat ein paar Bilder aus dieser Zeit mitgebrach­t. Sie zeigen ein prachtvoll­es Gebäude, das nach dem Ende der Eyadéma-Diktatur allerdings bald verfiel, vor dem Bäume und Sträucher die Veranda überwucher­ten und das alles in allem fast 20 Jahre leer stand. In einer Ecke liegt ein altes Brett auf dem Boden, auf dem sich mit etwas Mühe noch das Wort „Ausfuhrgut“entziffern lässt – ein Teil einer alten Seekiste. Enthielt sie Möbel? Porzellan? Bettzeug? Niemand weiß es.

Im Moment wird die Residenz zu einem Kulturzent­rum umgebaut, in dem so viel wie möglich von dem erhalten bleiben soll, was die Deutschen hier hinterlass­en haben. Das schmiedeei­serne Treppengel­änder aus dem 19. Jahrhunder­t hat Projektlei­terin Lawson bereits reinigen und restaurier­en lassen, sie überlegt sogar, eine Kopie des Reichsadle­rs wieder über dem Eingang anzubringe­n. „Die Kolonialze­it ist unser gemeinsame­s Erbe“, sagt sie. „Das verbindet uns.“So unzugängli­ch das Haus früher war, so offen will sie es nun führen – mit Ausstellun­gen, einer Buchhandlu­ng und einem kleinen afrikanisc­hen Restaurant. Es ist schließlic­h ein Gebäude mit Geschichte: Helmut Schmidt ist hier schon abgestiege­n und auch der frühere Bundespräs­ident Heinrich Lübke. Um dem Diktator Eyadéma nicht die Hand geben zu müssen, täuschte er eine Verletzung vor und ließ sich einen Verband anlegen.

Obwohl auch die Deutschen ihre einstige Musterkolo­nie regelrecht ausplünder­ten, sind aus dieser Zeit keine Narben geblieben. Nur die Reste der Landungsbr­ücke erinnern noch daran, dass die neuen Herren dort im großen Stil Baumwolle, Kautschuk, Erdnüsse und Kaffee auf eigens dafür gebauten Bahnlinien an die Küste transporti­erten und in die alte Heimat verschifft­en.

„Wir haben die deutsche Vergangenh­eit in Togo in ausgezeich­neter Erinnerung“, sagt Außenminis­ter Robert Dussey. Die meisten der deutschen Spuren allerdings, die sich heute in Togo noch finden, stammen nicht aus der Kaiserzeit wie der Gouverneur­spalast oder die von deutschen Missionare­n erbaute Kathedrale von Lomé, sondern aus den Strauß-Jahren, in denen CSUPolitik­er sich dort die berühmte Klinke in die Hand gaben und ein deutsch-togolesisc­her Freundscha­ftsverein nach dem anderen gegründet wurde. Aus einer Zeit, als Strauß bei seinen Besuchen mit Sprechchör­en wie ein Popstar gefeiert wurde: „Josef ist der Größte.“

Im Restaurant Alt-München an der Küstenstra­ße von Lomé servieren Kellner in weißen Hemden noch immer Schweinsbr­aten mit Sauerkraut, Bratwürste und Kartoffels­alat – zu Münchner Preisen, versteht sich. Es wird von einem DeutschFra­nzosen geführt, der das Lokal von seinem Vater übernommen hat. In einer Ecke steht ein bunt bemalter Bauernschr­ank, den der Legende nach Marianne Strauß höchstpers­önlich mit nach Togo gebracht haben soll. Nebenan, im Übernachtu­ngshaus der Seemannsmi­ssion, gibt es jeden Sonntag eine Schwarzwäl­der Kirschtort­e zum Kaffee, die den Vergleich mit dem deutschen Original nicht scheuen muss – und wer in größeren Hotels und besseren Restaurant­s nach einem EKU fragt, bekommt mit etwas Glück dort ein Bier mit dem Etikett der Ersten Kulmbacher Aktienbrau­erei.

Der Rosenheime­r Fleischfab­rikant Josef März, auch er ein alter Strauß-Spezi, hat in Togo nicht nur Rinderfarm­en und Wurstfabri­ken aufgebaut, sondern auch Bier in Lizenz brauen lassen – zeitweise bis zu 800 000 Hektoliter pro Jahr. Kam Eyadéma umgekehrt zu Besuch nach Bayern, logierte er wie selbstvers­tändlich auf dem Gutshof der Familie März. Deren Fleischkon­zern Marox ist zwar längst zusammenge­brochen. In Kara, gut fünf Autostunde­n nördlich von Lomé gelegen, aber haben ein Restaurant und ein Supermarkt unter neuen Eigentümer­n überlebt. Sie haben nach wie vor Weißwürste, Bratwürste und Leberkäs im Angebot.

Noch heute wird an den Gymnasien des Landes Deutsch unterricht­et. Alles in allem, schätzt das Auswärtige Amt, sprechen etwa 100 000 Togoer Deutsch – und viele von ihnen bemühen sich wie Fousseni Mamah, es nur ja nicht zu verlernen. Der pensionier­te Anthropolo­ge war der erste Stipendiat der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Togo, er hat in München und Saarbrücke­n studiert, wurde in den neunziger Jahren Botschafte­r seines Landes in Bonn und trifft sich heute noch mit anderen Stipendiat­en, um miteinande­r Deutsch zu reden. Verlernt hat er nichts. „Grüßen Sie mir Bayern“, sagt er zum Abschied.

Kechigoma Babatima hat in Deutschlan­d nicht studiert, sondern das ehrbare Handwerk des Bäckers erlernt, in einem kleinen Betrieb im Odenwald. Als er 1996 seinen Meisterbri­ef erhält, schaut der damalige Bundeskanz­ler Helmut Kohl persönlich vorbei, so ungewöhnli­ch ist das damals – ein junger schwarzer Bäcker mitten in der deutschen Provinz. Später kehrt Babatima in seine Heimat zurück und eröffnet in Lomé eine eigene Bäckerei. Wie ExBotschaf­ter Fousseni hat auch er nichts von dem verlernt, was ihm in Deutschlan­d einst beigebrach­t wurde. Als Entwicklun­gsminister Gerd Müller vor kurzem zu Besuch in Togo war, servierte der 49-Jährige dem CSU-Mann und seiner Delegation Butterbrez­en. Mitten in Afrika.

 ?? Fotos: privat, Hannelore Gadatsch, SW, Heinz Wieseler, dpa ?? Zeichen deutscher Kolonial-Herrlichke­it in Togo: der Gouverneur­spalast in der Hauptstadt Lomé. Auch in späterer Zeit blieben die Kontakte eng: Der frühere togolesisc­he Staatschef General Gnassingbé Eyadéma und der ehemalige bayerische Ministerpr­äsident...
Fotos: privat, Hannelore Gadatsch, SW, Heinz Wieseler, dpa Zeichen deutscher Kolonial-Herrlichke­it in Togo: der Gouverneur­spalast in der Hauptstadt Lomé. Auch in späterer Zeit blieben die Kontakte eng: Der frühere togolesisc­he Staatschef General Gnassingbé Eyadéma und der ehemalige bayerische Ministerpr­äsident...
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany